Entsorgung nach Kriegsende
Marianne Schönberg, Jünkerath
Wo Menschen leben, wird Müll produziert, in verschie­denen Arten als Grünabfall, Papier, Eisen, Plastik und alles ist säuberlich geordnet. Bei Küchenabfällen, das weiß jedes Kind, geht es um welkes Grün vom Salat, um Strünke vom Kohl oder Schalen aller Art. Die gehören auf den Komposthaufen (so man einen hat) oder in die braune
Tonne. Der Inhalt wird regel­mäßig abgeholt und dem biologischen Kreislauf wieder zugeführt.
Was Kinder nicht wissen, was man ihnen sagen sollte, auch wenn sie es anfangs für ein Märchen halten... ihr Urgroß­vater hat bei Kriegsende - so er in einer Stadt wohnte -genau diese Abfälle gesucht, wie ein Dieb in der Nacht, er
durfte sich nicht erwischen lassen und... er war nie allein. Mit ihm zwängten sich ande­re graue Gestalten leise durch das Geviert des Deckels der städtischen Aschekästen im Großformat. Die gab's in regelmäßigen Abständen zwischen den Mehrfamilien­häusern, sie sollten den Abfall der Öfen - eben Asche - aufnehmen, auch verrott-
bare Küchenabfälle. Nach dem Krieg holte man sich aus den Ruinen der verbrannten Städte einen ver­kohlten Balken, wenn ein kleines Gefährt - ein Kinderwagengestell oder ein Handwägelchen - zu leihen war, vielleicht beim Nach­barn, einem Freund, einem Verwandten.
Küchenabfälle? Fehlanzeige. Salzgemüse brachte keinen Abfall und vom Brot aus der Zuteilung wurde jedes Krümel gegessen. Solche Erinnerung bewahrt mich noch heute, Brotreste, so die überhaupt anfallen, in die Tonne zu geben. Sie werden in einem grobmaschigen Korb gesam­melt, klein gebrochen, getrocknet und immer findet sich jemand, der Vieh hat oder Pferde - solch vorberei­tete Reste sind willkommen. Doch was suchten die Männer bei Kriegsende in den Abfall­gruben, im Dunkeln, im Dreck? Kartoffelschalen aus der Küche der Besatzer. Wa­ren die grob geschält, war's
für uns Kinder ein Fest. Ge­waschen und in Wasser ge­kocht - man aß sie buchstäb­lich mit Haut und Haaren. Oft war kein Holz für den Ofen vorhanden, dann suchte man im Mehrfamilienhaus nach einem Ort, an dem es - aus welchem Grund auch immer -im Herd brannte. Die mit Tüchern gesäuberten Schalen kamen auf die Ofenplatte, einige Familien hatten da ihre Schätze ausgebreitet und der Geruch - wir Kinder empfan­den es als Duft - stieg in die Nasen - alles wurde geteilt, es schmeckte wunderbar. Wer einen Schrebergarten im Stadtbereich besaß, - dem waren gute Zeiten in Sachen Grün und Gemüse beinahe vorbestimmt, er dufte säen, pflanzen. Ich frage mich noch heute, woher die Samen ka­men? Wer kein Gärtchen, kein Gartenbeet sein eigen nannte machte sich auf in die Vororte der Stadt, da gab's zu dieser Jahreszeit Brennnesseln in Fülle - genau die galt es heimzubringen, als Gemüse
waren sie hoch begehrt, und wer an eine Kartoffel kam, die raspelte er ins Brennnessel­grün - ein Gedicht! Das Pflücken von Wildgemüse war keineswegs ungefährlich. Vater und ich gingen mit einem alten Kopfkissenbezug ins Gelände, plötzlich kamen Stukas (Sturzkampfflugzeu­ge), die wahrscheinlich vom Ende der Kampfhandlungen noch nicht informiert waren. Instinktiv gingen wir in Deckung, warfen das weiße Teil zur Seite. Es wurde arg durchlöchert und alle Nesseln waren hin. Das alles ist schon eine Zeitlang her. Solche Erlebnisse kann man verdrän­gen, unter den Teppich keh­ren - und dann genügen zwei Restkartoffeln vom Mittag, die Erinnerung aufzurufen, frisch wie am ersten Tag. Sie sollten in die Tonne - ich hab sie dem nächsten Gericht zu­gefügt, dachte an Vaters Gang in die Grube zu den Schalen, die er sich mit anderen Männern teilte, die uns so viel wert waren.