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Besatzungszeit 1918/19
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Winfried Blum, Bengel
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und sprechen die heute 60/70-Jährigen von „Besatzungszeit", ist die
selbst erlebte Zeitspanne von 1945 bis zur Gründung der
Bundesrepublik 1949 gemeint. Dieser Beitrag bezieht sich auf den Kreis
Daun und die Zeit Ende 1918 bis Anfang 1920. Als Grundlage dient ein
„UnterBündel" in dem reichhaltigen Nachlass meines Vaters Peter Blum
aus Beinhausen (vgl. Heimatjahrbuch des Kreises Daun 2001 S. 51 - 59).
Eine „wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft von Akademikern" - so
nannten sich die Verfasser eines entsprechenden Fragebogens, der mit
einem erläuternden Beiblatt Anfang 1920 an zahlreiche Gemeinden in der
Eifel versandt wurde. Wir würden heute von einer Befragung möglicher
Zeitzeugen sprechen.
Der
Fragebogen enthält 29 Fragen. 31 auswertbare Rückläufe sind die
Grundlage der folgenden Ausführungen. Einige wesentliche Fragen und die
dazugehörigen Antworten:
Wie stellte man sich Herbst 1918 in Ihrem Ort zu der bevorstehenden Besetzung des Kreises durch Verbandstruppen?
Gemeinsam ist allen Antworten: die Gefühle der Bevölkerung liegen zwischen Angst, Bangen, Furcht vor Beschlagnahmungen und Hoffen auf
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„Ordnung".
Eine kritische Stimme erhebt sich: „Am meisten dachten wir, dass
Franzosen und Belgier Rache nähmen, als Widervergeltung für die
Kriegsgräuel." Bei dieser nachdenklichen, reflektierenden Betrachtung
geht der Blick zu den „Ausfüllern" der Bögen. Es waren meist
Gemeindevorsteher, Polizisten, Lehrer (auch solche im Ruhestand) -
also im Schriftverkehr nicht ungewohnt. Eine Schweijk-würdige Antwort
lautet: die Ausführung der Besatzung „dachte man sich, wie dieselbe
auch ausgeführt wurde."
Gemeinsam
ist allen Antworten, dass man davon ausging, nur die größeren Orte
bekämen eine ständige Besatzung, die kleinen hätten dagegen mit
kontrollierenden Patrouillen zu rechnen; und die Übel würden auch
wieder weiterziehen und vorübergehen. Ein Polizeiwachtmeister ruft die
Franzosenzeit um 1806 in Erinnerung und hofft mit seinem Dorf, keine
Franzosen als Besatzer zu bekommen. Die zurückflutenden deutschen
Truppen, beginnend nach dem Waffenstillstand ca. Mitte November 1918,
endend Anfang Dezember, begrüßte die Bevölkerung mit Achtung,
Anerkennung ihrer langjährigen „heldenhaften" Taten, die - so die
überwiegende Meinung - ein besseres Kriegsergebnis verdient
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gehabt
hätten. Hier schwingt das durch, das später in der folgenschweren
Parole „im Felde unbesiegt" seinen prägnanten Niederschlag fand. Die
ausgehungerten Soldaten und Pferde - an manchen Tagen zogen zigtausende
durch die Dörfer - wurden gerne gefüttert und versorgt, im
Nachtquartier, bei diesen Mengen in Schulsälen, Scheunen und Speichern
untergebracht, so weit wie möglich aufgewärmt und „verwöhnt". Der Bauer
in den Eifeldörfern spricht ausdrücklich, wenn bespannte Einheiten
schier endlos durchziehen, die schwachen, ausgehungerten und
„verwahrlosten" Pferde an, die kaum noch ein Geschütz ziehen können. So
verwundert es nicht, dass in den Straßengräben neben Abfällen, Unrat,
zerbrochenem Gerät auch tote Pferde liegen. Das Volk in der Heimat, das
diesem unerwarteten, niederschmetternden Treiben auf und neben seinen
Straßen zuschauen muss, eher: ihm ausgeliefert ist, lernt schnell zu
unterscheiden; häufig kamen zuerst die „Etappen-Truppen, auffallend
undiszipliniert, verwahrlost bis lumpig, mit roten Bändchen an den
Gewehren, Armee-Sachen feilbietend, zum Teil betrunken und
randalierend, schikanierend und drohend - eine wilde Soldateska.
