Oberbettingen
Die letzten Kriegstage
Adele Zimmer, O b e r b e tt i n g e
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Es war Anfang Mai des Jahres 1945.
Wir wohnten an der Bahnstrecke Köln/Trier. Irgendwo zwischen
Oberbettingen und Lissendorf war ein Munitionszug abgestellt
worden, deshalb gab es immer wieder Beschuss von den Alliierten.
Sonst waren wir größtenteils verschont geblieben. Die letzten
deutschen Soldaten fuhren über die Kyllbrücke Richtung Hilles-heim. Um den
Feinden kein Weiterkommen zu ermöglichen, sollte nun die Brücke
gesprengt werden. Das Haus, in dem wir wohnten, lag nahe der Brücke und so
mussten wir mit allen Anliegern für die Dauer der Sprengung die Häuser
verlassen. Es hieß, es sei nur eine Vorsichtsmaßnahme und für kurze
Zeit. Der Meiers Mühle gegenüber war in dem Felsen ein Bunker, in dem wir
uns so lange aufhalten konnten. Wir hörten die Sprengung und einige
Männer gingen nach draußen, um zu sehen, ob wir nach Hause könnten. Zu
unserem Schrecken sahen und hörten wir auf der Höhe vor Hilles-heim
deutsche Truppen, die dem Feind, der mittlerweile bis Oberbettingen
vorgedrungen war, Wiederstand leisteten. Wir blieben im
Bunker, |
einen Tag und eine Nacht. Frau
Meiers holte in Eile etwas Brot und Schinken, damit wir was zum Essen
hatten. Vor der Sprengung hatte Herr Mohr noch schnell eine Kuh gemolken.
So hatten wir auch Milch für die Kinder. Als ein Mann sich vorsichtig
heraus wagte, sah er, dass der Feind schon bis zu der gesprengten Brücke
gekommen war. Auch patroullierten amerikanische Soldaten auf den
Bahngleisen. Als meine kleine sechs Monate alte Tochter weinte, sagte
man mir: „Sieh zu, dass sie still ist, sonst wird man auf uns aufmerksam."
Ich hatte weder Windeln noch sonst etwas, und sie war durch die ungekochte
Milch wund geworden. Als es hell war, ging ich nach draußen, weil ich
hoffte, dass auch Soldaten ein Herz für Kinder hätten.
Auf dem Hof sah ich dann, dass
alle Häuser ringsherum brannten, oder zum Teil schon abgebrannt waren. Als
ich im Bunker Bescheid sagte, rannten alle Männer nach draußen, um zu
retten, was noch zu retten war. Doch es war zu spät. Auf der Straße ging
ein Soldat auf und ab, den ich auf uns aufmerksam machte. Er
kauderwelschte, |
dass er seinen Chef holen müsste.
Als dann ein Offizier kam, hatten wir uns alle vor dem Bunker
aufzustellen, wo wir nach Waffen untersucht wurden. Dann mussten wir in
Reih und Glied, vor und hinter uns feindliche Soldaten, nach
Oberbettingen in die Schule, wohin auch alle Bewohner beordert worden
waren. Mein Vater, der nicht mit im Bunker war, traf unterwegs zu
uns. Er hatte aus dem brennenden Haus seine Jacke mit seinen Papieren und
den Kinderwagen meiner Tochter retten können. Wir waren, weil wir am
Bahnhofwohnten, der zu Hilles-heim gehörte, den Oberbettin-gern
ziemlich fremd. So kümmerte sich auch niemand um uns. In der
Lehrerwohnung im oberen Stock konnte ich meine Tochter frisch machen. Wir
hatten auch etwas zu essen, ein paar Brotreste, die die anderen übrig
gelassen hatten. Nachdem die Soldaten Oberbettingen auf der Suche nach
versteckten Soldaten durchstöbert hatten, durften dann alle zurück in ihre
Häuser. Die Amerikaner hatten ein ziemliches Chaos hinterlassen.
Wir aber standen da und wussten nicht wohin, weil unser Haus ja
abge- |
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brannt war. Frau Oerters,
Besitzerin des Sägewerkes am Bahnhof, nahm uns alle mit zu sich. Ihre
Söhne waren im Krieg und sie stellte uns deren Schlafzimmer zur Verfügung.
So hatten wir wenigstens eine Unterkunft. Mittlerweile war der Krieg zu
Ende gegangen. Damit wir etwas zu essen hatten, gingen mein Vater und
ich zu den Bauern im Dorf arbeiten. Mit der Zeit wurde es uns aber
peinlich, Frau Oerters zur Last zu fallen. Bei unserer abgebrannten
Wohnung war der ehemalige Stall erhalten geblieben. Den machte mein
Vater so zurecht, dass wir ihn als Wohnung beziehen konnten. In der
Bahnhofswirtschaft standen noch ein paar Möbel, ein Tisch und ein
paar Stühle. Einen Herd konnten wir aus den Trümmern auch noch
gebrauchen. |
Wir besaßen auch Matratzen, die
das Feuer überstanden hatten. Mit fünf Mann schliefen wir in einem
Raum. Mein Bruder im ehemaligen Heustall auf Stroh. Meine
Schwester war als Rotkreuzschwester im Osten, und wir hatten
lange nichts mehr von ihr gehört. Wir wussten aber, dass sie mit Herrn
Disemond in einem Lazarett arbeitete. Wir dachten, man habe in Bolsdorf
vielleicht etwas von den Beiden gehört und so wollte ich dorthin. Weil
keine Brücke mehr bestand, musste ich querfeldein über die Höhe. Oben
bemerkte ich Stahlhelme und verstreute Papiere liegen. Als ich näher
kam, sah ich, dass es Post für Soldaten war. Eine Oma gratulierte ihrem
Enkel zum 19. Geburtstag. Ich bückte mich, um noch weitere Briefe
oder Kar- |
ten auf zu heben. Da stieß ich mit
dem Kopf an einen Stahlhelm und schaute unter diesem einem toten
Soldaten ins Auge. Ich war vor Schreck wie gelähmt. Als ich mich
etwas erholt hatte, sah ich mich weiter um und erblickte unter jedem
Stahlhelm einen toten Soldaten. Sie saßen in Ein-mannlöchern, überwiegend
junge Männer, so um die 20 Jahre, was aus der Post zu ersehen war. Sie
kamen aus der Gegend um Helmstedt und
waren von verantwortungslosen Offizieren vor Abschluss des
Krieges noch hierher abkommandiert worden. Ich lief zurück ins Dorf
zum Bürgermeister, dem ich mein Erlebnis berichtete. Daraufhin wurden die
Soldaten abgeholt und auf dem Oberbettinger Friedhof
begraben. |
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