Leben
im Keller -
auch am
Ende des Krieges |
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Anita Becker, Daun |
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In den Kriegsjahren gab es keine
Schlüsselkinder, sondern Kellerkinder. Wir verbrachten viel Zeit
im Keller, im Bunker oder im Wald, um uns vor den Bomben zu schützen. Die
letzten Tage vor dem Kriegsende wohnten wir im Gewölbekeller meiner
Großeltern in Daun-Neunkir-chen. Vor dem Haus hatten die deutschen
Soldaten schon |
einen Panzer angezündet, der aber
nicht ganz ausbrannte, weil die Nachbarn das Feuer gelöscht hatten. Wir
spielten in ihm, bis er nach Wochen weggeräumt wurde. Darin fanden wir
Karbid. Gleich wusste einer, dass man das mit Wasser zum Sprudeln bringen
kann. Ein gefährliches Spiel! Mit uns im Gewölbekeller
be- |
fanden sich auch einige
deutsche Soldaten in Zivil, die sich versteckt hielten. Eines Tages
hieß es, wir müssten alle nach oben kommen. Dort standen amerikanische
Soldaten im Hausflur und nahmen uns in Empfang. Die Soldaten ergaben
sich und wurden gleich festgenommen. Für uns Kinder interessierte man sich
nicht. Ein paar junge |
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Mädchen, die aus der
Nachbarschaft dabei standen und kicherten, wurden von den
amerikanischen Soldaten zurechtgewiesen mit den Worten: „Du nix lachen,
arme deutsche Soldat." Ich war sieben Jahre alt und begriff noch nicht den
Umfang dieser Worte. Wir Kinder waren schnell mit den
Amerikanern befreundet und erhielten Schokolade und
Kaugummi. Während des Krieges wurden wir gewarnt, auf keinen Fall
Bonbons zu essen, die vom Himmel fielen, weil sie vergiftet sein könnten.
Aber jetzt hat wohl niemand mehr daran gezweifelt, dass diese Menschen uns
wohlgesonnen waren.
Anders sah es jedoch in
unserer Dauner Wohnung aus. Dort hatten die Soldaten die Möbel kurz
und klein geschlagen, den Speicherboden als Toilette benutzt und
Feuerstellen in den Zimmern auf dem Fußboden angelegt. Damals
hörte ich meine Mutter sagen: „Nie mehr würde ich |
ein Kind beschimpfen, wenn es
versehentlich einen Kratzer in die Möbel macht." An einigen alten
Möbeln kann ich heute noch die Spuren der Axt sehen.
Auch in Daun hatten wir viele Tage
und Nächte während des Krieges im Keller verbracht. Zwischen Kartoffeln,
Äpfeln, Kohlen, Holz und Sauerkrautfässern hausten wir. Was ich nicht
wusste war, dass meine Eltern zwei Pistolen unter den Kohlen versteckt
hatten. Inzwischen waren die Amerikaner weg und die Franzosen wohnten
im Haus. Meine Mutter durfte von Zeit zu Zeit von Neunkirchen nach Daun
ins Haus gehen und Kleidung, soweit diese nicht von den Besatzungssoldaten
in den Garten geworfen worden war, für uns Kinder herausholen. An ein
Regencape erinnere ich mich, dass erst viel später beim Umgraben des
Gartens wieder zum Vorschein kam. Eines schönen Sommertages fiel meiner
Mutter ein, dass die Franzosen wohl irgend- |
wann auf die Pistolen im Keller
stoßen würden. Man wusste ja nicht, wie lange das Haus besetzt bleiben
würde. So ging sie, mit einer Kittelschürze bekleidet, nach Daun in
unser Haus. Man ließ sie auch in den Keller. Die Pistolen fand sie
gleich, die sie in je einer Schürzentasche versteckte. Dann verließ
sie das Haus. Kaum war sie auf der Straße, hielt ein Franzose sie an.
Dieser konnte aber nur wenig deutsch und meine Mutter kein französisch.
Sie verstand jedenfalls, dass sie mitkommen müsse. Sie gingen
zusammen zur Leopoldstraße, wo damals kurz vor Kriegsende die
Panzersperren installiert waren. Er ging in die französische Sûreté (Amt
für Sicherheit, heute Gebäude der Gemeindeverwaltung) und befahl ihr auf
ihn zu warten. So stand sie dort, sich immer wieder den Kopf
zerbrechend, wie sie die zwei Pistolen los würde, ohne erwischt
zu werden. Zu vorgerückter Stunde kam auch die Zeit der
Ausgangssperre immer näher, und meine Mutter wurde nervös und
nervöser. Sie hatte Angst sich einfach zu entfernen, wusste aber auch
nicht, was sie zu erwarten hätte, wenn der Franzose heraus käme.
Plötzlich stand ein anderer französischer Soldat an ihrer Seite
und fragte, auf wen sie warte. Meine Mutter antwortete, dass sie das auch
nicht wisse und erzählte ihm von der Begegnung. Zum Glück sprach
dieser Herr perfekt deutsch. Er sagte zu ihr, sie solle gehen und wenn
jemand sie anhalte, |
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Beginnende Versöhnung mit den
Franzosen; Oberste Reihe, Zweiter von Links: André Roussel
Foto: Gertrud Zender,
Daun |
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solle sie antworten, dass er es
ihr erlaubt habe. Er nannte seinen Namen und ging davon und meine Mutter
erleichtert zurück nach Neunkirchen trotz der herannahenden
Sperrstunde. - Was aus den Pistolen geworden ist, habe ich nie erfahren.
Als unser Haus nicht mehr besetzt war, konnten wir wieder nach Daun
zurück, wo ich bald mit den Kindern der französischen Besatzungsmacht
befreundet war und |
schnell ein paar Sätze in
deren Sprache lernte. Die Liebe zur französischen Sprache ist mir bis
heute geblieben. Später war ich auch in der Singgruppe des
Fremdsprachenvereins. Wir traten für eine bessere
Völkerverständigung ein und gaben viele Konzerte für und mit den
Franzosen. André Roussel war Kreis-Kommandant und setzte sich sehr für
eine deutsch-französische Freundschaft ein. Er veranlasste
die |
meisten unserer Vorführungen
während kultureller Abende. Wir probten in der Kommandantur (heute Gebäude
des Deutschen Roten Kreuzes).
Immer noch gehe ich in den Keller,
um Gegenstände zu lagern oder heraufzuholen und dabei betrachte ich mir
oft die Stellen, wo wir und viele unserer Nachbarn während des Krieges
Schutz suchten. Möge Gott uns vor einem neuen Krieg
bewahren! |
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