Ein Augenzeuge berichtet
Kriegsende in Niederbettingen
Klaus Linden, H i l l e s h e i m
Die ersten amerikanischen Soldaten hatten am Dienstag, 6. März 1945, den Ortsrand von Niederbettingen erreicht. Sie kamen aus Richtung Roth, durch die Hardt, den offenen Flur und Kammerwald. Ihr Kommen hatte sich schon seit Stunden durch starkes MG-und Granatfeuer angekün­digt. In der Nacht vorher hatten die letzten deutschen Truppen sich über die Kyll abgesetzt und gegen Morgen die Brücke über den Mühlen­graben in die Luft gejagt, nachdem am Vortag eine
Pioniereinheit die Eisenbahn­schienen der Bahnstrecke Trier-Köln gesprengt hatte. Seit dem Zusammenbruch der Front in der Normandie waren die Häuser überbelegt, teils mit Schanzarbeitern aus dem Saarland und vom Huns-rück, ständig aber mit Solda­ten der verschiedensten Waffengattungen, so der „Windhund-Division" und der SS Division „Das Reich", beide nur noch mit einer Handvoll Panzer, die man aus dem französischen Debakel hatte retten können.
Auch in der schlimmen Zeit, als der Kanonendonner ganz nah war, liefen die Propagan­damaschinen auf beiden Sei­ten auf vollen Touren. Engländer und Amis warfen ungestört ihre Flugblätter ab, die unsere Soldaten zum Überlaufen aufforderten. Auf deutscher Seite waren in den einzelnen Orten ab September 1944 Parteiversammlungen, so in Niederbettingen in der Schule mit dem Gauredner Michels aus Gerolstein, der den baldigen Umschwung im Kriegsgeschehen verkündete.
Unvergesslich bleibt auch der Lautsprecherwagen der Wehr­macht, der die Dörfer befuhr und die Menschen zum Durchhalten aufforderte. „Nie darf sich eine Negerhand nach einem deutschen Mäd­chen ausstrecken", war hier ein oft wiederholter Satz über die Lautsprecher.
19. Dezember 1944 folgte ein zweiter Bombenangriff am 24.Dezember 1944 auf den Ortskern, am 26. Dezember 1944 der dritte Angriff. Den größten baulichen Schaden erlitt Hillesheim am 24. Janu­ar 1945. Ein Munitionszug flog durch Bordwaffenbe-schuss in die Luft. Ein
Nachtangriff mit schwersten Bomben galt am 24. Februar 1945 den Zufahrtsstraßen von Hillesheim. Am gleichen Tag schlugen die ersten Ari-Gra-naten in Hillesheim ein. Auf der stillliegenden Bahn­strecke Köln-Trier hatte man am Ortsrand Niederbettingen in Richtung Oberbettingen
In mühevoller Arbeit wurde auf der linken Kyllseite eine Auffang­stellung mit primitiven Mitteln erstellt. Die ver­pflichteten Arbeiter und Hitlerjugend unter der Anleitung der „Goldfasa­nen" zeigten bei der Ar­beit nicht gerade große Einsatzfreude. Besetzt werden sollte diese Stel­lung dann mit Hitlers allerletztem Aufbot, dem „Volkssturm". Der Gesetz­geber hatte die örtlichen Parteigrößen verpflichtet, alle noch anwesenden Männer von 16 bis 60 Jahren für dieses Vorha­ben auszubilden. Am Ortsein- und -aus-gang wurden mittels Baumstämmen Panzer­sperren gebaut. Mitte Februar schoss sich die Artillerie auf die Kyll-stellung ein und von da an lag ständig Feuer auf Ort und Stellung. Die den Luftraum beherrschenden Alliierten griffen Tag und Nacht einzelne Fahrzeuge, ja sogar einzelne Perso­nen an.
