Das »Krumme Stück«
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Roswitha Zens, W i e s b a u m
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unsere Eltern am 10. Juni 1944 heirateten, war dies auf Grund der
Kriegsgeschehen eine eher hektische Angelegenheit. Mein Vater, der bei
der Flak an der Saale die großen Leuna-Werke bewachte, konnte mit
Hilfe seines Vorgesetzten noch kurz vor der großen Urlaubssperre
abreisen, um seine Braut Mariechen heiraten zu können. Kennen gelernt
hatten sie sich bei der Einquartierung im Haus von Jött und Patt (=
Patin und Pate) in Kerpen, bei denen unsere Mutter aufgewachsen war.
Wo die Eifel lag, wusste die väterliche Familie von der Ruhr
eigentlich nur, weil unsere Oma zur Wallfahrt des heiligen Rockes nach
Trier mit dem Zug durch unsere damals karge Gegend fuhr und entsetzt
war über die bittere Armut der Eifeler. Man kann sich vorstellen, dass
sie von der Absicht ihres Sohnes nicht gerade begeistert war, so weit
entfernt von einem aufstrebenden westfälischen Industriestädtchen zu
heiraten.
Bei
der Einquartierung 1939 stellte sich heraus, dass mein Vater zwar der
Soldat mit den schönsten blauen Augen, aber ansonsten recht schüchtern
war. Als er aber mit seinem schweren Scheinwerfer, der sonst die
herannahenden Flugzeuge aufsuchen sollte,
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immer
durch das Fenster bei Jött und Patt die Küche auch am späten Abend
taghell erscheinen ließ, war das eine ernstzunehmende Annäherung, die
alle in der Familie eindeutig verstanden. Nach solchem Kennenlernen,
nach Jahren der Trennung durch Militär und Arbeitsdienst, war es nun
endlich soweit. Es wurde Hochzeit gefeiert mit einigen nahen Verwandten
aus dem Ruhrgebiet und aus Hillesheim.
Am
andern Tag durfte meine Mutter ihren Ehemann mit dem Zug nach Osten an
die Saale begleiten, wo seine Kameraden schon auf ihn warteten. Als
Hochzeitgeschenk bekamen sie von der Kompanie ein Ölgemälde, das von
einem Kameraden gemalt worden war. Obwohl dieser selbst nie in der
Eifel war, erkannte man auf dem Bild das »Krumme Stück« mit dem Hügel,
der von Kerpen aus in Richtung Walsdorfer Arnulfusberg liegt. Dieses
schöne Bild war aber leider so groß und sperrig, dass meine Mutter es
nach den »Flitterwochen« nicht mit in die Eifel nehmen konnte. Es blieb
also zurück auf dem Dachboden der Gaststätte, in der sie damals ein
Zimmer gemietet hatte. Auch in den folgenden Jahren gab es keine
Gelegenheit, erst aus finanziellen, später aus politi-
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schen Gründen, das Gemälde zu holen.
Wir
Kinder hörten erst von diesem Bild, als wir 1990 in Kerpen mit großer
Aufregung den Fall der Mauer am Fernseher verfolgten. Als meine Eltern
sahen, wie die Stacheldraht fiel, lautete der erste Satz unserer
Mutter: »Franz, meinste os Bild levt noch!?« Da wuchs in mir der
Gedanke, das Bild zu suchen. Mein Mann und ich fuhren deswegen in die
neuen Bundesländer. Viel Hoffnung hatten wir nicht nach nahezu 50
Jahren. Ort und Gastwirtschaft hatten wir schon am zweiten Tag in einem
kleinen Dörfchen Schkortleben direkt an der Saale gefunden. Das ganze
Haus, die Fenster, die Haustüre, selbst die Schilder mit den Heißen
Würstchen waren noch genau wie auf dem alten Soldatenfoto. Als wir die
Gaststätte betraten, schlug uns eisiges Misstrauen von Bier trinkenden
Einheimischen entgegen. Man sah wohl, dass wir Wessi`s waren. Der
Wirt, dem wir die Geschichte erzählten, leugnete fortwährend, nichts
zu wissen und erst recht nichts zu haben. Erst als wir die alten Fotos
zeigten, auf denen mein Vater mit seiner Frau zu sehen war, wurde
endlich die alte Dame gerufen, die sich nach einiger Zeit erinnern
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konnte
und ganz gerührt war. Aber das Bild konnte doch nicht mehr existieren
oder sollte es auf dem alten Dachboden über dem Saal im Gerümpel
liegen? »Wissen Sie«, sagte die alte Dame, »wir wollten nächste Woche
den ganzen Saal abreißen lassen.« Sie versprach, den kleinen Enkel auf
den Dachboden zu schicken, um
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das
Bild zu suchen. Am anderen Tag wurde uns ein in alte Zeitungen
verpacktes Bild überreicht, das tatsächlich das »Krumme Stück«, das
damalige Hochzeitsgeschenk, war. Unseren Eltern konnten wir im Juni
1994 zur Goldenen Hochzeit ihr damaliges Geschenk erneut überreichen.
Wir hatten es nicht bearbeiten lassen, der Zustand war nach
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den
langen Jahren unsachgemäßer Lagerung auf dem Saalspeicher schlecht.
Aber unsere Eltern waren sehr gerührt über unser Geschenk, und ein
Hobbymaler aus Kerpen, der auch damals ihr Trauzeuge war, renovierte
das Bild liebevoll und seitdem hängt das »Krumme Stück« zur Freude
aller in unserem Wohnzimmer.
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