Wiederaufbau Landwirtschaft im (Alt-) Kreis Daun ab 1945

Winfrid Blum, S p r i n g i e r s b a c h

Zeitlicher Ausgangspunkt dieses Beitrags soll der Zusammenbruch 1945 sein. Von diesem Punkt aus sollen, um die einmalige geschichtliche Situation ganz deutlich hervortreten zu lassen, Blicke auf der Zeitachse nach hinten und nach vorn gerichtet werden, die bestimmte Haltepunkte sozusagen als markante Eckwerte kennzeichnen.

I.

Dafür herangezogen wurde die „Denkschrift über die im Kreise Daun entstandenen Kriegsschäden", vom damaligen Landrat Johannes Feldges im April 1949 unterzeichnet. Sie sollte die Forderungen des Kreises Daun untermauern, bei Ausschüttung von Mitteln für die Grenzgebiete in gleichem Maße berücksichtigt zu werden wie unmittelbare Grenzkreise. Der Landrat war als Amtsbürgermeister von Niederstadtfeld in den 1930-er Jahren von den Nazis entfernt worden; die Amerikaner setzten ihn als solchen wieder ein, und Ende 1945 wurde er zugleich Landrat -in dieser Doppelfunktion bis 19471; er war also ein bodenständiger Kenner der örtlichen Verhältnisse. Die landwirtschaftliche Struktur des (Alt-)Kreises Daun stellt sich in der Denkschrift wie folgt dar: 833 Betriebe besitzen 0 bis 2 ha, 1599, fast ein Drittel aller Betriebe, 2 bis 5 ha, ein weiteres gutes Drittel 5 bis 10 ha; 529 Betriebe mühen sich auf 10 bis 20 ha ab, 59 Betriebe (1,22 %) haben 20 bis 50 ha, 50 bis 100 ha nur neun Betriebe und über 100 ha noch zwei. Zusammenfassung: „Durch die ungünstigen klimatischen Verhältnisse, Höhenlage und den vulkanischen Boden sind Betriebe bis zu 7,5 ha Hungerbetriebe. Von den 4.860 Betrieben sind damit 3.347 = 68,8 % Hungerbetriebe." Verschärfend wirkt die Tatsache, dass sogar nach der Umlegung in Gemeinden die Größe der einzelnen Parzellen im Durchschnitt immer noch viel kleiner ist als beispielsweise im Nachbarkreis Prüm. Über die Höhe der Kriegsschäden an landwirtschaftlichen Betrieben macht die Denkschrift - ihrer Zielsetzung entsprechend - pauschale Angaben, aber ist trotzdem aussagekräftig, da es ja nicht um etwaige Entschädigungsforderungen einzelner Bauern geht: bei den 2.432 Betrieben von 0 bis 5 ha wurden 21,7 % (518) beschädigt, bei denen von 5 bis 20 ha 17,2 %, von 20 bis 50 ha 11,8 % und bei den 9 großen Betrieben von 50 bis 100 ha noch einmal 22 %. Die Todesopfer durch Luftangriffe und den „Eifelschreck", die V-Raketen, in den Jahren 1944 und 45 sind mit 552 festgehalten (im Feld in dieser Zeit gefallene Soldaten: 1.504). Einwohner im Kreis 1939: 35.802. Die Denkschrift enthält darüber hinaus u. a. Übersichten über den Zerstörungsgrad der drei größten Orte im Kreis: Gerolstein 70 %, Daun 51,3 %, Hillesheim 33,5 %; über die Kriegsschäden der Mineralwasserindustrie, der Elektrizitätsversorgung und des Hotel- und Fremdenbeherbergungsgewerbes.

II.

Über die Besitzverhältnisse früherer Zeit liegt umfangreiches Material vor23. Hier interessierende statistische und beschreibende Zusammenstellungen, auf den (Alt-)Kreis Daun bezogen, werden nachfolgend herangezogen. So berechnet sich die Durchschnittsgröße eines landwirtschaftlichen Betriebs nach Erhebungen von 1882 und 1907 im Kreis Daun jeweils auf 4,4 ha. Im Jahre 1907 entfielen auf die Größenklasse 0 bis 5 ha 65,76 % der landwirtschaftlichen Betriebe. Andererseits bewirtschafteten diese Betriebe nur 32,28 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die allgemeine Entwicklung im Kreis, dass die (kleinen) Parzellenbetriebe zu Gunsten der nächstgrößeren abnehmen, wird durch die zunehmende Abwanderung erklärt. Verstärkt sich die Wanderbewegung fort vom Land, wird die Nachfrage nach den kleinen Betrieben geringer und Land „wandert zum besseren Wirt": d.h.: die vorhandenen Betriebe können sich vergrößern.

