Moloch Krieg
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Alois Mayer, Daun
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Ist
vom Krieg die Rede, wandern Gedanken hin zu gefallenen Soldaten und
zu zivilen Bombenopfern. Häufig dem Vergessen oder Übersehen anheim
gegeben, nicht immer auf Gedenktafeln oder in Ortsstatistiken
aufgeführt, ist aber die erschreckend große Zahl an Verstümmelten,
Verletzten und Toten, die der Krieg noch Jahre nach seinem Ende unter
der Bevölkerung verlangte. Weggeworfenes Kriegsgerät und herumliegende
Munition forderten ihr Tribut - erschütternd häufig unter der
unbekümmerten, teils leichtsinnigen und die Gefahren nicht erkennenden
Jugend.
Jede Stadt und nahezu jeder Ort des Kreises kennt erschütternde Fälle von Schicksalsschlägen, die der Moloch1 Krieg so grausam beanspruchte.
Einige
wenige Beispiele mögen dies veranschaulichen und Heimatkundler bewegen,
solche und andere vor dem Vergessen zu bewahren: Am 12.2.45 hörte man
in Eckfeld gegen 14.50 Uhr eine laute und scharfe Detonation. Keiner
machte sich tiefere Gedanken. Explosionen gehörten mittlerweile zum
Kriegsalltag.
Anderentags, kurz vor Mittag, begab sich Bauer Hommes aus Eckfeld auf den Weg zu
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seinen
Feldern. Zu Tode erschrak er, als er unvermutet auf Distrikt
Schnellenfeld Leichenteile fand, zerstreut in einem Umkreis von etwa 20
Metern. Und dann entdeckte er neben einem flachen Explosionstrichter
noch einen zweiten Körper. Er erkannte, dass es sich nicht um Soldaten
handelte, sondern um junge Burschen. Den einen glaubte er als einen
Schalken-mehrener zu kennen. Der Manderscheider Gendarmerieposten
wurde gerufen, und dieser konnte dann letztlich feststellen: Bei den
zwei Jungen aus Schalkenmehren handelte es sich um Winfried Droste
(*2.2.1950) und Gerhard Faber. Sie hatten den Auftrag, in Eckfeld zum
Schuster zu gehen. Das Mittagessen hatten sie noch beim befreundeten
Landwirt Sast-ges eingenommen und waren kurz nachher weitergegangen,
aber nicht in Richtung Schalkenmehren, sondern entgegengesetzt. Die
Jungen wussten, dass auf der Gemarkung Eckfeld mehrere
niedergegangene V1-Geschosse zu finden waren, ganze und in Stücke
zerbrochene, deren Zünder auf den Feldern weit umher zerstreut lagen.
Obwohl die Jungen mehrmals vor umherliegender Munition gewarnt worden
und ihnen auch die Gefahren bewusst
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waren,
siegten wohl jugendlicher Übermut und der Drang, Verbotenes zu
besitzen. Die beiden hatten wohl an den Zündern herumgespielt, denn in
der Hosentasche des Schülers Droste fanden sich noch fünf Rollen
Sprengstoff sowie fünf Geschosse von Bordkanonen.
Ebenfalls
am 12.2.45 kam in Oberstadtfeld der französische Kriegsgefangene Marcel
Sa-nous ums Leben. Er war dort bei Landwirt Josef Gerhards beschäftigt.
An jenem Tag sollte er mit seinem Ochsenfuhrwerk im Gemeindewald Holz
abfahren. Er befand sich schon auf dem Heimweg, als ein Wagenrad über
einen versteckt im Gras liegenden V1 Zünder fuhr. Es kam zu einer
mächtigen Detonation. Rasch liefen Oberstadtfelder hin in den
Gemeindewald und fanden dort den Franzosen schwer verletzt. So schnell
es ging, wurde er nach Daun ins Wehrmachtslazarett (Saalbau Schramm)
gebracht. Dort erlag er aber abends seinen schweren Verletzungen.
Beerdigt wurde er am 15.2.1945 auf dem Gemeindefriedhof in
Oberstadtfeld, von wo aus er später exhumiert und in seine französische
Heimat überführt wurde.
