Kindheitserinnerungen
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Kriegserlebnisse in einem Eifeldorf
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Tamara Retterath, Lirstal
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Ein Zeitzeuge schilderte mir seine Erinnerungen an die Zeit um das Kriegsende folgendermaßen:
Ich
bin Jahrgang 40 und habe das Ende des Krieges als kleiner Bub in einem
kleinen landwirtschaftlichen Betrieb in einem ebenso kleinen Eifelort
miterlebt. Während des Krieges war mein Vater - wie viele andere
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Väter
auch - als Soldat an der Front und ich lebte mit meiner Mutter und
meiner Oma auf dem Bauernhof. Ab und zu kam es vor, dass ich als
kleines Kind bei den Nachbarn vorbeischaute. In dem Haushalt nebenan
faszinierte mich damals ein großes mit schwarzem Stoff überzogenes
Wandbild, auf dem unzählige kleine Schmuck-Ansteckna-
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deln
mit kleinen bunten Plaketten angebracht waren. Manche blitzten und
blinkten gold- oder silberfarben, andere hatten schöne Motive mit
eingelegten Emaillearbeiten in vielen verschiedenen Farben. Manchmal
schenkte mir der „nette" Nachbar, eine solche Anstecknadel und ich
freute mich über das Schmuckstück mit dem bun-
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ten
Bild wie ein Schneekönig. Freudestrahlend lief ich anschließend zu
meiner Mutter und zeigte ihr stolz meinen Schatz. Keinen Ton ließ sie
dazu vernehmen, als sie sich die Nadel anschaute. Nachdem ich den
Anstecker irgendwo abgelegt hatte, war er kurz darauf verschwunden. Ich
konnte danach suchen, soviel ich wollte, niemals fand ich ihn wieder.
Dies wiederholte sich während des Krieges öfter. Immer, wenn ich eine
solche Anstecknadel bekommen hatte, ging sie kurz darauf verloren oder
war kaputt. Heute weiß ich natürlich, dass der „nette" Nachbar als
Ortsgruppenleiter von der NSDAP eingesetzt worden und begeisterter
Anhänger desselben war. In seiner nationalsozialistischen Funktion
besaß und verteilte er viele Abzeichen und Anstecknadeln der
jeweiligen Gruppen, wie Jungvolk, Hitlerjugend, Frauenbund, Deutsche
Arbeitsfront, Arbeitsdienst, Wehrmacht, Nationalsozialistische
Volkswohlfahrt und andere.
Meine
Mutter war keine Anhängerin dieser Partei und hatte die unbeliebten
Abzeichen stets heimlich „eingezogen". Sie war eine gutherzige Frau.
Eine ausgebombte Familie aus der Stadt nahmen wir bei uns auf. Mit
anderen Frauen aus dem Ort brachte sie auch russischen
Kriegsgefangenen, die im Straßenbau eingesetzt waren, täglich ihr
Mittagessen mit Essgeschirr. Als kleiner Bub begleitete ich meine
Mutter dabei und empfand den mit einem Gewehr
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bewaffneten Aufseher einschüchternd.
Einige
Zeit später war der Krieg verloren. Die deutschen Soldaten befanden
sich auf dem Rückzug. So kam es, dass einige Soldaten bei uns in der
Küche übernachteten. Ich erinnere mich noch genau daran, wie alle in
eine Landkarte schauten und berieten, wie sie am besten weiter kommen
konnten. An den Einmündungen und Kreuzungen war bereits die
feindliche Besatzung, denen die deutschen Soldaten nicht in die Hände
fallen wollten. Der Rückzug war nur nachts und nur über nicht
öffentliche Feldwege möglich. Später kam ein einzelner Soldat auf dem
Rückzug mit einem Pferd bei uns an. Dieser weinte, weil er nicht
wusste, wie er sein Pferd durchbringen sollte. Meine Mutter bot ihm
an, das Pferd einen Tag in unserem Stall unterzubringen, wo wir es mit
Heu, Hafer und Rüben fütterten und so erst einmal wieder aufpäppelten.
Auch dieser Soldat guckte auf unsere große Landkarte, in welche
Richtung er weitergehen würde und suchte nach einem Weg, um dem Feind
auszuweichen. Als er und sein Pferd satt waren, marschierten sie
gestärkt weiter.
Im
Nachbarort waren während des Krieges Franzosen im dortigen Jugendheim
quartiert. Tagsüber wurden sie auf die einzelnen Bauernhöfe verteilt,
um den Leuten bei der Landwirtschaft zu helfen. Die Landwirte selbst
waren ja als Soldaten im Krieg. Auch uns half ein Franzose
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bei der Landarbeit. Er hieß Josef.
