Bilder kehrten aus den USA zurück
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Hubert Pitzen/Luzia Hütter, Stadtkyll
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Eine
nicht alltägliche „Bildergeschichte" und gleichzeitige
„Auswanderungsgeschichte" soll Gegenstand dieses Jahrbuchbeitrages
sein. Nicht alltäglich ist sicherlich, dass Fotos aus der Eifel nach
Amerika geschickt, dort jahrzehntelang aufbewahrt wurden und
schließlich den Weg wieder in die Eifel zurückfanden. Die Fotos, die
wieder in die Heimat zurückkehrten, zeigen Motive aus Stadtkyll und Jünkerath. Irgendjemand hatte
diese in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in die USA geschickt.
Die Adressatin war die Familie Kettel aus Stadtkyll, die 1929/30 nach
Amerika ausgewandert war. Die Tochter Betty hatte sie aufbewahrt. Als
sie nun erkrankte und in eine kleinere Wohnung umziehen musste, fand
sie die Bilder und schickte sie zurück nach Koblenz, wo noch Verwandte
leben. Von dort gelangten die Stadtkyller und Jünkerather Fotos zur
Familie Karl Hütter nach Stadtkyll. Die Jünkerather Fotos zeigen den
Jünkerather Karnevalsumzug des Jahres 1952 und das Café Josef Leinen.
In den Jahren 1950 bis 1952 gab es im Jünkerather Karneval ein
Dreigestirn. Das Foto von 1952 zeigt den Prinzen Hubert (Heinzen), den
Bauern Franz (Freischmidt) und die
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Jungfrau
Ellen (Kirsch). Ebenso hatte das Foto des heutigen Café Regnery die
Reise nach und von Amerika gut überstanden. Auf der Rückseite des Fotos
findet sich folgende Beschreibung: „Altes umgebautes Haus von Josef
Kreisel, jetzt Josef Leinen, Konditorladen, Backwaren, Café mit Wein,
Likör-Ausschank, Jünkerath 1934". Zur Familie Wilhelm Kettel gehörten
Lena, geborene Schmitz sowie die Kinder Tony, Eddy und Betty. Betty
schrieb ihre persönlichen Erlebnisse auf, sodass wir gut über die
Auswanderung informiert sind. Zunächst erzählt sie von ihrem Heimatort
Stadtkyll, ihrer Familie, dem 1. Weltkrieg und der schlim-
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men
Nachkriegszeit. Ihr Vater Wilhelm wurde 1895 in Stadtkyll geboren und
war das älteste von vier Kindern (Caspar, Marie und Lenchen). Die
Mutter Lena starb, als ihre Tochter ungefähr vier Jahre und Wilhelm
gerade zehn Jahre alt waren. Betty schreibt (Text aus dem Englischen
übersetzt): „Es war eine schwierige Kindheit für alle Kinder. Die
Nachbarn halfen aus, so gut sie konnten. Die Stadt (=Stadtkyll) war
klein und von einer Burg beherrscht auf einem Berg. Die Straße zur Burg
(=Burgberg) war auf beiden Seiten mit Häusern bestanden. Am Fuß des
Berges stand die Kirche. Auf der einen Seite fiel der Grund ab und die
Häuser
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Karnevalsumzug
1952 in Jünkerath. Auf dem Prinzenwagen v.l.n.r. Bauer Franz
(Freischmidt), Jungfrau Ellen (Kirsch) und Prinz Hubert (Heinzen)
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in diesem Gebiet wurden Loch' genannt. Im Zentrum des Lochs'
stand das Schmitz-Haus mit Scheune. Dort wohnte meine Mutter mit ihrer
Mutter Katharina und ihrem Vater Eduard Schmitz. Meine Mutter war die
älteste von vier Kinder. Hans, Adolf und Elisabeth folgten. Hans fiel
im 1. Weltkrieg ...Es
war ein Schock für die Familie, als sie vom Tod erfuhr. Adolf war zu
jung für die Armee. Er arbeitete in einer Brauerei... Als Papa aus dem
Krieg heimkehrte, ging er zur Handelsschule nach Koblenz. Er lernte
Maurer und Zimmermann. Nach zwei Jahren kehrte er zurück und arbeitete
für Jemanden in Stadtkyll, baute Häuser und Geschäfte im Dorf...