21. März 1945. Ein sonniger Tag, das richtige Wetter zur Feldbestellung. Clemens Sun-
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gen, Sohn von Johann und Anna Gressnich, von der Bleckhausener Mühle arbeitete mit seinen Brüdern auf dem Feld, gar nicht weit von der elterlichen Mühle entfernt. Sie spreiteten Mist aus, waren mit dem einen Fuhrwerk bereits fertig. Während Bruder Willi nach Hause ging, sagte Clemens, der erst vor vier Tagen seinen 18. Geburtstag hatte: »Ich gehe noch da unten auf die Wiese und räume Munition fort, damit keine Kinder dran kommen oder sonst etwas passiert.« Eine mächtige Explosion erschütterte das Tal der Kleinen Kyll. Clemens war das Opfer von Minen geworden, die ihn zur Unkenntlichkeit zerrissen
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rem
auch eine Panzerfaust. Keiner weiß mehr genau die Ursache zu erklären.
Bleibt die Vermutung, dass durch den rumpelnden Wagen irgendetwas auf
diese Panzerfaust fiel und sie zur Explosion brachte.
Am
22.4.1945, um 19 Uhr, spielte der schulentlassene Ewald Weber aus
Darscheid, Sohn von Josef W. und Gertrud Häs, mit seinem Freund am
Darscheider Bahnhof. Dort standen etliche ungesicherte Waggons mit
Munition. Beim Spielen mit ihr, explodierten einige Patronen. Ein
heißer Granatsplitter drang in Ewalds Brust und ließ ihn verbluten.
Sein Freund erlitt eine größere
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Armverletzung,
an der er heute noch leidet. So wie in allen Orten des Kreises waren
auch rund um Daun die Wälder voll mit weggeworfener und
zurückgelassener Munition. Diese zu sammeln war befohlene Pflicht
durch die Gemeindeverwaltungen als auch durch die Besatzungskräfte.
Durch den Verkauf von Edelmetallen konnten »Sammler« aber auch noch
manche Mark nebenbei erlösen.
Im
Gemeindewald Rengen befand sich das Munitionslager »Maria«. Dort waren
unter anderem auch die beiden Dauner, Bäcker- und Konditormeister
Christoph Karl Rose, 40 Jahre alt, und der 19jähri-
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und
seinen Brüdern noch Splitterverletzungen zufügten. Heute erinnert
nichts mehr -kein Gedenkkreuz oder Name auf einer Totentafel - an den
jugendlichen
Clemens Sungen. Am 25.3.45 nachmittags kam in Neunkirchen der 66jährige Arbeiter Johann Billen ums Leben. Bei ihm warder 15jährige Horst
Kremer, der sehr schwer am Kopf verletzt wurde. Beide hatten, wie
andere Dorfbewohner auch, den Auftrag, herrenloses Wehrmachtsgut auf
den Fluren und in den Wäldern Neunkirchens einzusammeln. Etlicher
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ge
Kaufmannsgehilfe Richard Thielen eingesetzt. Viele Wagenladungen
Munition hatten sie bereits aus dem Lager geschafft. Es war 17 Uhr.
Feierabend. Heim nach Daun mit dieser letzten Fuhre. Doch dann muss ein
Wagenrad abgerutscht sein und einen Zünder im Straßengraben überfahren
haben. Es kam zu einer riesigen Explosion, die bis nach Daun zu hören
war. Beide waren sofort tot. Ein hübsch gestaltetes Steinkreuz inmitten
des Waldes erinnert heute an den tragischen Unglücksfall. Ein von der
deutschen Wehrmacht zurückge
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Militärschrott lag bereits auf dem Pferde- Gedenkkreuz Karl Rose / Richard Thielen, fuhrwerk, unter ande- 29.9.45 Explosion
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lassener Schuppen voller Munition befand sich auch im Unterweg
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bei
Dreis, mitten in einer Wiese, etwa 80 Meter vom ersten Gehöft
entfernt. Diese hölzerne Bude war stets ordnungsgemäß verschlossen
und mit einem Zaun umgeben. Alle Bewohner wussten von dem gefährlichen
Inhalt des Wehrmachtschuppens, der Ortsbürgermeister hatte Verbote
ausgesprochen und die Eltern ihre Kinder mehr als einmal vor der
Gefährlichkeit gewarnt. Aber Verbotenes verlockt umso mehr.
So drangen am 23. August 1945 um 15 Uhr drei Jugendliche in dieses Munitionsdepot ein, um ihrem Entdeckerund Abenteuerdrang nachzukommen.
