Die Wallenborner Volksschule in der Nachkriegszeit

Aufbau und Neuregelung des Schulwesens

Matthias Thömmes, Philippsheim

Als im Laufe des März 1945 die Amerikaner den Kreis Daun eingenommen hatten, sah es in den meisten Dörfern verheerend aus. Zerstörte Häuser und Schulen, abgedeckte Dächer, zertrümmerte Fensterscheiben, verschlammte Straßen wohin man sah. In den mit Wasser gefüllten Bombentrichtern schwammen die Kadaver toter Pferde, und überall lag das von der deutschen Wehrmacht zurückgelassene Kriegsmaterial: zerstörte Fahrzeuge, Panzer, gesprengte Geschütze, aber auch Handgranaten und Munition aller Art. So mancher musste noch nach Beendigung der Kampfhandlungen sein Leben lassen oder Verstümmelungen erleiden, weil er mit diesen gefährlichen Gegenständen hantierte.

Schon bald nach dem Einzug der Amerikaner ging es ans große Aufräumen, Reparieren und Wiederaufbauen. In Wal-lenborn wurden die arbeitsfähigen Einwohner mit der Schelle zusammengerufen, um mit Hacke und Schaufel zunächst die Trümmer im Ortszentrum zu beseitigen und die Bombentrichter zuzuschütten. Danach folgten die Reparaturen an den beschädigten Häusern, und zwar mit ganz bescheidenen Mitteln. Es gab ja kein Glas und keine Dachziegel. So behalf man sich mit Blech und Pappe, das man - oft auf krummen Wegen - irgendwie organisierte. Ebenso wurden die von Panzerspuren und Granattrichtern verschandelten Wiesen und Felder wieder in Ordnung gebracht und anschließend bestellt. Wichtig war vor allem die Instandsetzung der Schule, damit der Unterricht wieder beginnen konnte. In Wallenborn dauerte es anderthalb Jahre, bis die gröbsten Schäden am Schulgebäude beseitigt waren, das vor allem beim Bombenangriff am 18.2.1945 schwere Schäden davongetragen hatte. Lehrer Keidel schreibt in der Schulchronik: „Von Februar bis November 1945 regnete es an unzähligen Stellen durch das Schieferdach. In allen Zimmern tropfte es von der Decke, und es gab nicht Gefäße genug, um das Wasser auf dem Speicher aufzufangen." Erst durch die unermüdliche Initiative von Pfarrer Heil konnten der Dachdecker Baasch und der Zimmermann Jakob Hens das Dach so weit in Ordnung bringen, dass es nicht mehr ins Gebäude hinein regnete. So retteten sie das Schulhaus vor dem Verfall. Nachdem Lehrer Keidel mit Wirkung vom 1.11.1945 an die Volksschule Mehren abgeordnet worden war, wurde am 20.2.1946 Fritz Keßler aus Salm durch Verfügung des Regierungspräsidenten in Trier als Schulhelfer die vertretende Verwaltung der Schulstelle Wallenborn übertragen. Damit konnte nach eineinhalbjähriger Unterbrechung der Unterricht in Wallenborn wieder aufgenommen werden. Da die Schülerzahl zu dieser Zeit 118 Kinder betrug, wurde Fritz Keßler eine Schulhelferin als zweite Lehrkraft zugewiesen. Für uns Schüler begann nun eine totale Umstellung. Nach den wilden schulfreien Jahren fiel es zunächst schwer, sich in den Schulalltag wieder einzufügen, und sicher war das auch für die Lehrkräfte keine leichte Zeit.

Abgesehen von der von Lehrer Keidel immer wieder zitierten „Verwilderung der Schuljugend", herrschte große Not. Es gab kein Schreibmaterial, keine Bücher und keine Lehrmittel. Was nicht geplündert worden war, durfte nicht mehr verwendet werden. Erst im Laufe der Nachkriegsmonate wurden von der Besatzungsmacht allmählich neue Bücher genehmigt und andere Richtlinien zur Erziehung herausgegeben. Das in der Nazizeit praktizierte staatliche Erziehungsmonopol wurde durch die gemeinsame Arbeit der verschiedenen Bil-dungs- und Erziehungsträger wie Eltern, Staat, Gemeinden, Kirchen und Religionsgemeinschaften ersetzt. Der neue Erziehungsauftrag der Schule kam damals in Artikel 33 der Landesverfassung so zum Ausdruck:
„Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit, zur Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher Haltung und beruflicher Tüchtigkeit und in freier, demokratischer Gesinnung im Geiste der Völkerversöhnung zu erziehen."