Danach kamen die „richtigen" Frontsoldaten:
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abgehärmt,
ernst, sehr diszipliniert und ordentlich. Auch die roten Bänder oder
Fähnchen, offenbar das Zeichen für die bei den Etappen-Einheiten schon
gewählten Arbeiter- und Soldatenräte, fehlten bei dem „geschlagenen
Heer".
Zwischen
den ausgefüllten Fragebögen liegt ein einzelnes Blatt aus dem
„Eifelver-einsblatt" S. 141 / 142, dem handschriftlichen Zusatz nach
vom „Dez. 1918". Daraus sei als Auszug zitiert: „Als Vorboten des
heimkehrenden Heeres erschienen die großen, mit dem Eisernen Kreuz
geschmückten Vögel am grauen Novemberhimmel, die so oft dem Heere
vorangeflogen waren in heißer Schlacht, Tod und Verderben den Feinden
bringend. Jetzt flogen sie der wohlverdienten Ruhe im Heimathafen
entgegen. Es wurde kälter, mit Fahnen und Girlanden schmückte sich
Gerol-stein, seine heimkehrenden Helden würdig zu empfangen. Die
Lastautos kamen in langer Reihe unter ohrenbetäubendem Getöse an, Tag
und Nacht dauerte ihr Durchzug. Unter Musikklängen marschierten die
Truppen ein, Infanterie und Artillerie, alle deutschen Volksstämme,
nicht alle hat der grausame Krieg verschlungen, noch hat Deutschland
Männer. Es geht heim zu Muttern, stolz und freudig leuchtet dies Wort
aus allen Augen, und fast jeder Wagen trägt die schöne Inschrift. Zur
Allmutter Deutschland ziehen ihre in hunderten von Schlachten
erprobten Söhne.
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Wir
sind hier Einquartierung gewöhnt in Friedens- und Kriegstagen. Aber was
nun kam, ging über alle Begriffe. Vierzehntausend sind einmal in einer
Nacht in unsern Mauern gewesen. Sie kamen wohl alle unter, wenn auch
mit Ach und Krach. Der Betten gab's wohl nicht so viele. Was ein
Eifeldorf aufnehmen kann, erzählte mir ein benachbarter
Gemeindevorsteher. Fast Tag für Tag 12-1500
Mann mit den zugehörigen Pferden in 15 Häusern. Das Eifelhaus hat mehr
Platz wie eine Großstadtkaserne. Dass da manch Bund Heu und Stroh,
Hafer und sonstiges Futter für Mann und Ross mitgehen musste, versteht
sich wohl von selbst. Es wurde ohne viel Murren und Klagen ertragen,
wenn auch nun mancher Bauer nicht weiß, wie er sein Vieh durchbringen
kann. Auch mancher Zaun und Holzstapel ging den Weg alles Irdischen,
manche Wiese war keine mehr, aber der Durchmarsch ist geschafft worden,
trotzdem das Wetter umschlug und die Wege und Straßen in ein Kotmeer
verwandelte. Wohl musste manches Auto seinem Schicksal überlassen
werden, manches treue Pferd traf zu guter Letzt noch Kriegslos. Die
erste Armee war's, die hier ihren Durchmarsch vollzog, das
Oberkommando leitete ihn von hier aus, bis es nach Neuwied übersiedeln
konnte. Was uns erhebt trotz der so überaus trüben Zeit für unser
Vaterland, ist dass wir ein Heer an uns vorüberziehen sahen, das trotz
schwer-
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sten
vierjährigen Ringens ungebrochen an Leib und Seele war. Und das gibt
uns auch wieder den Mut zu glauben an unseres Volkes Wiedergeburt und
an eine bessere Zukunft."