Es kam zu einer gewaltigen Explosion, die einen Trichter von zwei mal
zwei Metern riss und das Dorf Dreis erschütterte. Ängste und Sorgen
wurden wach. Alles eilte hin zu dem qualmenden Trümmerhaufen. Aber es
gab nichts mehr zu retten. Die drei jungen Burschen (Ernst Josef
Probst, * 13.7.1931, Sohn von Fuhrunternehmer Nikolaus P. und Therese
Daun; Werner Ullrich, * 23.3.1931, Sohn von Schuster Jakob U. und
Christine Schmitz; Helmut Keul, *5.12.1931, Sohn von Landwirt Michel
K. und Gertrud Klausen) waren bis zur Unkenntlichkeit zerrissen. Heute
kündet ein schlichtes Holzkreuz zwischen zwei Birken am Wegesrand mit
der Inschrift »1945« von dieser entsetzlichen Tragödie. Ebenfalls zu
einem sehr tragischen Unfall kam es am 3. März 1945 in Dockweiler.
Morgens gegen halb neun stand der noch nicht zehn-
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jährige
Schüler Arnold Klausen an der Hauptstraße in Dockweiler und sah den
zurückflutenden deutschen Truppen, den Militärautos und Panzern zu. Im
Straßengraben fand er ein weggeworfenes deutsches Gewehr. Er hob es
auf - und wie Kinder halt so sind - nahm es mit nach Hause, um sich
spielend anzugeben. In der Wohnstube traf er seinen ein Jahr älteren
Bruder Oswald und die 12-jährige Irmgard Häp. Lachend hob Arnold das
Gewehr und rief forsch und soldatenhaft: »Hände hoch oder ich schieße«.
Oswald wollte ihm das Gewehr entreißen, fasste es am Laufund am Kolben und zog. Daraufkrachte ein Schuss.
Oswald schrie auf. Seine linke Hand war pulvergeschwärzt und blutete
stark. Die Kugel war hindurch gedrungen, hatte ihr Zerstörungswerk
aber noch nicht vollendet. Blass und still saß Irmgard auf dem
Fußboden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Mit großen Augen, die
nichts mehr wahrnahmen, starrte sie gegen die Decke. Der Schuss war in
ihren schmächtigen Leib gedrungen und hatte ein junges Leben
ausgelöscht.
Auch
in Wallenborn berauschte sich der Moloch Krieg am Leben kleiner
Kinder. Jedoch weist heute weder ein Gedenkkreuz noch eine -tafel auf
jene Todesfälle hin, die so viel Leid und Tränen in Familien brachte.
Am 22.3.1945 traf es den Schüler Günther Albert Kühnborn (* 24.5.34). Er war in Essen geboren und kam als
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Waisenkind
nach Wallenborn. Dort spielte der Elfjährige -die Gefahr missachtend -
mit dem Zünder einer V1. Dieser explodierte und zerriss das Kind in
Stücke. Knapp drei Wochen später spielte das Kleinkind Anton Hunz (*
28.10.40; Sohn von Johann H. und Maria Pflüger) im Garten im Sand. Wie
kleine Kinder es tun, schlug er mit einer Hacke darin herum. Dabei
muss er eine Handgranate getroffen haben, die niemand vorher bemerkt
hatte. Sie detonierte und verletzte das Kind so schwer, dass es nach
wenigen Tagen, am 12.4.1945 im Krankenhaus verstarb.
Noch
war der Blutzoll in Wallenborn nicht gezahlt. Ein Jahr später, am
5.11.1946, kam Josef Stadtfeld (* 9.5.40, Sohn von Michael St. und
Agathe Theis) aus der Schule nach Hause, hatte gerade zu Mittag
gegessen, als er draußen vor der Haustür im Spiel mit einem Hammer auf
etwas schlug. Der Großvater meinte noch: »Schlag keine Nägel ein, wir
brauchen diese notwendig«, da gab es auch schon einen fürchterlichen
Knall. Josef war sofort tot. Bis heute können sich die Angehörigen nur
erklären, dass der Erstklässler irgendwo einen Sprengkörper gefunden
haben musste, der ihm nun das Leben auslöschte.
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Ein im Alten Testament mehrfach erwähnter Götze des Feuers und anderer
unterirdischen Mächte, ein meist stierköpfig dargestelltes Scheusal,
dem zu Ehren in grausamer Weise Kinder geopfert und den Flammen
übergeben wurden.
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