Vor 65 Jahren
Erinnerungen eines alten Lehrers
Monika Esser, Burgbrohl
Nikolaus Hennen, 1862 in Brockscheid geboren, wurde Lehrer, verbrachte die meisten Berufsjahre in Welling bei Mayen und starb 1951 in Burgbrohl. In seinem Nach-lass fanden sich einige Apho­rismen von 1936, die Erleb­nisse und Brauchtum seiner Geburtsheimat zum Inhalt haben. Heute wertvolle ge­schichtliche Dokumente aus einer längst vergangenen Le­benssituation der Vulkaneifel.
„O selig, o selig,
ein Kind noch zu sein"
Ja wahrhaftig, wer sich sein kindliches Gemüt, seine kind­liche Freude und vor allem seine kindliche Reinheit und Unschuld bewahren kann, bewahren kann bis in sein hohes Alter hinein, der gehört zu den glücklichsten Men­schen auf diesem Erdenballe.
Dieser Gedanke kam mir so ganz unwillkürlich, als ich mich so recht deutlich an die St. Nikolausfeier und an die Christbescherung meiner Jugend erinnerte. Welch ein gewaltiger Unterschied von damals und heute! Heute wer­den diese Feiern pompöser, aber vielleicht nicht so „in­nerlich erlebend" aufgezogen, wie damals. Heute überbietet man sich an Geschenken. Was der eine sich leisten kann, möchte der andere auch tun. So werden dann vielfach die Kinder übersättigt und sind später kaum mehr zufrieden zu stellen.
Wie ganz anders war es in meiner Jugend, ganz beson­ders in der damals noch größ­tenteils ärmeren Bevölkerung des Eifelkreises Daun. Ge­schenkt bekam man nur, was das Haus selbst bot. Einige
Äpfel waren vom Herbst her eigens für das Christkindlein zurückgelegt worden. Die Haselnüsse hatten die Eltern selbst an den reichlich wild­wachsenden Haselsträuchern gepflückt und in Säckchen am heimlichen Orte verwahrt. Ein Kleinhausierer von Tett-scheid, bekannt unter dem Namen „Jase Franz" brachte an der Mosel gekaufte Baum­nüsse in die Häuser und ver­kaufte sie: 100 Stück zu 1 Silbergroschen, oder wenn sie teurer waren, zu 18 Pfenni­gen. Die Mutter hatte aus Eifeler Weizenmehl ein paar Hasen und „Ditzen" ge­backen. Das war der Grund­stock zur Christspende. Dazu kam, was das Kind an Klei­dungsstücken schon längst notwendig hatte: Ein Paar selbstgestrickte Strümpfe, Handschuhe, Schal oder Müt-
ze, vielleicht auch eine neue Schiefertafel, einige Griffel und dergleichen unbedingt notwendigen Kleinigkeiten. Und dennoch, wie kindlich freute man sich, hatte doch der hl. Nikolaus oder das liebe Christkind diese Sachen in der Nacht heimlich auf die abends aufgestellten Teller gelegt. Zu den Tellern legten wir abends auch etwas Heu; denn das Christkind hatte ja sein schwer beladenes Eselein bei sich, das durfte doch nicht verhungern. Ach, wie viel wurde da vorher gebetet. Hat­te man einen Rosenkranz ge­betet, dann wurde in ein Holz eine neue Kerbe geschnitten. Wenn es draußen schellte, kniete ich nieder und betete und meine Eltern mit mir. Spielzeug gab es nur selten, weil diese Sachen gekauft werden mussten und Geld damals bei den kleinen Bau­ern sehr rar war - vielleicht ein Nachteil der damaligen Bescherung. Etwas Spielzeug soll und muss ein Kind haben, damit es sich betätigen kann und sich nicht an „Nichtstun" gewöhnt.
Den kindlichen Glauben an St. Nikolaus und das Christ­kind sollte man unter den Kindern möglichst lange zu erhalten suchen. So lange sie noch daran glauben, sind sie noch nicht verdorben. Bei uns war es leichter, diesen Glau­ben lange zu erhalten. Es gab in unsern kleinen Dörfern weder Bäcker noch Kolonial­warenhandlungen. Heute bestaunen die Kinder schon wochenlang vorher an den Schaufenstern all die schönen Sachen und wissen, was hier
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sen gegen Untugenden und Laster ein.
Mir hat es in meiner Jugend an Märchen- und guten Erzählungsbüchern gefehlt. Sehnsüchtig erwartete ich das monatlich erscheinende Heft­chen des Kindheit-Jesu-Ver­eins. Mit welcher Gier ver­schlang ich den Inhalt und konnte mich nicht satt sehen an dem farbenprächtigen Titelblatt.
Man soll Kinder aber nicht durch Schauermärchen oder Erzählungen in Angst und Schrecken versetzen. Unser Nachbar, der alte „Müllertum-mes" (Thomas) wusste viele dieser Schauergeschichten. So erzählte er, wie bei dem Bau der Brockscheider Mühle Räuber in einer nahen Felsen­höhle gehaust hätten. Was die Maurer am Tage aufbauten, hätten die Räuber nachts wie­der abgerissen. Eiskalt lief es mir über den Rücken, und ich glaubte hinter jedem Strauche komme einer dieser Kerle her­aus, um mich zu schnappen. Da die Höhle gegenüber un­serm Hause mir wohlbekannt war, zweifelte ich auch an der Wahrheit der ganzen Geschichte nicht. Auch vom „Schinderhannes" und seinen Überfällen wusste er manches zu erzählen. Da zu der Bande des „Schinderhannes" auch einige fragliche Gestalten aus unserer nächsten Nähe aus Strohn und von Krinkhof gehört hatten, schienen mir auch alle Geschichten wahr zu sein. Es wurde dadurch in mir ein Angstgefühl erweckt, unter dem ich in der Folge sehr gelitten und das mich bis in spätere Jahre nicht verließ.