Dieses
Blatt ist der Antwort des „Bauernsekretär"(s) W. Hay beigefügt, der es
ausdrücklich als Teil seiner Antwort betrachtet. Man kann das, was da
veröffentlicht wurde, wohl als repräsentativ ansehen. Auch der Schluss
eines Gedichts, überschrieben „Ein Traum", das auf demselben Blatt
abgedruckt ist, sei hier mit den Schlusszeilen wegen ihrer Aussagekraft
wiedergegeben: „In Scherben ging des Reiches Macht, Er soll uns nicht
in Scherben gehen."2
Mit „Er" ist der Traum gemeint, der davon handelt „was unser Stolz einst war."
Bei
aller Achtung, die man den Geschlagenen und von ihrem Schicksal
Gezeichneten entgegenbrachte, waren die zivilen Menschen froh, als der
Rückzug der deutschen Truppen auf das andere Rheinufer abgeschlossen
war. Das Gefühl, endlich wieder Herr im eigenen Haus und Dorf zu sein,
kam trotzdem nicht auf, weil man nicht wusste, was folgte.
Der
Fragebogen formuliert hierzu unter anderem: Wie bereitete man sich auf
den Einmarsch der Besatzung vor? Wann trafen die ersten Truppen des
Verbandes ein? Wie lange dauerte der Durchzug der Verbands-Truppen
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und wie lange die Besatzung durch sie?
Übereinstimmend
stellen die Beantworter aus den angeschriebenen Dörfern fest, dass
sehr viel weniger Truppen im Vergleich zu den deutschen durchziehen,
die Einquartierung also weniger drückend ist. Belgier, Franzosen,
Engländer und Amerikaner, Schottländer und Kolonialsoldaten kommen ab
Anfang Dezember 1918 nacheinander und wechselnd nach einem den Dörflern
nicht erkennbaren Plan. Auch diese Truppen, selbst wenn sie wie z.B.
Amerikaner und Engländer für sich ordentliche Verpflegung mitführen,
brauchen Heu, Stroh und Hafer für die Pferde und Holz zum Feuern. Die
Requirierungen sind unausweichlich, schwierig - wenn etwa der Hafer
noch nicht gedroschen, noch im Stroh ist. An die Sperrstunden
gewöhnte man sich; sie waren wohl auch in den Dörfern unterschiedlich
belastend. Die kleineren Dörfer beherbergten kaum Besatzer, wurden
aber streng durch Patrouillen mit Auto oder Pferd kontrolliert, von den
Requirierungen nicht verschont. Es empfahl sich, Pass oder
Personalausweis stets greifbar zu haben. Besonders den Engländern wird
strenge Disziplin bescheinigt, die sie aber ebenso von den
Einheimischen erwarteten. Amerikanische Besatzer, so wird erklärt,
zeichneten sich durch besondere Anforderungen an die Reinlichkeit aus:
Misthaufen an den Straßen mussten verschwinden, die Dungstätten mit
Tannenrei-
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sern
bedeckt, die Aborte geputzt werden, von den Soldaten aufgestellte
Abfall-Kübel waren regelmäßig zu leeren. Z.T. bestand Grußpflicht;
Orts- und Straßenschilder mussten nach den Anforderungen der Besatzer
gestellt werden. In diese Zeit fällt die (grobe) Ermittlung der
Schäden, die der Rückzug der deutschen Truppen hinterlassen hat. Die
einzelnen privaten Schäden - Wiesen und Felder durch Biwak beschädigt
oder zerstört, Abgabe von Viehfutter und Holz (Gartenzäune als
Brennholz dazu), Verpflegung - hätten die Plage und Armut gewöhnten,
bedürfnislosen Eife-ler Bauern wohl wie üblich gottergeben ertragen;
aber wie ein Aufschrei kommt es aus allen Dörfern, durch die der
Rückzug ging: Straße und Wege sind hin! Aufgebrochen, Furchen, Geröll,
Schmutz, kein fester Untergrund mehr; „kaputt" wird der Zustand kurz
benannt. Da kam eine gewaltige Last, auch finanzielle, auf die
Dorfgemeinschaften zu. Die Frage nach Schadensvergütung oder
wenigstens einer Teilentschädigung wird durchweg verneint. Auch hier
ist bei Frage Nr. 14 wohl wieder ein Schwejk unter den Antwortenden:
„Wie wurde der Schaden vergütet?" Antwort: „Der Schaden werde derart
vergütet, dass die Gemeinde bis heute noch nichts erhalten hat."