Die
Wirtschaftskrise war überall verheerend. Mutter erzählte von Einkäufen
von Kaffee, Seife und anderen Dingen, die man nicht auf dem Bauernhof
herstellen konnte. Sie mussten einen Kleiderkorb voll mit Geld zum
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Geschäfte
nehmen, um die neuen Dinge zu kaufen. Seit Mamas Familie Kühe und
Hühner sowie einen Gemüsegarten hatte, hatten sie etwas zu essen und
teilten mit anderen Familien und Nachbarn... Die Wirtschaftskrise war
so schlimm, dass einige junge Männer sich zur Auswanderung nach
Amerika entschlossen. Mein Vater baute ein Appartement im oberen Stock
des Schmitz-Hauses, wo der Heuboden gewesen war." Betty Kettel
berichtet in ihren Aufzeichnungen von der Auswanderung und ihren
ersten Jahren in den Vereinigten Staaten, dem „Land der unbegrenzten
Möglichkeiten". Ihr Vater war bereits am 17. März 1928 zusammen mit
Hermann Denenke und August Drewes nach New York gereist. 1929 kehrte
Wilhelm Kettel nochmals nach Stadtkyll zurück und besuchte seine
zurückgebliebene Familie. Doch am 25. Juni 1930 kam auch für Frau Lena,
Betty, Tony und Eddy der Tag der Ausreise. Über die Abreise
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schreibt Betty: „Ich
erinnere mich an eine große Holzkiste und den gepflasterten Hof in
Stadtkyll. In der Holzkiste waren alle Habseligkeiten platziert, die
die Familie zur Auswanderung brauchte: Federbetten, Decken,
Kopfkissen, Töpfe, Pfannen, Wintersachen etc. Großmutter Schmitz
erlaubte nicht, die besten Teller und Gläser einzupacken. Sie sagte,
sie würden noch da sein, wenn ihre Tochter und ihre Familie in zwei
oder drei Jahren zurückkehrten. "
Tony
war 5, Betty 4 und Eddy 3 Jahre alt, als die Ausreise anstand. Wilhelm
Kettel besaß ein Appartement in Bailey Port und erwartete ihr Kommen.
Die Überfahrt nach New York bot so manches Abenteuer. Über die
Schiffspassage berichtet Betty: „Eines Tages zog mich Tony weg um
herauszufinden, was sich so alles hinter den großen Türen des Schiffes
befand. Wir gingen einige Treppen herunter. Tony öffnete eine Tür.
Dahinter lag eine Menge Truhen, Koffer, Kisten und Käfige. Wir waren
nur wenige Sekunden hinter der Tür, als alle Arten von Knurren und
Bellen zu vernehmen war. Wir bekamen einen gewaltigen Schreck und
erstarrten. Nach einer Weile fassten wir uns an den Händen und rannten
heraus, die Treppe hoch, so schnell wir konnten. Später hörten wir,
dass jemand die Tür geöffnet haben sollte, hinter der die Hunde,
Katzen und andere Tiere sich aufhielten, die mit uns in die
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Café Josef Leinen in Jünkerath 1934
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USA
transportiert wurden. Wir erzählten es niemandem, bis wir in den 20er
Jahren waren, als wir Erinnerungen und Geschichten zurückriefen und sie
Mama erzählten. Sie sagte, dass sie immer geglaubt habe, dass wir es
gewesen seien, aber sie wollte uns nicht danach fragen. Ein anderes
Mal hielten sich die Passagiere, einschließlich uns, auf dem Hauptdeck
im Sonnenschein auf. Dort befanden sich viele Kinder. Einige Matrosen
waren auf dem Oberdeck und warfen Schokoladenbonbonsfür uns Kinder
herunter, die wir aufschnappten. Ich sah die Matrosen über uns und
dachte, dass es besser wäre, oben zu sein. Eine Strickleiter hing vom
Oberdeck herunter. Ich schickte mich an hoch zu klettern. Als ich hoch
genug und außer Reichweite des Hauptdecks war, blies ein Windstoß die
Strickleiter über die Reling heraus. Im Angesicht des Meeres wollte ich
die Leiter verlassen. Ich taumelte herunter und als ich die Reling
passierte, reichte ein Mann nach mir, packte mein fliegendes Kleid und
stieß mich zurück aufs Deck. Er sagte, wenn ich ein Junge gewesen wäre,
wäre nichts zum Anpacken gewesen. Das war das erste Mal, dass ich
glücklich war, ein Mädchen zu sein. Meine Mutter dachte dasselbe, aber
ich bin sicher, sie hatte noch andere Gedanken." Schließlich kamen
sie in Ellis Island an. Die medizinische Untersuchung war bereits vor
der Abreise in Bremen erfolgt. Nun galt es, sich in der Neuen