Am 29. September 1944 fielen die ersten Bomben auf Hillesheim. Dem fehl­gegangenen Fliegeran­griff auf Hillesheim am
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auf freiem Feld ein paar leere Wagen eines Güterzuges abgestellt. Fast jede Nacht zogen diese die tieffliegenden Jabos an. Auch die V-1 machte ihrem Namen „Eifel-schreck" alle Ehre. Nicht we­niger als fünf Stück verließen ihre vorgeschriebene Bahn und stürzten unweit vom Ort ab. Montag, der 5. März 1945, war ein unruhiger Tag für den Ort Niederbettingen. Bürger­meister Nikolaus Hoff wurde Opfer eines Artillerieüberfalls. Unweit seines Anwesens musste er sterben. Dann war es so weit: Die Bür­ger verbrachten auch die Nacht zum 6. März 1945 in ihren Kellern. Die Fenster und Außentüren waren schon seit Wochen mit schweren Balken und Mist gegen Beschuss ab­gesichert. Viele Frauen waren allein mit ihren Kindern, da die Männer sich irgendwo im Krieg befanden. Das Dröhnen der schweren Ami-Panzer so­wie das Knattern der MG's war inzwischen so stark, dass wir uns sagten; jetzt sind sie da. Angst und Freude ver­mischte sich. Angst, was wer­den die Amis mit uns anstel­len, und Freude, dass jetzt doch bald alles vorbei war.
Es dauerte auch nicht mehr lange und die Kellertür wurde aufgestoßen und ein amerika­nischer Soldat mit Gewehr im Anschlag stand auf der obe­ren Stufe und sagte: „Raus! Krieg fertig - Roth." Daraus schlossen wir, dass wir den Keller verlassen und uns nach Roth begeben sollten. Auf der Straße angekommen, sah man hinter jeder Hausecke und je-
dem Misthaufen amerikani­sche Soldaten mit Gewehren, die uns lautstark zu verstehen gaben, dass wir uns in Rich­tung Roth begeben sollten. Zwischen schweren Panzern und Militärfahrzeugen liefen wir zum Ortsrand Richtung Roth. Beim Zurückschauen sah man das Elend, welches über das Dorf hereingebro­chen war. Drei Scheunen, ge­troffen von Phosphorgrana­ten, brannten lichterloh, das Vieh rannte herrenlos zwi­schen Panzern und Militär­fahrzeugen. Zwischen unzäh­ligen heranpreschenden ame­rikanischen Panzern, die ihre Geschosse aus ihren schweren Kanonen über unsere Köpfe hinweg Richtung deutsche Stellung schossen, liefen wir dem schützenden Wald zu. Rechts und links schlugen Granaten neben uns ein. Ein Mädchen wurde noch kurz vor Erreichen des schützen­den Waldes von einer deut­schen Kugel schwer verwun­det. Ältere Bürger trugen es auf einer Trage, bis amerika­nische Soldaten es ins Laza­rett nach Büdesheim brach­ten.
In Roth brachten die Ameri­kaner uns in eine Scheune. Im Haus nebenan hatte man die Bürger von Roth unterge­bracht, die aber schon nach einigen Tagen ihr Vieh unter amerikanischer Bewachung füttern durften. Einige Bürger aus Niederbettingen halfen ihnen dabei und gelangten somit in den Besitz von Le­bensmitteln und warmer Klei­dung.
Die zweite Nacht sollten wir so schnell nicht vergessen.
Acht schwere Artilleriege­schütze, die am Abend dort Stellung bezogen hatten, be­legten nachts mit einem Trommelfeuer die Kyllstel-lung, schossen also gegen Niederbettingen. Wir dachten nur noch, den Ort gibt es nicht mehr. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Am anderen Morgen großes Auf­atmen, es hieß, die Amerika­ner hätten die Kyllstellung durchbrochen und seien auf dem Vormarsch zum Rhein. Nach circa vier Tagen kehrten wir aus unserem Notquartier heim. Ein Bild des Grauens lag vor uns. Fast alle Häuser Niederbettingens ohne Dach­bedeckung, in den Fenstern kein Glas. Trotzdem große Freude, als wir unsere zurück­gebliebenen Angehörigen ge­sund wiederfanden. Mit Le­bensmitteln war es nicht be­sonders gut bestellt. Wir Kin­der schlichen um die Feld­küchen der Amerikaner, wo wir dann hier und da eine Do­se Trockenmilch oder Tro­ckenei bekamen, womit dann zu Haus ein Festmahl bereitet wurde.
Die sogenannte „Alte Kyll", eine Wiese zwischen Nieder­bettingen, Kyll und dem Ort Bolsdorf, wurde den Ameri­kanern beim Vormarsch in Richtung Kyllstellung zum Verhängnis. Sie erlitten hier große Verluste. Noch nach Wochen fand man tote deut­sche und amerikanische Sol­daten im Gelände der Kyll. Die Bilanz aus diesem sinnlo­sen Krieg für Niederbettingen war schlimm: zwölf gefallene Soldaten, zwei Zivilpersonen und fünf Vermisste.