Roland, der Basse
Eine Keilergeschichte aus dem Eifelforst
Klaus Mark †, Broscheid
Die rassige Bache war die feurigste ihrer Gilde, jung, zäh und ohne Furcht. In der Rauschzeit war ein sehniger Keiler aus dem Staatsforst zu ihr hinüber gewechselt in den Schwarzkitteleinstand der „Geisenburg". Das war in den Wochen, als der Sommer verblich und das Herbstfeuer rotbraun über den Wäldern flammte. Jetzt tobten Schnee­stürme, der Frost klirrte, und die Äste der Fichten sanken tief unter der Last von Schnee. Unter einer Jungfich­te mit tiefen, breiten Ästen, deren einige im wetterge­schützten Ginsterhang stan­den, fand die Bache die geeig­nete Kindbettstube. Im star­ken Gebrech trug sie Ginster, Moos und Heidgras herbei, brach die Erde auf und versah die Mulde mit warmen Pols­tern. Bald glich der Bau einer unbezwinglichen Burg mit festem, ginsterdurchflochte-nem Fichtendach und starken Wänden. Die Sonne warf eben ein zaghaftes Strahlen­bündel über das verschneite Land, als fünf junge Schwarz­kittel zur Welt kamen. „Markolf, der Häher, hätte es zu gerne als erster erfahren, aber der Fuchs bog gerade um den Waldwinkel. Meister Reineke ist ungerufen überall
da, wo sich das Leben und der Tod die Waage halten; beide, Tod und Leben, zahlen ihm Tribute. Das laute Schimpfen des Eichelhähers verlor sich hinter der Lichtung, Reineke schnürte seitab zu den Schlehdornhecken, da dräng­ten sich die Jungen der Bache zum erstenmal ans warme Gesäuge.
Da war Rolands Geburtsstun­de. Der Bache war es schmei­chelhaft, die unbändige Kraft im strähnigen Körper dieses Eberknaben zu sehen. Da war von Rücksicht auf Geschwis­ter keine Rede. Ganz der Vater, sann sie schmatzend und übersah die anderen vier, wenn sie die jungen Sinne fürs Leben schulte. Roland - dieser Name ward später erst erfunden, als die Ruhmestaten des Keilers Glanz bekamen -, gedieh prächtig in der Rotte, die nächtlich durch die Felder zog. Der Sommer tischte reichlich auf, dann kam der Herbst mit einer fetten Mast an Eicheln.
Der Winter brachte einige Sorge. Doch als die Sonne wieder wärmer in die Wälder schien, war die Hungerszeit bald vergessen. In diesem Jahr, um die Zeit, da die Hirsche röhrten, ging
Roland zum erstenmal seine Wege. In der heißen Brust kochte und wallte das Blut der Vorfahren aus der Zeit, da die Wildbahn noch wirklich frei und unendlich weit war. Nach der Rauschzeit zog es ihn meist zum alten Einstand wieder hin. Eines Wintertags geriet der Keiler in die Hatz. Wundgeschossen am rechten Hinterlauf gelang es ihm mit letzter Kraft, die Hunde abzu­schütteln. Seitdem war die Fährte Rolands von den ande­ren zu erkennen. „Heut nacht war Roland in den Erbsen" oder „Roland wagt sich bis an die Dorfgärten heran", so führte man den immer stärker werdenden Keiler in aller Mund. Bald störte den Bässen der Lärm der Frischlinge in der Rotte. Einsam zog er seine Fährten, aber - und das war die Eigenart - fast ohne Scheu und Furcht. In der Morgen­dämmerung stand er plötzlich breit und trotzig an der Wald­straße. Durch die Felder zog er seine Gänge vorbei an den Menschen, von denen er kei­ne Notiz nahm. Hunde über­raschten den Keiler einmal in der Suhle und sprangen ihn an. Roland wirbelte sie im Kreise, dass den armen Kläffern Hören und Sehen verging; blutend und heulend
suchten sie sich vor dem robusten Schwarzkittel zu retten, der ihnen in mächti­gen Fluchten nachsetzte. Ein Bauer warf mit einem Stein nach Roland, auch das verbat sich der trotzige Sohn der Wälder so unmissverständ-lich, dass der sensenbewaff­nete Landmann es verzog, dem „Streit" aus dem Weg zu gehen. Wen kann es da wun­dernehmen, dass sich bald manche Mär um Roland rank­te. Doch zu seiner Ehre sei ge­sagt, dass er niemand ein Leid getan. Heute ist der Basse tot, jedoch kein Büchsenschuss streckte ihn nieder. An einem nebelgrauen Herbstabend
geriet der Keiler; nach einer aufregenden Hatz, am Rand der Steinley ins Gleiten und stürzte eine hohe Basaltwand hinunter. Dort endete sein urwildes Leben, das aller Jagd zu trotzen wusste. Einmal, just an einem Tag einer Jagd, tat sich Roland an einer Rübenmiete gütlich. Ein heißsporniger Nimrod schoss auf 100 Schritt das ganze Ma­gazin seiner Büchse leer, aber Roland stand wie „Rasputin mit dem bronzenen Kugel­panzer". Schnaubte dem Jä­gersmann seine Geringschät­zung entgegen und wechselte seelenruhig zur schützenden Dickung hinüber. Das war Ro-
land, der Basse; weitbekannt in der Gegend der Dauner Maare. Ein alter Recke ohne Furcht und Zagen. Preschte er mit grollendem Prusten pol­ternd durch die Dickungen, so war der Wald in Aufruhr, und ängstliche Gemüter mieden seinetwegen lange Zeit die alte Waldstraße nach Daun. An jenem diesigen Abend zog er seine letzte Fährte droben an der Ley. Er ist in die Jagd­gefilde seiner Vorfahren, deren heißes Blut in ihm rumorte, eingewechselt, aber in der Erinnerung lebt er insbesondere in ängstlichen Gemütern wohl noch lange fort.