Es galt etwas Neues zu schaffen
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Gretel Körner - te Reh, Ahlen
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Am
8. Mai 1945 war zwar der Krieg zu Ende, für meine Mutter und mich war
der Frieden aber nicht vollkommen. Der Mann und Vater war kurz vor
Kriegsende in russische Gefangenschaft geraten; er hätte sich von der
Insel Bornholm noch in Sicherheit bringen lassen können, doch er wollte
„seine Leute" nicht im Stich lassen. Er war Regimentskommandeur,
damals einer der jüngsten im Heer;
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teilweise
unterstanden ihm bis zu 6000 Soldaten. Lange Zeit hörten Mutter und ich
gar nichts von Vater, bis dann endlich eine kurze Nachricht aus Ufa im
Ural eintraf. Er lebte, das war die Hauptsache! Aber es gab Gerüchte,
dass Kriegsgefangene oft schlecht behandelt oder sogar getötet wurden.
Das wusste Mutter, sie bangte lange um ihren Mann, dennoch war sie
immer über-
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zeugt, dass er „irgendwann" wieder heimkommen würde. Ihr unerschütterliches Gottvertrauen machte sie stark und geduldig.
Die
Erlösung aus der Unge-wissheit kam per Kurzmitteilung vom
Durchgangslager Friedland, Mitte Dezember 1949. Und als Vater dann
schon am Silvestertag 1949 mit der Eisenbahn in Gerol-stein eintraf,
durften Mutter, ich und die ganze Verwandt-
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schaft
erst realisieren, dass er heil aus dem Krieg zurückgekehrt war. Eine
warme Wohnung, Essen und Trinken und ein heimgekehrter Vater, das war
Glück und brachte uns persönlich Frieden. Wir alle haben die Zeiten der
Trennung, der Entbehrung und der Ungewissheiten recht gut gemeistert.
Vater hatte seine Ehefrau wiedergefunden und ein Kind, das ihn nur
durch Erzählungen kannte und ihn mit 5 1/2 Jahren zum ersten Mal sah!
Es war gar nicht selbstverständlich in jener Zeit, dass Familien
wieder so weiterlebten wie vor dem Krieg. Viele Menschen fühlten sich
nicht mehr gebunden an Versprechen und Treuegelöbnisse, abgegeben in
Zeiten der Kriegsgeschehnisse. Unsere ganze Familie, auch die
erweiterte Großfamilie, hat zusammengehalten. Mit Rat und Tat,
besonders auch mit Geld, hat man sich geholfen. Dieses
Zusammengehörigkeitsgefühl machte stark, machte einfallsreich, machte
zufrieden! Eine große Hürde gab es dennoch zu bewältigen: Vater hatte
nun keinen Beruf mehr, wie sollte er die Familie ernähren? Der Krieg
war verloren, eine Wehrmacht gab es 1950 nicht mehr, erst 1955 baute
man die neue deutsche Bundeswehr auf. Vater hatte nach seinem Abitur
1934 eine Banklehre absolviert, anschließend den Arbeitsdienst
abgeleistet, um dann als Offizier die Aufstiegsleiter bis zum
Oberstleutnant zu erklimmen. Nun, nach knapp fünfjähriger russischer
Gefangenschaft,
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stand er vor dem beruflichen Nichts!
Es
galt etwas Neues zu schaffen, eine Existenz aufzubauen - der Kampf war
hart. Ein Einstieg ins Bankgeschäft und in Bürotätigkeiten war schier
aussichtslos. Andere, früher aus dem Krieg Heimgekehrte, hatten viele
Positionen besetzt. Vater wurde Kaufmann. Mutter hatte durch
20-jährige Mitarbeit im Geschäft ihrer Mutter, meiner Großmutter in
Salm, kaufmännische Erfahrungen gesammelt. Sie unterstützte ihn beim
Erlernen der Buchführung, beim Studieren der Einkaufs- und
Verkaufsstrategien. Bei der Industrie-und Handelskammer in Trier legte
er nach entsprechenden Lehrgängen Ende 1950 seine Prüfung ab und durfte
in Gerolstein, am Bahnhof, ein Geschäft eröffnen: Tabakwaren,
Süßwaren, Spirituosen. Es war eine schwere Zeit für Vater!
„Bitteschön",
„ Dankeschön", „Was darf es sonst noch sein?", „Womit kann ich
dienen?" Nein, letzteres hat er niemals gesagt! Er war kein Diener
seiner Kunden! Er war ihnen gleichgestellt, er hatte Charisma, er war
auch Respektsperson, gab dem Geschäft eine persönliche Note. Eine
Begebenheit aus den Anfangsjahren des Geschäftslebens ist unserer
Familie besonders im Gedächtnis geblieben: Ein junger Mann,
verwöhnt, aus reichem Hause, betrat an einem Wintertag das Geschäft
und ließ die Ladentür sperrangelweit offen stehen. Vater bat ihn, die
Tür zu schließen, da es doch bit-
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terkalt
sei. Der junge Mann entgegnete: „Nein, dafür sind Sie ja da!" Vater war
außer sich! Er sollte die Tür für einen „Lümmel" schließen, er, der
Tausende von Menschen in schweren, kriegerischen Zeiten geführt hatte.
Er konnte sich stundenlang nicht beruhigen, verwünschte seinen neuen
Beruf, verwünschte Arroganz, Dünkel, Hochmut und Blasiertheit. Wir
wissen nicht mehr, ob er den „Kunden" damals hinausgeworfen oder ob er
ihn „stramm stehen lassen" hat. Vater war kein Kaufmann im eigentlichen
Sinn. Dennoch brachte er die Familie zu bescheidenem Wohlstand. Er war
nicht immer glücklich in seinem Geschäft, hatte aber seinen Frieden
gefunden. Er fügte sich den Gegebenheiten, war dankbar für das Fuß
fassen nach dem Krieg und für seine intakte Familie. Wann immer Vater
konnte, entfloh er dem Geschäft zur Post, zur Bank, zum Buchhändler,
zum Textil-Geschäft, zwecks geschäftlicher Transaktionen
beziehungsweise Besprechung der „Selbstständigen Kaufmannschaft".
Oftmals war ich dann die Vertretung im Geschäft, wartete sehnsüchtig
auf seine Rückkehr, doch er ließ sich Zeit. Aufgaben hatte er mir
genügend zugeteilt: Vitrinen ausputzen, neu dekorieren,
Zigaretten-Automat auffüllen, Kleingeld in entsprechendes Papier für
Post und Bankrollen, nicht zu vergessen das höfliche Bedienen der
Kundschaft. So unter der Hand lernte ich, dass Zigarren gut abgelagert
sein müssen, sol-
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len
sie dem Kunden zusagen; Schokolade und Pralinen jedoch müssen absolut
frisch sein, sollen sie erstklassige Geschmackserlebnisse darstellen.
War das gewünschte Produkt einmal nicht vorrätig, so hatte ich mir
einge-
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prägt, welcher gleichwertige Artikel als Ersatz angeboten werden konnte.
Ich habe also als Teenager schon am eigenen Leibe erfahren, wie mühsam der Gelderwerb sein kann.
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Nicht
nur nach Kriegszeiten war und ist es schwierig, Frieden zu finden.
Viele finden ihren Frieden erst spät, wenn sie sich endlich mit
unabänderlichen Umständen abgefunden haben und beginnen, in sich zu
ruhen.
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