Hamstern und viel Fettiges

Demerath nach dem letzten Krieg

Manfred Kordel, Demerath

Die Dörfer der Eifel sind im 2. Weltkrieg nur teilweise stark zerstört worden. In einer ganzen Reihe von Ortschaften wurden vergleichsweise geringe Schäden angerichtet. Aber auch diese führten - zusammen mit den aus den Orten gefallenen und verwundeten Soldaten sowie den zivilen Opfern - zu einer Demoralisierung der Bevölkerung, zumal diese sowieso weit überwiegend in ärmlichen Verhältnissen lebte. In Demerath war die wirtschaftliche Situation wohl seit alters her besonders schlecht, die Verhältnisse äußerst ärmlich. In den verschiedensten Schilderungen der Schulchronik wird schon um 1900 immer wieder die Armut der Bevölkerung erwähnt. Hugo Seitz (von 1923 bis 1935 Lehrer in Demerath) hat insbesondere im Jahre 1927 in einer ganzen Reihe von Bildern die damalige besonders schwierige Lage in Demerath festgehalten. Diese Bilder belegen die bereits in der Schulchronik gemachten Aussagen. In einer Abhandlung des „Kölner Tageblatts" vom 10. Oktober 1931 wird Demerath als „das baufälligste Dorf Rheinlands" bezeichnet. Auch diese Behauptung wird mit sechs Bildern belegt. Im Jahre 1953 gab der Kreis Daun eine Broschüre unter dem Titel „Übersicht über die strukturellen Verhältnisse im Kreise Daun (Eifel)" heraus. Diese wurde den Teilnehmern des „Interministeriellen Ausschusses für Fragen der Notstandsgebiete der Bundesregierung" anlässlich der Bereisung des Modellkreises Daun (Eifel) überreicht. Bei dieser Bereisung war auch die Besichtigung der „Notstandgemeinde" Demerath vorgesehen. Die Broschüre enthielt auf 121 Seiten Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Struktur des Kreises mit dem Ziel, darauf hinzuwirken, dass eine Förderung im und für den Kreis Daun unbedingt erforderlich sei. Die Daten sagten eine ganze Menge aus, aber anschaulicher waren Bilder. Die Broschüre enthielt daher vier Bilder, die alle „Wohnstätten in Demerath" darstellten. (Bild einfügen!) Welche Auswirkungen hatte nun der 2. Weltkrieg in Demerath?

tmp1F2-1.jpg

Gegen Ende des 2. Weltkriegs, nämlich am 20. Februar 1945, wurden über Demerath insgesamt sechs Bomben abgeworfen. Im Oberdorf bei den Anwesen Burghardt/Linden fanden ein achtjähriger Junge und eine 28-jährige Frau den Tod. Ebenfalls im Oberdorf am Ortsausgang Richtung Ulmen gingen ebenfalls zwei Bomben nieder, die das Leben eines Zivilisten forderten. Aber auch drei Soldaten, die gerade Quartier suchten, wurden getötet. Neben den Toten dieses Bombenangriffs (drei Demerather Einwohner, drei Soldaten) wurden auch einige Gebäude mehr oder weniger zerstört.

Die durch die Bombenangriffe entstandenen Schäden an den Straßen wurden provisorisch mit Erde und Steinen behoben. An eine grundlegende Beseitigung der Schäden an den Gebäuden, die vielfach schon vor dem Krieg vorhanden waren und durch die Kriegsereignisse noch verschlimmert wurden, war unmittelbar nach dem Krieg nicht zu denken. Das Geld war nichts wert, kaum vorhanden und auch das Material war nur sehr schwer zu beschaffen. Es war zunächst viel wichtiger, das Überleben zu sichern. Auf dem Lande waren die notwendigsten Lebensmittel vorhanden, weil diese selbst angebaut oder durch die Viehhaltung gewonnen wurden. Darüber hinaus konnten Stoffe, Schuhe usw. durch Hamstergeschäfte in bescheidenem Umfang besorgt werden. Erst nach der Währungsreform im Jahre 1948 fing ganz langsam eine wirtschaftliche Verbesserung an. Aber diese war zunächst viel zu bescheiden, um an einen echten und durchgreifenden Aufbau zu denken. Und trotzdem tat sich im Kleinen eine ganze Menge. Ein Aufbau im privaten Bereich war zunächst ebenfalls nur durch Hamstergeschäfte zu erreichen. Das erste neue Haus mit Stall und Scheune wurde nach dem 2. Weltkrieg von Matthias Fleschen im Oberdorf errichtet, der bis dahin zur Miete wohnte und für seine kleine Landwirtschaft auch ein altes Ökonomiegebäude angemietet hatte. Mit welchen Mühen ein solches Vorhaben verbunden war, zeigt die nachstehende Schilderung nur im Ansatz. Auf legalem Wege und gegen Geld war zu Beginn der Bauarbeiten im Jahre 1947 praktisch nichts zu bekommen. Also mussten andere Möglichkeiten her. Zunächst ging es um die Baugenehmigung. Der dafür erforderliche Bauplan wurde gegen „Fettiges" (Butter, Schinken usw.) erstellt.

