Feuerleihen

Wilma Herzog, Gerolstein

Sicher kennt man noch den Ausdruck „gibst du mir mal Feuer", auch wenn das Zigaretteanzünden an einer brennenden anderen in der heutigen Zeit der Wegwerf-Feuerzeuge kaum noch gemacht wird.

Feuerleihen dagegen wurde direkt nach dem Krieg in vielen Nachbarschaften praktiziert. Denn es gab noch keine Streichhölzer zu kaufen. Zigaretten oder Pfeifen wurden angezündet mit Fidibussen aus Holz oder aus zusammengefalteten schmalen Stückchen Zeitungspapier, die man in die Herdglut hielt. Aber Zeitungen waren eher rar, nur wenige konnten sich eine leisten. Da mussten vorsichtig mit einem Messer von einem Holzscheit lange dünne Späne abgetrennt werden. Am besten funktionierte das mit einem Stück Tannenholz. Diese Fidibusse lagen in einem Holzkistchen im Kohlekasten unter dem Herd bereit. Es gab aber auch eine andere interessante Art des Pfeifean-zündens. Die Männer nahmen mit der flachen gebogenen Spitze des Stocheisens winzige Glutstückchen aus dem Herd und legten sie geschickt auf die Mitte der Pfeife. Mein Opa kippte sogar das glühende Holzkohlestückchen vom Stocheisen zuerst in seine von harter Waldarbeit schwielige Hand und dann mitten auf seine Pfeife. Natürlich unter den bewundernden Blicken seiner Enkelin. Das Feuer im Herd startete man mitunter auf eine besonders gefährliche Art, nämlich mit Pulverstangen einstiger Munition. Einmal zerbrach meiner Mutter ein solches Stück vor dem Herd in viele Einzelteile, sie entzündeten sich gleichzeitig und überall loderten Brandherde auf dem Holzfußboden. Geistesgegenwärtig warf Mutter die Sofakissen darauf und erstickte die Flammen. Eine schmerzhafte Erinnerung habe ich an einen Elek-troanzünder, den es damals gab. Meine Oma konnte sich einen leisten. In die Steckdose kam die tassenähnliche Porzellanvorrichtung, die vorne offen und innen mit einer feinen Drahtspirale ausgestattet war. Bald glühte die Spirale und man steckte einen Papier-Fidibus hinein, der sofort anfing zu brennen. Einmal berührte ich unbeabsichtigt das Innere und bekam einen Stromschlag, dass mein Herz nur so raste. Man war bis Anfang der Fünfziger Jahre sehr darauf bedacht, dass auch nachts das Feuer im Herd anblieb. Abends wurde die Ecke eines Briketts an etwas Glut gelegt. Wer eine Zeitung hatte, feuchtete zuerst eine Seite an und schlug das Brikett darin ein. Das Ganze wurde mit Asche bedeckt. In der Nacht glühte das Brikett durch und man fand, wenn man es ganz geschickt gemacht hatte, morgens noch etwas Glut vor.

War das Feuer im Herd tagsüber ausgegangen, weil man nicht fleißig genug nachgelegt hatte, dann lieh man sich in der Nachbarschaft Feuer. Man ging mit der Kohlenschaufel in das nächste Haus und fragte: „Könnt Ihr mir heute Feuer leihen?" Das bekam man denn auch. Ein paar glühende Kohlenstückchen, viel nicht, denn Glut war kostbar. Man trug sie rasch heim und startete mit besonders trockenen kleingehauenen Scheiten das Feuer im Küchenherd. Aber man war sich sicher, es wird gar nicht lange dauern, dann kommt die Nachbarin mit ihrer Schaufel an die Küchentür und stellt die gleiche Frage: „Könnt Ihr mir heute Feuer leihen?"