Das waren die Amis…

Kartoffelkäfer als Bio-Waffen?

Alois Mayer, Daun

Nahezu jeder, der mindestens 50 Jahre alt ist, erinnert sich noch an seine Kinder- und Jugendzeit, in der er häufig -teilweise sogar mit der ganzen Schulklasse - auf Kartoffelfeldern die lästigen Kartoffelkäfer mitsamt ihren Eiern und Larven sammeln musste. Kleine Belohnungen oder hausaufgabenfrei sollten das Sammeln zum pfadfinderischen Abenteuer machen. Es war keine appetitliche Angelegenheit, die Käfer zu sammeln oder deren Eier von den Blattunterseiten der Kartoffel abzustreifen. Wie oft zerquetschten sie und hinterließen schmierigen Schleim.

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Jeder Naturfreund würde heute grausen, aber wer empfand damals Mitleid mit den Schädlingen, wenn sie zum Schluss meistens mit Altöl oder Petroleum überschüttet ihr Leben in einer Blechdose und qualmendem Gestank ließen. Es war wohl allen Sammlern einleuchtend, den Kampf gegen diese Schädlinge aufzunehmen, um als Sieger dann einen besseren und größeren Kartoffelvorrat zu ernten.

Etwa ein Zentimeter groß ist der Blattkäfer und an seinen zehn schwarzen Längslinien auf den gelben Flügeldecken leicht erkennbar. Er frisst mit Vorliebe die Blätter von Kartoffel- und Tabakpflanzen. Die Käfer kriechen nach der Überwinterungsperiode aus dem Boden und suchen ihre Futterpflanzen auf. Das Weibchen legt 20 bis 30 Eier auf Blattunterseiten ab, bis zu 2500 Eier! Pro Jahr sind mehr als drei Generationen möglich. Die rot-schwarzen Larven verpuppen sich nach zwei bis vier Wochen und entwickeln sich in 24 Tagen zu Käfern. Bei günstiger Witterung kann es zu Massenvermehrung und bei Befall von Kulturpflanzen zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden kommen. Und immer erzählte man mit felsenfester Überzeugung, die Schuld an der Kartoffelkäferinvasion trüge der Amerikaner. Während des letzten Weltkrieges hätte er sie aus Flugzeugen abgeworfen, um so die deutsche Landwirtschaft zu schädigen. Auf Plakaten und in Zeitschriften aus jener Kriegs- und Nachkriegszeit sind markige Sprüche zu lesen „Saboteure im amerikanischen Dienst am Werke" oder „Arbeiter und Bauern, seid wachsam!" Was ist nun an dieser Behauptung wahr? Bewiesen ist wohl, dass tatsächlich England und Frankreich schon während des Ersten Weltkrieges den Abwurf der gefräßigen Kartoffelschädlinge, deren Ursprungsland Nordamerika ist, über deutschem Gebiet planten. Aber da war der Käfer schon längst von Nordamerika aus über Frankreich (1877) nach Europa eingeschleppt. 1938/1939 trat er zum ersten Mal massiv am Rhein auf. Mangels natürlicher Feinde war er nicht mehr zu stoppen. 1942 wurde der deutschen Heeresleitung ein (falscher) Geheimdienstbericht vorgelegt, nach dem die Alliierten bereits Kartoffelkäfer als biologische Waffe eingesetzt hätten. Doch diese Meldung erwies sich als erlogen und falsch.

In Wirklichkeit nutzte Lepti-notarsa decemlineata - so heißt der Kartoffelkäfer auf Latein - die Wirren der beiden Weltkriege und wanderte ganz ohne fremde Hilfe ostwärts. 1922 wurde er in der Umgebung der französischen Hafenstadt Bordeaux festgestellt. Schon im nächsten Jahr breitete sich eine Armee von Larven über Frankreich aus, die bereits Riesenflächen von Kartoffelpflanzungen kahl fraßen.

1939 überschritten sie in breiter Front den Rhein, 1945 die Elbe, 1950 die Oder. Heute ist der Pflanzenschädling in ganz Europa und Mittelasien heimisch. Die Landwirtschaft der jungen DDR war der gefräßigen Kartoffelkäferinvasion nicht gewachsen. Wegen immenser Reparationsleistungen an die Sowjetunion konnten nicht genügend Insektizide erzeugt werden. Partei und Regierung antworteten mit einem Propagandafeldzug. Von höchster politischer Seite wurde stets hartnäckig propagiert, Schuld seien die „US-Imperialisten".

Und in diesen ersten Nachkriegsjahren, als die Nahrungsmittel mehr als knapp und die Kartoffel eines der wichtigsten Lebensmittel war, galt es für alle, den Kartoffelkäfer zu bekämpfen. Aber das Gerücht über diese „amerikanische biologische Waffe" hielt sich hartnäckig, bis heute.

Konnte dereinst nur durch rabiate Maßnahmen, wie das Abbrennen der Felder, fürs Erste eine Massenvermehrung gestoppt werden, so stellt der Kartoffelkäfer Dank heutiger umweltfreundlicher Bekämpfungsmethoden keine große Gefahr mehr dar - und kein Schulkind muss heute mehr für die Schule oder fürs Elternhaus hinaus auf die Felder, um diese „Kartoffel-Killer-Fressmaschine" zu sammeln.

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