Welch ein Gegensatz zu den menschenverachtenden Ideologien und Prinzipien der vergangenen Jahre. Ein totales Umdenken war erforderlich. Das vom Nationalsozialismus infiltrierte Geschichtsbe-wusstsein musste neu überdacht werden. Das war für Lehrer noch schwerer als für Schüler. Die schließlich nach konsequenter Durchleuchtung von der Militärbehörde zugelassenen Lehrer waren im Unterricht ganz auf sich gestellt und hatten weder Richtlinien noch eine genaue Zielsetzung und Wegweisung. Am 2. September 1945 erschienen, von der Militärregierung in Bad Ems herausgegeben, die ersten Schulvorschriften nach dem Kriege. Sie beinhalteten vorrangig Verbote für Unterrichtsschrifttum, Lieder, Übungen und Spiele nationalsozialistischen und militärischen Charakters sowie die Vermittlung ebensolchen Gedankengutes. Diese Forderungen wurden in einem vorläufigen Lehrplan am 3. Oktober 1945 den Schulen überreicht. Am 5. April 1946 veröffentlichte die Militärregierung neue Richtlinien, die den verbindlichen Lehrplan für alle Volksschulen der französisch besetzten Provinz Rheinland-Hessen-Nassau, zu der auch unser Gebiet gehörte, darstellte. Darin waren Stoff angaben für alle Fächer und allgemeine Unterrichtsanweisungen, vor allem aber die politische, ethische und ideologische Wertung innerhalb der einzelnen Fächer enthalten.

Bereits in den Jahren 1945/46 wurden wieder Schulbücher gedruckt. Diese Bücher erschienen im Lehrmittel-Verlag Offenburg/Mainz und unterlagen der Genehmigung der Militärregierung. Die Lesebücher waren überwiegend heimatbezogen und enthielten in der Unterstufe Themen wie „Daheim und in der Schule", „Der Frühling kommt", "Im Garten, Feld und Wiese", "Im Sommer", "Jetzt kommt der Herbst", "Verschneite Welt", in der Mittel- und Oberstufe Erzählungen und Geschichten von Peter Roseg-ger und Johann Peter Hebel, Sagen und Märchen, heimatbezogene Beiträge wie „Das Amphitheater in Trier", „Römerstraßen und Römervillen", „Die Igeler Säule" sowie Gedichte wie „Das Riesenspielzeug", "Bei einem Wirte wundermild", „Johanna Sebus" und „Schwäbische Kunde" (Als Kaiser Rotbart lobesam). Nun durften auch die Pfarrer wieder in Schulen Religionsunterricht erteilen. 1945 wurde der „Kleine" und „Große katholische Katechismus" von 1928 im Paulinus -Verlag Trier neu gedruckt und 1946 Eckers „Kleine" und „Große katholische Schulbibel" im Pathmos-Verlag Düsseldorf in der Ausgabe von 1929 neu herausgegeben.