tmp1F2-2.jpg

Mit der Baugenehmigung war es nicht so einfach und das dauerte. Und als Matthias Fleschen schließlich mal zu Fuß nach Daun ging - alle Wege mussten zu Fuß zurückgelegt werden, außer wenn man ab Ulmen oder Gillenfeld mit der Bahn fahren konnte - und dem Bauamtsbeamten eher zufällig seine offene, aber mit einem Pfund Butter, einem Stück Schinken und Zigarren bestückte Tasche zeigte, klappte -nachdem davon etwas herausgerückt wurde -auch das. Das Wohnhaus wurde ganz unterkellert, was keine Selbstverständlichkeit war. Die Ausschachtungsarbeiten wurden per Hand und gegen Naturalien (Butter, Getreide, Kartoffeln usw.) durchgeführt. Der Mutterboden wurde in den späteren Garten gefahren. Für den Abtransport des übrigen Erdreichs zum nahe gelegenen Feldweg zum Distrikt Seitert wurden Gleise verlegt und mit einer Lore abgefahren, die aus der Steineberger Ley stammte.

tmp1F2-3.jpg

Als der Transport immer weiter von der Baustelle entfernt erforderlich wurde, spannte man vor die Lore eine Kuh. Nun musste aber noch Baumaterial her. Also verkaufte Matthias Fleschen dem Deme-rather Müller ein Feld im Distrikt Petersflur und erhielt dafür ein Rind. Das wurde auf der Demerather Mühle „schwarz" (also ohne Schlachtschein der französischen Besatzungsmacht) geschlachtet und in praktische pfundweise Stücke zerlegt. Mit einer „Ladung" inzwischen geräuchertem oder getrocknetem Fleisch unsichtbar unter dem Mantel verpackt, ging er zu Fuß zur Bahnstation Ulmen, fuhr nach Kruft und konnte dort Kalk, Hohlblocksteine und anderes Baumaterial hamstern. Dieses Baumaterial wurde per Bahn nach Ulmen geliefert und musste dort mit Fuhrwerken abgeholt und nach Demerath gebracht werden. Nun hatte Matthias Fleschen noch Glück; sein Bruder Peter verfügte über ein Pferdefuhrwerk, mit dem diese Transporte besorgt werden konnten. Mit einer Fuhre konnten immerhin 240 Hohlblocksteine von Ulmen nach Demerath gebracht werden. Natürlich wurden auch die Maurerarbeiten wochenlang gegen Naturalien geleistet. Für die Kellermauern wurden Lavagrot-zen aus Strohn und auch Basaltsteine aus der Steineberger Ley u. a. von „Kaspers Philipp" aus Ellscheid und Peter Bohr aus Steineberg per LKW mit Holzvergaser gebracht. Sand gab es in Gillen-feld aus einer Grube, die bereits im 3. Reich für Straßenbaumaßnahmen genutzt worden war. Der grobe Sand musste allerdings gesiebt werden. Als kräftiges Sieb diente ein Panzerschutzgitter. Für die Kellerdecke wurden ausrangierte Eisenbahnschienen vom Leiter des Bahnhofes Ulmen gehamstert, der dafür Kalk für sein eigenes Bauvorhaben erhielt, den Matthias Fleschen in Kruft gehamstert hatte. Das Bauholz gab es aus dem Gemeindewald und musste natürlich selbst geschlagen werden, es wurde mit Pferdefuhrwerken teilweise nach Steineberg und teilweise nach Schönbach gefahren und dort geschnitten und schließlich auch wieder abgeholt. Zunächst wurde nur das Wohnhaus im Rohbau errichtet, das Dach in einer „leichten" Bauweise hergestellt und mit gehamstertem Blech abgedeckt. Ein Sturm wehte dieses Dach am 09.02.1948 komplett vom Rohbau ab; die Sparren waren teilweise wie Streichhölzer gebrochen und das Blech war kaum noch zu gebrauchen. Nun ging Matthias Fleschen erst recht an die Arbeit. Jetzt errichtete er auch Stall und Scheune im Rohbau. Er war früher in Oberbettingen Knecht und bekam von dort eine selbst gebaute „Maschine" zur Herstellung von Zementdachziegeln. Nun hamsterte er gegen Weizen Zement von der Firma Kaspers in Ulmen und stellte alle Dachziegel für das Wohnhaus und das Ökonomiegebäude selbst her. Später fertigte er sogar die Dachziegel für weitere Häuser in Demerath. Die Zimmerarbeiten wurden von den Brüdern Peter und Johann Saxler aus Schönbach ausgeführt. Bei einem späteren Bauvorhaben in Demerath verunglückte Peter Saxler auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad nahe Demerath tödlich.

