Der „Klapperstorch“
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Hubert Pitzen, Stadtkyl l
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Im
Jahrbuch 2003 erzählt Alois Bramer in seinem Aufsatz „Die Ditzjentant"
von der Arbeit und den Erlebnissen seiner Mutter, die als Hebamme in
Kirchweiler und den
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umliegenden
Dörfern tätig war. Anscheinend glaubten die Kinder daran, dass die
Babys von den Hebammen ins Haus gebracht würden. Bramers Mutter
antwortete
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auf
die neugierigen Fragen der Heranwachsenden, woher wohl die Kinder
kämen, sie würde sie von der Kasselburg holen. Auf die Frage: „Wan b
renkt Ihr ohs dann enn
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Ditzje?"
- antwortete sie meist: „Im Moment habe ich nur welche mit roten
Haaren." Meine Mutter bekam als Fünfjährige (1930) die gleiche Antwort,
als im Nachbarhaus in Glaadt eines von neun Kindern zur Welt gekommen
war. In meiner Kindheit (50er Jahre) suggerierten uns die Erwachsenen,
die Neugeborenen würden vom „Klapperstorch" gebracht. Auf meine
Frage: Wann bekomme ich ein Brüderchen oder Schwesterchen?" - hieß es:
„Du musst ein Zuckerklümpchen auf die Fensterbank legen, dann kommt der
,Klapper-storch' und bringt in einem Körbchen, das er im Schnabel
trägt, ein Brüderchen oder Schwesterchen." Auch auf weitere Nachfrage,
wo der „Klapperstorch" denn die Kinder abhole, waren die Erwachsenen
um keine Antwort verlegen. Die Kinder wüchsen in einem Sumpf heran und
wenn eines groß genug wäre, schnappte es sich der „Klapperstorch" mit
seinem roten Schnabel, legte es in ein Körbchen und brächte es in ein
Haus, wo der Kinderwunsch bestand. Dabei geschah aber etwas
Ungewöhnliches: Der Storch biss der Mutter des Kindes ins Bein, was
dazu führte, dass die Mutter das Bett hüten musste. Somit hatten die
Erwachsenen für uns Kinder eine plausible Erklärung für den
Aufenthalt der Mutter im Wochenbett geschaffen. Als ich vier Jahre alt
war, erfüllte mir übrigens der „Klapperstorch" den Wunsch nach einem
Brüderchen. Mein Bruder
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Heribert wurde vom „Klapperstorch" gebracht, wobei er meiner Mutter ins Bein biss und sie ein paar Tage das Bett hüten musste.
Heute,
in der Zeit der Sexualaufklärung, verschwindet der „Klapperstorch"
immer mehr aus dem Bewusstsein der Kinder, obwohl die Fragen die
gleichen geblieben sind. Warum war es gerade der Storch, der mit der
Geburt der Kinder in Zusammenhang gebracht wurde? Der deutsche Dichter
und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781-1838) dichtete: „Was
klappert im Hause so laut? Horch, horch! Ich glaub', ich glaube, das
ist der Storch.
Das war der Storch. Seid, Kinder, nur still, und hört, was ich gern erzählen euch will. Er hat auch gebracht ein Brüderlein
Und hat gebissen Mutter ins Bein.
Sie liegt nun krank, doch freudig dabei, sie meint, der Schmerz zu ertragen sei."
Der
Storch als Kinderbringer war (ist) in fast ganz Europa bekannt. Sogar
in Israel und Teilen Afrikas bringt „Meister Adebar" die Neugeborenen.
In Mazedonien ist der Storch sogar für die Ostereier verantwortlich.