Abwanderung, (auch eine Folge des üblen Prinzips der Realteilung), schlechte Binnenlage der einzelnen viel zu kleinen Parzellen mit dem Nachteil überaus hohen Aufwands bei der Bewirtschaftung usw. - kurz, die gesamte Grundbesitzverfassung hatte dazu geführt, dass für die Ei-fel ein Notstandsfonds eingerichtet worden war. Brinkmann (Anm. 2, S. 337) fasst zusammen, die Bauern müs-sten „von der Hand in den Mund" leben, seien nicht in der Lage, den notwendigen Sparpfennig für ungünstige Jahre zurückzulegen. Dieses Ergebnis ist fast identisch mit der oben wiedergegebenen Charakterisierung durch Landrat Feldges 1949: mehr als zwei Drittel seien Hungerbetriebe. Die besondere Unterstützung und Förderung des „Grenzlands" im Westen (der Bundesrepublik) durch das Land Rheinland - Pfalz nach 1945 war Tradition. Sie setzte die segensreiche Hilfe aus preußischer Zeit, genau seit dem Hungerjahr 1882, fort, als der sog. Eifelfonds (ab 1901 aufgegangen in dem Rheinischen „Westfonds") gegründet wurde4. Das Grundprinzip war damals schon - wie heute für erfolgreiche Entwicklungspolitik gefordert -: keine Almosen/Geschenke, sondern Hilfe bei der vom Unterstützten zu erbringenden Eigenleistung. Aber auch diese im Einzelnen - von Dränagen bis Korbweidenzucht - nicht hoch genug einzuschätzende „Entwicklungshilfe" hatte im Ergebnis den „armen" Kreis Daun nicht entscheidend vorangebracht; ein bestürzendes Ergebnis!

III.

Wenden wir uns wieder der „Gegenwart" der Nachkriegsjahre zu, die viele von uns miterlebt haben, aber auch für viele weit zurückliegende Vergangenheit ist! Es geht um die Weichenstellung in jenen maßgeblichen Jahren. Landrat Feldges, der bis 1952 amtierte, legte im April 1951 eine (weitere) Denkschrift vor „über die agrarsoziologischen Verhältnisse im Kreis Daun (Eifel)". Sie war gedacht und zusammengestellt als Arbeitsgrundlage für eine Tagung der Agrarsoziologischen Arbeitsgemeinschaft am 8. April 1951. Gründung und Zielsetzung der Arbeitsgemeinschaft gehen aus diesem Werk nicht hervor, waren für die Beteiligten offenbar auch nicht nötig. Der Reiseweg ging von Bernkastel, wo die Tagung wohl begann, über Strotzbüsch, Daun, Domäne Rengen, Hil-lesheim nach Niederehe bis zum Nachbarkreis Ahrweiler. Aufgeführt sind 25 Themenblöcke von „Geologische Verhältnisse" über „Landfrau und Landflucht", „Heimindustrie" bis zur „Kommunalpolitik". Eine Veröffentlichung in der Zeitung „Wittlicher Tageblatt" vom 30. 3. 1951 teilt darüber hinaus mit, die Denkschrift werde den verschiedenen Dienststellen der Bundesund Landesregierung, Hochschulen, wissenschaftlichen Institutionen und anderen zugeleitet.