Als
sich abzeichnete, dass der Krieg für die Deutschen verloren war,
bangten die Franzosen um ihr Leben. Daher versteckten wir Josef in
einem selbstgebauten Bunker im Wald. Fast jeder Haushalt hatte zu der
Zeit einen solchen. Unsere Mutter schickte uns Kinder täglich zu
diesem Bunker, wo sich der Josef versteckt hielt, um ihm Essen zu
bringen. Erwachsene hätten sich verdächtig gemacht, wenn sie jeden Tag
eine bestimmte Stelle im Wald aufgesucht hätten. So schützten wir
unseren Franzosen. Als schließlich die Amerikaner in unseren Ort
eintrafen, war die Situation für Josef wieder sicher. Er dankte uns und
verabschiedete sich. Dann bestieg er einen amerikanischen
Militärwagen, der für ihn der erste Schritt in Richtung Heimat
bedeutete. In dem Moment als die amerikanischen Panzer durch unseren
Ort kamen, rannte unser Ortsgruppenleiter als Erster mit einer weißen
Fahne heraus und begrüßte die amerikanischen Soldaten. Noch vor
kurzem hatte er meiner Oma angedroht. „Wenn Du noch einmal gegen Hitler
redest, sorge ich dafür, dass du in ein Konzentrationslager kommst!"
Ein französischer Zwangsarbeiter, der ebenfalls im Ort in der
Landwirtschaft eingesetzt war und mitbekommen hatte, wie scheinheilig
der Ortsgruppenleiter die amerikanischen Besatzungssoldaten begrüßt
hatte, rief dem Ortsgruppenleiter völlig
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erregt
mit erhobenem Zeigefinger zu: „Du auch immer Heil Hitler! Du auch
immer Heil Hitler!" Jedoch der Wendehals kam ungeschoren davon.
Am
Rande unserer Ortschaft schlugen die Amerikaner eine Feldküche auf.
Dort fielen jede Menge Essensreste an, die die amerikanische Besatzung
in eine in der Dorfmitte stehende 200-Liter-Tonne kippten. Diese
sollten dann an die Hausschweine verfuttert werden. Was alles in dieser
Tonne als Abfall lag, war unbeschreiblich: 20 cm dicke Wurstreste, Obst
und viele andere Lebensmittel. Manchmal schwammen dort auch
unversehrte Apfelsinen und Bananen in der Brühe. Wenn ich morgens wach
wurde, lief ich an diese Tonne und fischte mir eine unbeschädigte
Orange heraus. Wir hatten auf dem Land keinen Hunger gelitten, aber es
gab nur ganz wenig Obst und schon gar keine exotischen Früchte. Das
waren die ersten Apfelsinen, die ich in meinem Leben gegessen habe.
Bei
einer Begegnung mit einem amerikanischen Soldaten hatte dieser mir
eine Rolle Fruchtdrops geschenkt. Zuhause zeigte ich die Süßigkeit
freudig meiner Mutter. Sie sagte, ich solle dem Soldaten als Dank ein
halbes Brot hinbringen. Damit waren die Amerikaner so froh - sie
liebten das deutsche Schwarzbrot - dass sie mir Kaffee, Schokolade
und Brausepulver schenkten. Ich konnte mit meinen kleinen Armen kaum
alles nach Hause tragen. Was
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war
das für eine unvorstellbare Freude, die vielen Lebensmittel auf dem
heimischen Tisch zu haben! Eine richtige Sensation, denn das gab es
nicht zu kaufen. Auf unserem außerhalb gelegenen ebenerdigen
Grundstück errichteten die Amerikaner einen Sportplatz, wo sie
Baseball und Tennis spielten. Für meinen rauchenden Großonkel suchten
wir auf diesem Sportplatz Zigarettenkippen. Wir fanden auch
Baseballbälle, die die Amis nach einem Spiel liegen gelassen hatten,
weil ihnen das Aufheben zu lästig war. Man entfernte die Hülle des
Balls und benutzte das Garn in der Mitte zum Stricken. Für die
Dorfbevölkerung wurden die Zeiten wesentlich härter, als die
französischen Besatzungssoldaten kamen. Schusswaffen, optische Geräte
wie Fotoapparate oder Fernrohre mussten der Besatzung übergeben
werden. Vieh wurde unter französischer Besatzung enteignet. Großtiere
mussten in den Nachbarort getrieben werden, wo eine Kommission sich die
besten Tiere aussuchte und sie beschlagnahmte. Auch
Betriebskontrollen wurden ohne Vorankündigung durchgeführt und
es wurde viel konfisziert. Schlachten von Großvieh wie Rind oder Sau
war verboten. Nur die Schlachtung von Kleinvieh war erlaubt. Einmal sah
ich kleiner Bub durch unser Stallfenster eine geschlachtete Sau hängen
und sagte das meiner Mutter. Diese erwiderte mir: „Da irrst du dich!
Das ist ein Kaninchen! Das Stallfenster wirkt wie ein
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Vergrößerungsglas,
wie eine Lupe, so dass das kleine Kaninchen nur optisch größer wirkt!"
Schon öfter war es vorgekommen, dass sich Kinder bei irgendjemandem
verplappert hatten und Dinge ausplauderten, die sie in diesen Zeiten
nicht sagen durften, um die Familie nicht in Gefahr zu bringen.
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