Ein mutiges Urteil in schwieriger Zeit
Helmut Pauly, Kradenbach
Bei dem Thema „Politik" streiten sich die Geister. Neben der großen Weltpolitik ist die Kommunalpolitik ein beliebtes Diskussionsthema. Da lässt es sich gar trefflich kritisieren und Vorschläge machen, was man alles an­ders und besser machen wür­de, hätte man nur das Sagen. Für solche Diskussionen be­sonders gut geeignet ist die Kneipe und dort wiederum die Theke. Wenn der Gast dann einmal ein paar Bierchen getrunken hat, kann er so richtig seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Da werden die Verantwortlichen der Dorf­politik auch schon mal mit derben Ausdrücken belegt, die hier nicht wiedergegeben werden sollen. Heutzutage herrscht Mei­nungsfreiheit und in Richtung öffentlicher Kritik ist so man­ches erlaubt. Das war zu Zei­ten des „Tausendjährigen Rei­ches" etwas anders. Da muss-te jeder vorsichtig sein mit dem, was er in der Öffentlich­keit sagte. Gefährlich wurde es dann, wenn sich die Kritik gegen die Nazigrößen oder die Partei allgemein richtete. Dies musste auch ein junger Beamter der Kreisverwaltung Daun - damals hieß die Behörde noch „Landratsamt" - erfahren.
Im Frühjahr des Jahres 1940 saß er zusammen mit einem
Freund im damaligen Café Schneider (jetzt Blumenhaus Schwabe, gegenüber Kran­kenhaus) in Daun. Die beiden unterhielten sich über die Regelungen, die den Besuch des Kinos durch Zivil- und Militärpersonen beinhalteten. Dann kam die Rede auf die Verkehrsregelung innerhalb der Stadt Daun und die Rege­lung der Polizeistunde. Diese war gegen den Willen des Stadtbürgermeisters durch die NS-Verantwortlichen ver­schärft worden. Als Beamter in den Verwaltungsregelun­gen kundig, kritisierte unser junger Beamter die neuen Regelungen und titulierte die­jenigen, die diese getroffen hatten, als „Hampelmänner". Offensichtliche wurde das Gespräch von einem anwe­senden regimetreuen Gast mitgehört, der den jungen Be­amten wegen Beleidigung zur Anzeige brachte. Mitte des Jahres 1940 wurde die Sache vor dem Amtsgericht in Daun verhandelt. Der Angeklagte bestritt die Vorwürfe. Die damalige rechtsprechende Gewalt in Daun erkannte of­fensichtlich schnell, dass der Angeklagte denunziert wor­den war. Den neuen Machtha-bern, Funktionären und Par­teigenossen eher reserviert gegenüberstehend, versuchte sie wohl, ihm aus diesen Schwierigkeiten zu helfen.
Nach mündlicher Verhand­lung vor dem Amtsgericht Dauns wurde der Angeklagte freigesprochen mit folgender Begründung (Originaltext): „Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, am 2.4.1940 zu Daun den Ortskommandanten und die Offiziere der Orts­kommandantur in Daun öf­fentlich beleidigt zu haben. Er soll den Ortskommandanten einen „Hampelmann" ge­nannt und sich in beleidigen­der Weise über ihn und seine Offiziere ausgesprochen haben. Die Hauptverhandlung hat folgendes ergeben: An dem fraglichen Abend saß der Angeklagte mit dem Zeu­gen X zusammen im Café Schneider zu Daun. Die bei­den unterhielten sich in ge­wöhnlichem, also nicht über­mäßig lautem Ton, während der Rundfunkapparat ange­stellt war. Zunächst war von dem Besuch des Kinos durch Zivil- und Militärpersonen die Rede. Dann kritisierte der Angeklagte eine Verfügung der Ortskommandantur über die Verkehrsregelung und ei­ne solche über die Polizei­stunde. Er sagte insbesondere, es ginge nicht, dass der Bür­germeister die Polizeistunde so, die Ortskommandantur so festsetzen würde. Wenn der Bürgermeister dies zuließe, würde er in den Augen der Dauner Bevölkerung als
„Hampelmann" dastehen. Er sagte also nicht, wie die Anklage annimmt, der Orts­kommandant sei ein „Ham­pelmann". Weiter sagte der Angeklagte, es sei besser, wenn Berufsoffiziere auf der Kommandantur säßen, dann hätten die Zivilbehörden nicht so große Schwierigkei­ten. Die Kritik des Angeklag­ten ging nach seiner Einlas­sung, die von dem Zeugen X bestätigt wird, in keiner Weise über das Maß des Erlaubten hinaus. Die Vernehmung des Zeugen Y erschien nicht er­forderlich, da sich dieser Zeu­ge etwa fünf Meter von dem Angeklagten befand und bei dem Lärm des Rundfunkap­parates bestimmt nicht alles gehört hat, was der Ange­klagte, der in normaler Weise sprach, sagte. Wenn also die­ser Zeuge seine im Vorverfah­ren gemachte, den Angeklag­ten belastende Aussage, aufrecht erhalten würde, so
könnte dies bei der sehr be­stimmten Aussage des durch­aus glaubwürdigen Zeugen X nicht ins Gewicht fallen. Nach der Angabe des als Zeu­ge vernommenen Landrats von Daun haben in der Tat sehr erhebliche und fortdau­ernde Schwierigkeiten zwi­schen dem damaligen Orts­kommandanten und den Zi­vilbehörden, wie auch durch­marschierenden Truppen, bestanden. Es waren durch die Ortskommandantur wi­dersprüchliche Verkehrsrege­lungsvorschriften getroffen worden und es war die Poli­zeistunde von dem Ortskom­mandanten entgegen den Bestimmungen anders festge­setzt worden als von dem Bürgermeister. Hiernach kann von einer Beleidigung oder üblen Nachrede seitens des Angeklagten keine Rede sein, da er weder beleidigende Worte gegen den Ortskom­mandanten gebraucht noch
sich einer beleidigenden Kri­tik schuldig gemacht hat. Er musste daher als nicht überführt freigesprochen wer­den."
(Anmerkung: Der Oberstaats­anwalt aus Trier hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Aber auch in nächster Instanz wurde der junge Beamte frei­gesprochen.)
Ähnliche Situationen sind oft auch anders ausgegangen und haben damals manche Bürgerin und manchen Bür­ger ins Gefängnis wenn nicht gar ins Konzentrationslager gebracht. Wenn man bedenkt, dass diese Geschehnisse kaum mehr als ein halbes Jahrhun­dert zurückliegen, wird einem bewusst, dass Demokratie und Meinungsfreiheit keine Selbstverständlichkeit sind. Wir sollten dankbar sein, dass unsere Generation diese Frei­heiten besitzt.
Fundstelle: Archiv der Kreisverwaltung Daun