Behinderungen, Schäden, Zerstörungen und Beschlagnahmungen von Personen, Tieren, landwirtschaftlichen Betrieben, Straßen und Wegen haben in den geschilderten Einzelfällen dieses Jahrbuchs einen beredten, anrührenden Ausdruck gefunden; diese und viele weitere Fälle ihrerseits schlagen sich nieder in den so abstrakt klingenden, aber grundlegenden allgemeinen Zusammenstellungen, Berichten, Statistiken und Denkschriften; so nüchtern und scheinbar trocken sie sich auch lesen, damit erst finden sie ihren überzeugenden Niederschlag. Unter diesem Aspekt sollten daher die folgenden komprimierten Ergebnisse gesehen werden. Zwei Landwirtschaftsräte aus Daun und Hillesheim nehmen sich in der Denkschrift des Themas „Landwirtschaft" an. Bei durchschnittlich 165 Regentagen im Jahr, bei einer mittleren Jahrestemperatur von 7,7° C (minus 1,0° im Januar, 16,7° im Juli) drängen sich in der außerordentlich kurzen Vegetationszeit die fälligen Bestellungs- und Erntearbeiten auf einen sehr engen Zeitraum. Dazu kommen die kargen Böden, darauf Bauernbetriebe mit mittlerer Betriebsgröße seit 1882 von unverändert ca. 4,5 ha! 80 % aller Betriebe haben weniger als 7,5 ha. Vorschläge für sofortige und langfristig zu erwartende Verbesserungen (S. 12 ff. und 137 f. der Denkschrift): Rodung geeigneter Waldflächen im Austausch mit schlechten Nutzflächen; Mehrung der Erträge auf den Nutzflächen durch verstärkte Handelsdüngeranwendung, regelmäßigen Saatgutwechsel, Ausdehnung des Hackfruchtbaus, der Dränage, bessere Bodenbearbeitungsgeräte und Umlegung/ Flurbereinigung.

Die Aufzählung geht weiter, die Beispiele mögen genügen: alle Maßnahmen werden nicht etwa auf Grund spezieller Kriegsschadensfolgen gefordert, sondern sie sind Ausdruck eines erneuerten Aufbruch- und Aufbauwillens, aus Anlass dieser einschneidenden Zäsur der Armut des Kreises von Grund auf entgegenzutreten. Ein Schlüsselsatz dazu: „ERP - Mittel (Marshall-Plan) wurden von kriegszerstörten Betrieben in vielen Fällen mit der Begründung abgelehnt, weil man den Zins- und Rückzahlungsbedingungen nicht nachkommen konnte".

IV.

Wie ging die Entwicklung weiter? Auch hierüber gibt eine Schrift des Kreises Auskunft5. Der gerafften Darstellung der Kriegsschäden und -folgen auf 28 Seiten werden die optimistisch stimmenden 15 Seiten des Wiederaufbaus nachgestellt. Aus dem wiedergegebenen Verwaltungsbericht zum März 1955 sei zitiert: „...beantragt, die begonnene Autobahn von Trier durch die Eifel nach Koblenz fertig zu stellen". Wer weiß noch, wie die Gegend ohne Autobahn aussah? Ein besonderes Kapitel behandelt auf 1 1/2 Seiten (S.35 f.) das für diesen Beitrag ausgewählte Stichwort „Landwirtschaft" ; diese Seiten haben es in sich. Nur einige der Ergebnisse seien hier wiederholt. Die Kriegsschäden an Betrieben bis zu 20 ha waren „bis auf 0,1 % bis 1 %" beseitigt. Fehlten 1950 noch im Vergleich zu 1938 rund 2000 Kühe, war der Milchertrag 1955 um fast 1,3 Millionen Liter höher als 1950. Der Kreis Daun war als landwirtschaftliches Notgebiet anerkannt, so dass der Staat bereits im Jahre 1951 ca. 174.000 DM für die Landwirtschaft zur Verfügung stellte; dazu u. a. ERP- und Bundesmittel: Hilfen für 229 Landwirte und 11 Genossenschaften. Allein in der Dauner Umgebung wurden 9 Schleppergemeinschaften gebildet, 43 private Schlepper beschafft. Schließlich sei noch die Domäne Rengen erwähnt, die durch ihre Forschungen in Verbindung mit der Universität Bonn von großer Bedeutung für das Land ist.

1 Trierer Biographisches Lexikon, Hg. Heinz Monz, Trier, 2000, Stichwort: Feldges Johannes (Nico Sastges). Danach war Feldges gleichzeitig Landrat und Amtsbürgermeister bis 1947

2 Eifel - Festschrift zur 25jährigen Jubelfeier des Eifelvereins herausgegeben von Alfred Herrmann, Bonn, 1913. Hier insbesondere S. 313 ff.: Theodor Brinkmann, Aus dem Wirtschaftsleben der Ei-felbauern.

3 Peter Blum, Entwicklung des Kreises Daun, Festbuch zur Rheinischen Jahrtausendfeier, Daun 1925, bes. S. 26 ff..

4 Wie Anm. (2) S. 383 ff., Anm. (3) S. 104 ff

5 Krieg und Wiederaufbau im Eifelkreis Daun 1939 - 1955, Herausgegeben vom Kreisausschuss Daun, Daun/Eifel 1956.