tmp1F2-4.jpg

Die Schreinerarbeiten wurden von Hanni Michels aus Steiningen gegen Getreide ausgeführt, nachdem die erforderlichen Beschläge für Fenster und Türen irgendwo im We-sterwald - ebenfalls gegen Getreide - besorgt werden konnten. Die Elektroarbeiten - von Willi Dix aus Daun ebenfalls gegen Naturalien erledigt -umfassten letztlich für das ganze Haus einen Stecker in der Küche und in jedem Raum einen Lampenanschluss in der Mitte des Raumes. Sowohl vor als auch nach der Währungsreform im Jahre 1948 musste neben den Naturalien auch noch Geld gegeben werden. Dieses war zwar vor der Währungsreform nichts wert, schmerzte aber nach der Währungsreform umso mehr. Unter ähnlich schwierigen Umständen wurden in der Folgezeit weitere neue Häuser mit Ökonomiegebäuden errichtet, so von Lambert Burghardt, Margarete Kordel, Johann Honadel und Margarethe Schäfer im Oberdorf. Peter Fleschen riss im Unterdorf das aus dem Jahre 1722 stammende Schulhaus (deshalb heute noch der Hausname „Schule") ab und baute ein neues Haus. Dort wurden die ersten von der Fa. Geisbüsch in Ulmen hergestellten Hohlblocksteine verbaut. Auch Johann Jungen im Unterdorf riss ein altes Wohngebäude ab und baute ein neues zweistöckiges Wohnhaus.

Wie schwierig die Verhältnisse zur damaligen Zeit waren, zeigt die Tatsache, dass nach den Vorgaben der französischen Besatzungsmacht Getreide, Kartoffeln, Viehfutter aber auch Haustiere und Milch abgeliefert werden musste. Butter durfte nicht selbst hergestellt werden, deshalb wurden die Trommeln von den Zentrifugen eingesammelt. Das Schlachten von Haustieren war verboten, Ausnahmen waren nur durch Schlachtscheine möglich, die von der Besatzungsbehörde ausgestellt wurden. Also wurde - mit Erfolg - versucht, „schwarz" zu schlachten.

Ein echter Aufbau im privaten Bereich konnte erst nach der Währungsreform beginnen, nachdem in späteren Jahren im Gemeindewald über das Winterhalbjahr Geld zu verdienen war. Der Beginn einer bescheidenen Motorisierung ermöglichte es, auch auswärts - insbesondere im Kölner Raum bzw. im Ruhrgebiet -Geld zu verdienen. Mit dem verdienten Geld setzte sich dann der zunächst zaghafte Aufbau im privaten Bereich fort.