Doch der Storch hatte sich im Laufe der Geschichte als Kinderbringer
einer großen Konkurrenz zu erwehren. Krähe und Eule betätigten sich in
Böhmen und Ostpreußen als Geburtshelfer, während dies der Fuchs im
Böhmerwald über-
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nahm. In früheren Jahrhunderten erfüllte der „Kindermann", als Handlungsreisender, mal als Hanswurst mit karierten Hosen und Rückenkiepe den Kinderwunsch. Auch ein Müllersknecht konnte die Kinder bringen, wenn er die auf dem Bach treibenden Geschöpfe noch rechtzeitig rettete. Storch und die anderen Genannten überbrachten ja nur die Kinder, doch woher kam eigentlich der Nachwuchs? In der Schweiz holte man den Nachwuchs aus Felsen oder hinter Steinen („Titti-Stei-nen") hervor. Auf Island existierten heilige Berge, die als Lebensquell angesehen wurde. Auch die alten Griechen entstammten „apo petris" -von den Steinen. Im alten Ägypten formte auf der Nil-Insel Elephantine der Schöpfergott Chnum die Geschöpfe aus Lehm und hauchte ihnen das Leben (Odem) ein. Bei den Navajo-Indianern Nordamerikas lebten die Nachkommen zunächst im Innern der Erde, bevor sie anschließend in den Mutterleib verpflanzt wurden. Die Engländer glaubten, die jungen Amerikaner wüchsen auf den Feldern in Kohlköpfen auf. In Teilen Deutschlands und Belgiens wuchsen die Kinder nach dem Volksglauben auf Bäumen. Die Aborigines in Australien wurden von den ungeborenen Kindern im Traum oder in einer Vision angesprochen und dazu gedrängt, sie mit nach Hause zu nehmen. Doch die Hauptquelle der „Menschwerdung" ist das Wasser. Babys holte man aus Brunnen, Tei-
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chen
und Seen. Wasser ist so zu sagen die Wiege der Menschheit. Und hier
kommt wieder der Storch ins Spiel. Eine frühe Abbildung des Storches
zeigt ihn mit einem kleinen Wesen im Schnabel. Warum war es gerade der
Storch, „Meister Adebar", der mit der Geburt in Zusammenhang gebracht
wurde? Wilhelm Busch schrieb: „Wo kriegten wir die Kinder her, wenn
Meister Klapperstorch nicht wär?"
Schon
seit Jahrtausenden steht der elegante Vogel in Beziehung zum Menschen.
Im Buch des Aelianos (2. Jh. n. Chr.) verbringen alle Störche ihren
Lebensabend als Menschen in Seligkeit auf einer Insel im Ozean. In der
Komödie des Aristophanes „Die Vögel" entwickelten die Störche starke
Familienbande. Bereits in der Antike brachte der Storch langes Leben,
Glück, Reichtum und Fruchtbarkeit.
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Wahrscheinlich
hat das Bild des Storches als treu sorgender Familienvater dazu
beigetragen. Seine Brut lässt er nicht aus den Augen. Die jungen
Störche werden von Vater und Mutter bis zu 34 Tage abwechselnd
gefüttert. Seine Treue zu den Brutplätzen mag ebenso beigetragen haben.
Jahr für Jahr kehrt er auf dasselbe Dach oder denselben Kamin zurück.
Dann schützt er vor Blitz und Donner und bringt dem ganzen Haus Glück.
Der Schritt zum Kinderbringer war dann nicht sehr groß. Bei den
Germanen galt der Storch als Götterbote und flog der Göttin Holda
voran. In christlicher Zeit verlor der Storch keineswegs von seinem
Mythos. Am Straßburger Münster befindet sich an der Westfassade eine
Abbildung eines Storches, der eine Schlange vernichtet. Die Schlange
galt als Symbol des Teufels. Eine Zeichnung in
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der Klosterbibliothek von Waldgassen zeigt den Storch als „Vogel der Erkenntnis", der einen Narren in die Nase zwickt.
Seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts ist der Storch als Geburtshelfer im
Nordosten des deutschen Sprachraums bekannt. Zeugnisse sind
hauptsächlich Zeichnungen und Lieder, die mit Beschwörungsformel den
Kinderwunsch äußerten. „Storch, Storch, Steiner, mit der langen
Beiner, flieg mir in das Bäckerhaus, hol mir ein klein Bruder raus."
Eine
Erhebung des 19. Jahrhunderts stellte fest, dass in Württemberg der
Glaube, dass der Storch die kleinen Kinder bringe, durch die gebildeten
Kreise mehr und mehr ins niedrige Volk vordrang. Seit 1900 zeigen
Abbildungen aus Oberösterreich einen Storch, der ein gefischtes Kind in
ein Haus bringt.
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