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Erste Lesehefte 1945/1946


Schulalltag in der Nachkriegszeit

Da der Geburtsjahrgang 1931/32 während der Kriegsjahre nicht mehr entlassen werden konnte, bildeten diese Kinder in dem neuen Klassenverband das 9. Schuljahr. Dieses verblieb jedoch nur wenige Tage in der Schule. Schon am 26. 2 1946 erfolgte die Entlassung. Mir persönlich machte das Lernen nach den massiven Schulversäumnissen der vergangenen Jahre überraschend schnell wieder Spaß, vor allem in den Fächern Heimatkunde, Deutsch, Erdkunde, Biologie und Musik. Im Rechnen lagen wir allerdings hoffnungslos im Rückstand, und als ich am 20. 8. 1946 aus der Volksschule entlassen wurde, beherrschte ich gerade mal das schriftliche Addieren, Subtrahieren und Multiplizieren. Im Übrigen unterschied sich der Schulalltag nicht sehr von der Kriegszeit. Die Ausstattung unseres Klassenraumes mit den langen Bänken mit Klappsitzen und dem eingelassenen Tintenfass, den großen Schreibtafeln und der russischen Rechenmaschine war immer noch vorhanden, und unser Bestand an Lehr-und Lernmitteln war mehr als dürftig. Als es schließlich wieder Schreibhefte und Lesebücher zu kaufen gab, waren diese aus schlechtem, grobfaserigem Papier, auf dem die Tinte auseinander lief. Die ersten Lesebücher waren Lesehefte aus dem gleichen Material. Wir gingen sogar stundenweise Bucheckern sammeln, da die Wälder im Herbst 1945/46 besonders viele dieser Früchte lieferten und als Ergänzung der knappen Ölvorräte sehr willkommen waren. Wie schon während der Kriegsjahre machten wir sommerlicheAusflüge in den Weidenbacher Wald, um Heidelbeeren zu sammeln. Schon morgens früh begaben wir uns mit Eimern und Dosen bewaffnet auf die vier Kilometer lange Wanderung, denn es dauerte einen ganzen Tag, bis die mitgebrachten Gefäße gefüllt waren. Die gesammelten Beeren wurden verkauft und der Erlös für Schulausflüge verwendet.

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Schulklasse mit Lehrer Mehler auf dem Weg in den „Worgelbesch"

Eine Neuerung im damaligen Schulleben war die Schulspeisung, die während der Pausen durchgeführt wurde. Die Zubereitung hatte meine Mutter übernommen, und obwohl wir keinen direkten Hunger leiden mussten, drängten wir uns bei der Ausgabe und ließen uns die verschiedenen Speisen wie süße Suppen, Schokolade oder Milchgetränke gut schmecken. Erst allmählich besserten sich die Verhältnisse, und mit der Währungsreform begann auch die äußere und innere Reform des Schulwesens sowie die Erneuerung und Modernisierung der Ausstattung mit Tischen, Stühlen und Lernmaterial. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, einen Blick auf die damalige Lehrerausbildung zu werfen. Hierfür war zunächst die Pädagogische Akademie in Bad Neuenahr zuständig. Um jedoch dem herrschenden Lehrermangel schnell Abhilfe zu verschaffen, richteten die Franzosen das so genannte „Pädagogium" ein, eineSchule, in der man innerhalb von vier Jahren auf die Pädagogische Akademie vorbereitet werden sollte. Kurz vor der Schulentlassung war ich überrascht, als Lehrer Keßler zu mir kam und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, die Aufnahmeprüfung für dieses Pädagogium zu machen. Ich sagte zwar zu, machte mir aber aufgrund meiner mangelhaften Schulausbildung wenig Hoffnung. Im kalten Winter 1947 mus-ste ich daraufhin nach Trier, um die Aufnahmeprüfung für dieses Institut zu machen und war überrascht, als ich Wochen später die Nachricht erhielt, dass ich die Prüfung bestanden hätte. So begann ich denn im Frühjahr 1947 zunächst in Trier meine Ausbildung zum Lehrer. Im Herbst wurden wir nach Daun verlegt, wo wir in den Holzhäusern des heutigen „Parkhotel Anna Maria" unterhalb von Daun im Liesertal wohnten und in Baracken des ehemaligen Reichsarbeitsdienstes am gegenüberliegenden Hang unsere Unterrichtsräume hatten. Im Herbst 1948 kam ich dann nach Alzey, wo ich 1953 das Abitur machte, denn mittlerweile war aus dem Pädagogium das Aufbaugymnasium geworden, an dem das Abitur verlangt wurde. Anschließend ging ich zur „Pädagogischen Akademie" in Trier, wo ich nach zweijährigem Studium am 30. März 1955 die 1. Lehrerprüfung erfolgreich ablegte.