Weihnachten unter Tränen
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Gertrud Knobloch, Berg
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Man
vergisst so schnell, besonders das, was man vergessen will. Viele
auch den schrecklichen Krieg, der die Jugend derjenigen überschattete,
die während des Dritten Reiches geboren wurden. Wenn ich an die
Weihnachten meiner Jugend denke, dann denke ich an arme Zeiten. Da
mussten die Mütter froh sein, wenn sie für die Weihnachtsbäckerei
einige Pakete Kunsthonig oder Rübenkraut ergatterten und ein paar
Haferflocken zusätzlich. An Apfelsinen und Schokolade war nicht zu
denken, denn solche Dinge kamen ja aus Ländern, die größtenteils im
Krieg nicht an uns liefern konnten. Die paar kümmerlichen Süd-
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früchte
aus Italien fielen gar nicht ins Gewicht. Die Mütter buken trotzdem
fürs Christkind. Sie erfanden selbst die tollsten „Sparrezepte", für
die man lauter Ersatzzutaten nehmen konnte. Die Plätzchen schmeckten
uns Kindern dennoch so gut, wie heute auch die allerbesten kaum. Wir
wussten nämlich damals zu schätzen, was wir bekamen und waren froh,
wenn wir satt wurden. Riesig freuten wir uns über Geschenke, die heute
keine mehr sind. Der Weihnachtsbaum stand wirklich im Mittelpunkt des
Weihnachtsfestes, denn Geschenke gab es kaum. Etwas zum Anziehen ja,
Schal, Mütze, Handschuhe. Ich erin-
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nere
mich noch, wie ich einmal ein paar ganz besonders schöne Handschuhe
bekam, über die ich mehr als glücklich war. Bündchen und Daumen waren
braun gestrickt, der Fäustling selbst in Streifen aus ganz bunter
Wolle, aus Resten aller Art natürlich. Ich war selig und trug die
Handschuhe jahrelang. Dabei hatte jemand aus der Verwandtschaft nur
alle übriggebliebenen Garnreste verwendet. Ich kann mir schwer
vorstellen, dass sich ein Kind mehr über ein Weihnachtsgeschenk, sei
es auch noch so schön und kostbar, freuen könnte, als ich über diese
Handschuhe. Einmal gab es sogar ein Märchenbuch, für
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mich
als Kind vom Land etwas ganz Ungewöhnliches. Ich kann mich auch heute
noch an jedes einzelne Märchen genau erinnern; leider waren es nicht
sehr viele, weil das Buch in der heute ganz unmodern gewordenen
gotischen Schrift und in sehr großen Buchstaben gedruckt war. Für
manche Kinder gab es auch einen Schlitten zu Weihnachten. Auch ich
bekam mal einen und war darüber fast irrsinnig vor Freude, leider war
es reichlich spät dafür, denn ich hatte wirklich jahrelang daraufgewartet und
war schon so groß, dass Schlittenfahren immer uninteressanter für mich
wurde. Vater hatte früher einen aus rohen Holzbrettern
zusammengezimmert. Er war wirklich kein Künstler auf handwerklichem
Gebiet und der Schlitten, auf dem er gelegentlich Säcke und Körbe
transportierte, war so schwer, dass ich ihn überhaupt nicht lenken
konnte. Ich fuhr zum Spott der anderen ständig damit in den Graben,
weshalb ich es dann vorzog, ihn fast nur am Straßengraben stehen zu
lassen und nach Möglichkeit mit den anderen Kindern mitzufahren.