Die Einquartierung der Besatzer machte dank ihrer geringen Zahl bei weitem nicht die Schwierigkeiten wie vorher
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bei
dem Durchziehen der deutschen Soldaten-Mengen. Wurden sie zunächst
ziemlich gleichmäßig auf die Häuser verteilt, konzentrierte es sich
später auf die schönsten und die am bequemsten gelegenen. Die Dauer
der Besatzung war unterschiedlich. Die Angaben reichen von Anfang
Dezember 1918 bis August 1919.
Besondere
Rechtsfälle, nach denen ausdrücklich gefragt wurde, sind offenbar nicht
vorgekommen oder wohl nicht als erwähnenswert aufgezeichnet. Das
leitet über zu der Frage Nr. 25: „Wie war das Verhältnis zwischen
Besatzungstruppe und einheimischer Bevölkerung?" Allgemein wird
geschildert, wie das anfängliche, beiderseitige Misstrauen langsam
schwindet. Da Waffen abgegeben werden mussten und waren, schwand auch
zunehmend die Ängstlichkeit der Besatzer, die bei den Amerikanern
ausgeprägter schien als bei den anderen Verbandstruppen. Der
unmittelbare Eindruck, der gerade bei Beantwortung dieser Frage
vermittelt wird, sei hier durch eine Auswahl wörtlicher Zitate
weitergereicht. „Es herrschte bald ein intimer Verkehr, da die Truppe
reichlich von ihrem so genannten Überschuss an Chokolad, Zigaretten,
Kaffee etc. an viele verteilte." - „Die Amerikaner waren beim Durchzug
sehr ängstlich und spähten beim Betreten eines Hauses vorsichtig
umher. Nachher standen die beiden Nationen in
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gutem
Verhältnis; menschlich, zuweilen allzu menschlich." - „Das Verhältnis
war sehr gut. Besonders beim Abschied fühlten sich die verschiedensten
jungen Damen zu Tränen gerührt." -„Das Verhältnis war durchschnittlich
gut. Bei dem Abschied wurden die Besatzungstruppen von vielen jungen
Damen zur Bahn begleitet, woselbst manche Tränen verflossen." - „Die
Zeit während des Rückzuges der deutschen Truppen, waren meine
schwersten Tage, welche ich als Gemeindevorsteher erlebt habe." -
„Gut. Die Besatzung war reichlich mit Lebensmittel versorgt, so dass
nur Quartier gestellt werden musste." - „Verhältnis fried-
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lich.
Großer Tauschhandel." -„Die Bevölkerung war mit den Amerikanern sehr
gut zufrieden." - „Das Verhältnis zwischen Besatzungstruppen und der
einheimischen Bevölkerung war gut. Die Truppe war nicht zu verstehen
und deshalb hielt man sich ganz zurück." - „Das Verhältnis der
Besatzung zur Bevölkerung war ein geordnetes; die Posten waren mit
ihren Quartiergebern recht zufrieden und ist während der Zeit der
Besatzung hier nichts regelwidriges vorgefallen." All das ist lange
her, liegt mehr als achtzig Jahre zurück. Da ist ein
rückwärtsgewandter Blick wie hier, der zudem nicht auf eigenen
Erkenntnissen fußt, eher un-
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scharf,
nicht so deutlich wie bei den eigenen Erlebnissen Ende 1944 / Frühjahr
1945. Dazu kommt aber ein ganz gravierender Unterschied: noch in der
letzten Phase des Krieges 1939/45 war die Eifel hart umkämpftes
Schlachtfeld. Bombenangriffe und Verfolgung der Zivilisten durch die
Jagdbomber hatten zu den bis dahin erbrachten Menschenopfern
verheerende Wirkungen im überlebenden, betroffenen Menschen
angerichtet. Das konnte zu einem verzweifelten Fatalismus, aber auch
zu unvorhersehbaren Aggressionen führen. Diese Kriegsfolgen im Innern
der be- und getroffenen Menschen dauerten und blieben vielfach auf
Dauer.
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