Als erste bedeutende öffentliche Aufbaumaßnahme nach dem 2.Weltkrieg durch die Gemeinde war wohl der Ausbau der Straße nach Wollmerath zu sehen. In dem Beschlussbuch der Gemeinde Demerath ist unter dem 03.01.1949 festgehalten, dass „auf dem Weg nach Wollmerath eine Brücke neu gebaut und die 2. Brücke repariert werden soll". Des Weiteren „soll eine Strecke von einem Kilometer ausgebaut werden". Da auch die Gemeinde kein Geld hatte, wurden die Bauarbeiten zum größten Teil als Frondienst geleistet. Jedem Haushalt wurde entsprechend der von ihm bewirtschafteten landwirtschaftlichen Fläche ein Teilabschnitt des zu bauenden Weges zugewiesen. Die Frondienstarbeit bestand darin, das notwendige Gesteinsmaterial im nahe gelegenen Steinbruch am „Neuen Weg" zu brechen, mit Fuhrwerken zur Baustelle zu fahren und dort mit dem Kieshammer zu zerkleinern. Das war eine mühselige Arbeit. Mit dem Kieshammer (relativ kleiner Eisenkopf mit längerem und schwingendem Stiel) wurden per Hand alle Steine so zerkleinert, dass sie als Straßendecke eingebaut werden konnten. Die Menge des zerkleinerten Materials wurde im Übrigen relativ genau gemessen. Der Demerather Schmied hatte dafür einen konischen oben und unten offenen Metallbehälter gebaut, in den 1/2 Kubikmeter Material hinein-passte. Wegen der Ableistung der Arbeiten im Frondienst war damit kein Geld zu verdienen.

Im Unterdorf sollte nach dem Beschlussbuch außerdem noch ein Teilstück gepflastert werden. Es war das Stück vom Hause Johann Kiefer bis zum Hause Paul Stolz. Welche Arbeiten davon konkret im Jahre 1949 ausgeführt wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass die Bauarbeiten auch tatsächlich begonnen hatten, denn der Gemeinderat bewilligte dem Bürgermeister Peter Fleschen „für außerordentliche Arbeitsleistungen und Aufsicht beim Wegebau" eine einmalige Vergütung von 100,00 DM. Nach dem Beschlussbuch der Gemeinde Demerath wurden für 1950 Instandsetzungen an der Schule, des Steigerturmes und des Backhauses im Unterdorf vorgesehen. Beim Steigerturm, in dem die Feuerwehrschläuche nach Übungen und Einsätzen zum Trocknen aufgehängt wurden, wurde der Holzaufbau erneuert. Insbesondere die beiden Öfen im Backhaus im Unterdorf wurden damals erneuert, für das Unterdorf eine ganz wichtige Maßnahme.

Als nach und nach Einkommen erreicht wurden, die es erlaubten, die Baufälligkeit der Gebäude zu beseitigen, Häuser zu modernisieren bzw. neu zu bauen und Einrichtungen - sowohl im Haus als auch im Ökonomiegebäude - zu erneuern, wurden diese Gelegenheiten beim Schopf gepackt. Das dabei auch manches „Kind mit dem Bade ausgeschüttet" wurde, ist aus der damaligen Situation verständlich. Alles, was an die mehr oder minder überstandene Armut erinnerte, sollte verschwinden. Das Dorfverlor dabei immer mehr sein typisches Gesicht. Und wie viele der allzu schnell weggeworfenen Einrichtungsgegenstände hat sich mancher wieder zurückgewünscht. Der Ruf des armen Dorfes hing Demerath noch lange an. Als der Verfasser 1959 zum damaligen Landratsamt kam, wurde er des Öfteren gefragt, ob in Demerath die Häuser immer noch an die Bäume angebunden seien. Ob es früher so etwas gegeben hat, ist nicht bekannt. Aber denkbar wäre das bei den damaligen ärmlichen Verhältnissen in Demerath schon gewesen. Es hat viele Jahre gedauert, bis Demerath seinen Rückstand von der „Notstandsgemeinde" nach dem 2. Weltkrieg zum Erscheinungsbild anderer Dörfer aufgeholt hatte.