Amerikanische Besatzung an der Kyll
Peter Jakobs, Simmern
Der 5. März 1945 war kein Tag wie andere. Im Wehr­machtsbericht lesen wir u.a. „Östlich von Prüm gelang es dem Gegner, unsere Truppen auf die Kyll zurück zu drücken."
Jeder im Ort merkte es oder vernahm es von den wenigen zurückkommenden Fall­schirmjägern der 5. Division, dass es nicht mehr lange dau­ern könnte, bis die Alliierten die dünne Abwehr im Raume Büdesheim, Fleringen, Oos überlaufen und bis zur Kyll vorstoßen würden. Schweres Artilleriefeuer lag den ganzen Tag auf dem Ort und der Kyllstellung. Die Bevölkerung hielt sich in den Kellern auf, die provisorisch
für den Aufenthalt hergerich­tet und abgestützt waren. Pioniere sprengten die Schie­nenstränge der Bahnstrecke Trier-Köln. Was folgte, war eine unruhige Nacht in Er­wartung des Geschehens am nächsten Tag.
Am Morgen wurden die letz­ten Soldaten im Dorf gesehen, die nach Einnahme eines dürftigen Frühstücks über den Rother Berg in den Kampf zogen. Im Kampfbericht der US-Truppen ist festgehalten, dass Niederbettingen am 06.03.1945 um 11,00 Uhr ein­genommen wurde. Dies ging nicht ohne schwere Kämpfe und hohe Verluste auf beiden Seiten. Aber die Kyll war erreicht -
jedoch nicht überschritten, die deutschen Fallschirmjäger in der Stellung am Ostufer wehrten sich hartnäckig und hatten kaum schwere Waffen, im Gegensatz zu den vielen Panzern der US-Truppen, die im Flur aufgefahren waren und die ganze Nacht die Stellung mit schwerem Feuer bedachten. Zum Durchbruch kam es nicht, vornehmlich auf der „Alten Kyll" blieb eine Vielzahl von toten US-Solda­ten zurück.
Während der Kampfhandlun­gen wurden die Bewohner des Ortes z.T. rückwärts nach Roth geleitet und dort in einer Scheune untergebracht, den Rest brachte man im Hause Endres-Kuhlen unter. Der
Eingang wurde von einem Yankee bewacht, es wurde nur kurze Abwesenheit zum Viehfüttern gestattet. Recht ungemütlich war es im Keller, man musste zum Teil auf den Kartoffelvorräten liegen, ohne eine Möglichkeit, eine Toilette zu benutzen. Die ganze Nacht hörten wir die Panzerkanonen, ein US-Offi­zier drohte für den nächsten Tag den Einsatz der Luftwaffe an, falls deutscherseits die Kyllstellung weiter so vertei­digt würde.
Was dann vom Dorf übrig geblieben wäre, kann man sich denken.
Mittlerweile hatten die Panzer mit Phosphor-Granaten mehrere Scheunen in Brand geschossen, Löscharbeiten wurden nicht gestattet. Der 07.03.1945 kündigte sich an und brachte die Überra­schung: In Oberbettingen hat­te man die Stellung in Rich­tung Hillesheim durchstoßen, gleichfalls im Raume Dohm und Gerolstein. Somit war jeder Widerstand in der Kyll­stellung sinnlos geworden.
Rückzug wurde befohlen und so meldete der Wehrmachts­bericht vom 07.03.1945: „Zwischen Kyll und Mosel konnte der Feind mit einem Panzerkeil unsere Linien durchstoßen. Heftige Kämpfe mit den in Richtung auf die Mosel vorgehenden Panzer­kräfte sind im Gange." Für uns war der Krieg somit vorbei, die Tage des Schreckens Vergangenheit. Der letzte Pulverdampf hatte sich aus dem Kylltal verzo­gen, zurück blieb ein Chaos. Häuser, Straßen, Wald und Flur waren verwüstet und heruntergekommen. Gefallene Soldaten wurden gefunden und beerdigt. Überall lagen Waffen und Munition herum, von Freund und Feind. Nie­mand wusste, ob die Kyllstel­lung nicht etwa auch vermint sei. Die heimische Verwaltung war abgesetzt - es herrschte das strenge Regiment der Mi­litärregierung. Die kämpfende Truppe und die Nachschub-einheiten blieben nicht lange in unseren Dörfern. Vielfach hinterließen die abziehenden
Truppen ein Chaos. Das Eigentum der Bürger war durcheinandergewirbelt und verschleppt. Oft fanden sich Teile beim Nachbarn wieder. Es gab auch ernste Meinungs­verschiedenheiten, da des öfteren fremdes Gut in Besitz genommen wurde und z.B. gezeichnete Wäschestücke irgendwo beim Trocknen auf fremden Wäscheleinen wie­dergefunden wurden. Der Krieg war für uns vorbei, leider konnten wir aber nichts über das Weltgeschehen im Radio hören, da alle elektri­schen Leitungen zerstört wa­ren. Die letzte Post war Mitte Januar 1945 gekommen, die letzte Zeitung stammte vom Dezember 1944. Vom Rhein her hörten wir noch Kanonendonner. Und die feindlichen Bomberver­bände, die immer noch bis Ende April 1945 über die Eifel hinwegzogen, verrieten, dass das unselige Ringen noch nicht beendet war. Im Innern Deutschlands tobte der Krieg weiter und forderte noch viele Opfer.