Weihnachten war auch ein Tränenfest
Als
Schulkinder hatten wir es noch gut. Schlimmer hatten es die zehn Jahre
älteren Jugendlichen, vor allem die jungen Männer. Früh mussten sie
in den Krieg, kaum der Schule entwachsen. Die Mütter packten ihren
Großen, die im Krieg waren, vor Weihnach-
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ten
unter Tränen Feldpostpakete. Lange hatten Mütter und Schwestern schon
dafür warme Socken und Fäustlinge gestrickt, denn besonders in
Russland war es kalt und die meisten Soldaten waren dort. Und es konnte
schon morgen für jeden, der an der Front war, zur bitteren Wahrheit
werden, was auf den Flugblättern stand, die wir von Zeit zu Zeit auf
unserem Schulweg fanden - in der Nacht abgeworfen von feindlichen
Flugzeugen. Die Bombenalarme rissen uns oft Nacht für Nacht aus dem
Schlaf und wir wurden in den Keller verfrachtet. Den Flugblättern
glaubten wir Kinder nicht, denn wer Bomben auf uns warf, konnte es doch
nicht gut mit uns meinen. Trotzdem überlief es uns, wenn wir die Texte
lasen, was wir eigentlich nicht durften. An einen erinnere ich mich
heute noch. Das Flugblatt war in Form eines großen Eichenblattes
gestaltet und der Text lautete: „In Russland decken gefallene Blätter
gefallene Soldaten. Und Schnee deckt die gefallenen Blätter, die
gefallene Soldaten decken!" Wir sammelten die Flugblätter und
lieferten sie, wie wir sollten, in der Schule ab und dort wurde uns
auch gesagt, dass nur der Sieg für uns in Frage komme und es ginge um
Sein oder Nichtsein, was wir Kinder glaubten. In diesem fanatischen
Glauben kamen viele in Konflikt mit ihren Eltern, denen schon lange
klar geworden war, dass es keinen Endsieg" gab. Auch das Weihnachtsfest ver-
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suchte
man, allmählich seines rein christlichen Charakters zu berauben. Das
Weihnachtslied der Kriegszeit, das wir recht gerne sangen, hieß „Hohe
Nacht der klaren Sterne", in dessen Text nicht von der Geburt Christi
und nicht mal von Weihnachten die Rede war. Es war ein Lied, das die
Wintersonnenwende verherrlichte, wozu wohl das Weihnachtsfest
umgedeutet werden sollte. Weil es eine feierliche, schöne Melodie
hatte, sangen wir Kinder es natürlich gern, unsere Eltern schwiegen
dazu und schauten sich betreten an, weil am Text wenig auszusetzen war
im Gegensatz zu einem anderen Lied, das wir auch in der Schule lernten
und wofür es Prügel gab, wenn wir wagten, es daheim zu singen. Das war
allerdings kein Weihnachtsbzw, weihnachtliches Lied und hieß „Es
zittern die morschen Knochen...".
Bescherung am Heiligen Abend
Im
Gegensatz zu den anderen Kindern im Dorf, die erst am Morgen des 1.
Weihnachtstages ihre Geschenke unter dem Weinnachtsbaum vorfanden, war
bei uns schon abends die Bescherung. Wir saßen alle in der Küche und
sangen Weihnachtslieder. Es dauerte eine ganze Zeit, bis unser
Repertoire erschöpft war, doch wurden wir dabei nie ungeduldig, denn
in nachhinein erschien uns das Singen als das Schönste am ganzen
Weihnachtsfest. Endlich „klingelte das Christkind" und wir stürmten in
die
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„gute
Stube", die bis dahin schon zwei Tage verschlossen gewesen war. Dort
brannten schon die Kerzen am Weihnachtsbaum. Unter ihm standen die
beladenen Teller für jeden. Wenn wir Glück hatten, fand jeder neben
Kleidungsstücken auch noch
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ein
Spielzeug. Aber wer am Weihnachtsabend durch die Straßen gegangen wäre,
der hätte nirgends einen leuchtenden Christbaum gesehen. Alles war
stockfinster. Auch bei uns war jedes Fenster mit einer Decke verhangen
und so gab es keinerlei Gelegenheit,
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dem Christkind aufzulauern, selbst wenn wir Zeit dazu gehabt hätten.
Wegen
der feindlichen Flieger war alles „verdunkelt", wie man es nannte und
oft führte uns der Weg direkt von Weihnachtszimmer in den
Luftschutzkeller.
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