Nikolaus Hennen
* 15.11.1862 Brockscheid,
t 01.05.1951 Burgbrohl
und da ausgestellt ist. Erhal­ten sie nun nachher diese Sachen, liegt es nahe, dass sie Reflexionen darüber anstel­len, woher diese Sachen wohl gekommen sein mögen. Da war ich denn in meinem stil­len Liesertale glücklicher. Ei­nen Teller stellte ich auf und am Morgen lagen die Sachen auf demselben. Das Christ­kind selber war unserm Hause nahe gewesen und hatte auch mich nicht vergessen. O du liebe kindliche Einfalt!
„Es war einmal"!
So oder ähnlich fangen alle Märchen an. Sie sind eine gute Kost für Kinder und alle Eltern sollten bestrebt sein, ihren Kindern gute Märchen zu erzählen oder zum Lesen in die Hand zu geben. Regen doch die Märchen die Phanta­sie der Kinder in besonderem Maße an, bringen ihnen Freu­de an menschlichen Tugen­den bei und flößen ihnen has-
Ja, als junger Lehrer hatte ich's noch nicht ganz über­wunden. Es ist aber eine schlimme Sache, wenn Kinder fürchten; darum weg mit al­len Schauergeschichten! Weg mit dem „Bokesmann", womit man das Kind vom Böses tun abhalten will. Es gibt besser wirkende Mittel zur Folgsam­keit, nicht aber durch den „Bokesmann". Weg auch mit allem Aberglauben bei den Kindern. Seine Kinder stelle man auf den festen Boden der Wirklichkeit. Zeige ihnen die Gefahren des Lebens und leh­re sie, denselben frei ins Auge zu sehen, dann kommen sie später am besten durchs Leben.
Beim „Pinneschmied" in Tettscheid
Tettscheid hatte damals unge­fähr 26 bis 27 Häuser. Die Bewohner waren meistens kleine, zum Teil ganz arme Eifelbäuerchen, die sich von Jahr zu Jahr auf der mageren Scholle ihren notwendigen Lebensunterhalt erarbeiteten. Tettscheid hatte auch zwei Nagelschmiede oder „Pinne­schmiede" wie sie im dortigen Dialekt genannt wurden. Einer von ihnen war Thele Merten (Martin). Sein Haus bestand aus Schmiede, Wohn­zimmer und Kammer. Ich fand große Freude daran, ihm zuzusehen, wie er „Pinnen", das sind Schuhnägel, machte. Gerne sah ich dem züngeln­den Feuer in der Esse zu, das zuweilen durch den Blasebalg neu entfacht, nach allen Sei­ten Funken aussprühte. Den Blasebalg habe ich dann öfters gezogen. Später hatte
„Thele Merten" einen Hund, der durch Vorwärts- und Rückwärtslaufen in einem Rade den Blasebalg zog. Mich dauerte der arme Hund, der so den lieben, langen Tag vor­wärts und rückwärts springen musste; ich konnte das nicht gut sehen.
Wie entstand nun eine „Pin­ne"? Zwei viereckige Stab ei­sen wurden in der Esse zum Rotglühen gebracht. Dann wurden mit einigen Hammer­schlägen die Spitzen gemacht. Danach wurde die Spitze mit einem kurzen hinter ihr liegenden Stück mit einem Schlage auf einem querlie­genden Stahlmesser abgehau­en, die Spitze in ein kleines Loch gesteckt und mit ein paar Schlägen der Kopf her­gestellt und fertig war die „Pinne". Sollte der Kopf schön rund werden, dann wurde dies mit einem Stahlstempel und einem Hammerschlage gemacht. Das ganze war eine Arbeit von einigen Sekunden. Während der eine Stab zur „Pinne" verarbeitet wurde, lag der andere im Feuer. So fertigte ein geübter Nagel­schmied an einem Tage meh­rere 1000 „Pinnen". Das sah sich beim Zusehen so einfach an. Aber trotz fleißiger Anweisung brachte ich kei­nen einzigen Nagel, nicht einmal eine Spitze fertig. Statt das glühende Eisen mit dem Hammer zu einer Spitze zu schmieden, schlug ich es immer platt oder sogar aus­einander. Ich war als Nagel­schmied verdorben. Die „Pin­nen", die im Laufe der Woche hergestellt wurden, wurden sonntags den Geschäften
zugetragen, die sie bestellt hatten. Mit dem Rest gingen die „Pinneschmiede" hausie­ren. Die Bauersleute trugen dazumal nur genagelte Schu­he und wenn eine „Pinn" verloren ging, schlug sie der Bauer selbst wieder ein. Darum hatte zu der Zeit jeder Bauer die verschiedenen Sor­ten „Pinnen" als da waren: „runde", „Tock" und „Zwei­spitze" im Hause vorrätig. Die „Pinnenschmiede" waren meistens arme Leute, aber sie brachten doch ihre meist zahlreiche Familie ehrlich durchs Leben. Noch heute erinnere ich mich gerne jener glücklichen Stunden beim Nagelschmied mit seinem gemütlichen Feuer und dessen sprühenden Funken.