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Familie Wilhelm und Lena Kettel mit ihren Kindern Tony, Eddy und Betty nach ihrer Auswanderung. Aufnahme von 1934
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Welt
zurechtzufinden. Keiner sprach Englisch. Der Vater musste sich
beruflich in wirtschaftlich schwerer Zeit orientieren. Betty berichtet
in ihren Erinnerungen über die ersten Jahre in den USA: „Wir kamen
am 2. Juli 1930 in den Vereinigten Staaten an. Am 4. Juli hörte Mama
alle möglichen Geräusche, die von draußen kamen. Als Papa nach Hause
kam, saßen wir Kinder auf dem Bett und Mama packte wie wild. Papa
fragte, was los sei und Mama sagte: Wir fahren mit dem
nächsten Schiff zurück. Sie haben hier einen Krieg begon-nen!' Es
brauchte eine Menge Erklärungen und Versicherungen, ihr die Bedeutung
des 4. Juli in den USA klar zu machen." Es handelte sich um den amerikanischen Unabhängigkeitstag. „Es war 1930 eine schlechte Zeit, nach Amerika zu kommen, aber es war doch besser als in Deutschland. Während der ersten Jahre arbeitete
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Papa
für Mr. Lindaman, der Häuser, Bungalows und Garagen baute. Als die
Wirtschaftskrise schlimmer wurde, musste Papa zur WPA (Works projekt
administrati-on) Was er arbeitete, weiß ich nicht...
Bei der Ankunft in Amerika beherrschte natürlich keiner von uns die englische Sprache. Eines Tages saß ich auf einem Straßenrandstein und sortierte Kieselsteine, als ein Polizist erschien. Als er mich ansprach, kam unsere Nachbarin aus dem Haus. Sie erklärte ihm, dass ich ihn nicht verstehe. Der Polizist nahm mich an der Hand und die Nachbarin klingelte an unserer Haustür. Meine Mutter verstand den Polizisten nicht. Die Nachbarin erklärte in Deutsch, dass der Polizist gefragt hätte, warum das Mädchen nicht in der Schule sei. Die Nachbarin antwortete: Das kleine Mädchen kann noch kein Englisch sprechen.' Darauf antwortete derPoli-
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Die
Küche teilten wir uns. Meyers hatten drei Jungen: Richard, Alfons und
Willi. Sie waren genauso alt wie wir drei. Die Familie kam ebenso aus
Deutschland nicht weit weg von Stadtkyll. Mit den Jahren verloren wir
den Kontakt. Das Einzige, an das ich mich erinnere, war ein Foto von
Richy, das meine Mutter besaß. Richy wurde nach Deutschland
zurückgeschickt, um dort zur Schule zu gehen. Frau Meyer hatte meiner
Mutter ein Foto von Richy in einer Hitler-Uniform gegeben. Als der 2.
Weltkrieg begann, mussten wir uns als feindliche Ausländer beim
Postamt melden. Mama verbrannte das Bild von Richy. Sie fürchtete sich
vor den Offiziellen, die ins Haus kamen. Ich erinnere mich noch gut an
die Abgabe der Fingerabdrücke. Es machte mir Angst, aus dem Land
geschickt zu werden." Als Tony und Eddy zur US-Armee eingezogen wurden, erhielten sie die Einbürgerung. Betty wurde 1948 Bürgerin der USA.
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Wilhelm und Lena Kettel vor ihrem Anwesen und Gefährt.
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zist: Sie schicken das Kind besser zur Schule, weil sie hier
nicht Englisch lernen kann. ... Eines Tages ging meine Mutter mit mir
zur öffentlichen Schule, die für uns drei Geschwister zuständig war.
Ich war acht Jahre alt und erinnere mich an Mütter, die mit ihren
Kindern in einer Schlange darauf warteten, von einer Frau an einem Pult
befragt zu werden... An die Zeit des „Dritten Reiches" und des 2. Weltkrieges erinnert sich Betty folgendermaßen: „ Unser erstes Appar-
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tement
befand sich über einer Teppichreinigung. Wir dachten es sei großartig,
dass eine Eisenbahnlinie direkt hinter dem Haus vorbeilief. Meine
Brüder und ich lehnten uns aus den Schlafzimmern heraus und winkten
wie wild dem Lokführer und Schaffner zu, wenn der Zug pfeifend
vorbeifuhr.
Außerdem
wohnten wir in St. Albans und Barkley Park. In Jamaica' teilten wir
uns ein Haus in der 182ten Straße mit der Familie Meyer. Sie wohnten
unten und wir oben.
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