Feste und Unterhaltung in der Nachkriegszeit

Als aller Hoffnung Ende war - Weihnachten 1945-1949

Matthias Thömmes, Philippsheim

„Als aller Hoffnung Ende war in dem dunklen Weltenlauf, da ging im Stall von Bethlehem der Stern der Liebe auf!" Dieses Lied - damals regelmäßig von Lyss Assia im Radio gesungen - erklang in jenen Jahren wie ein Motto. Als in den dunklen Monaten 1944/45 niemand mehr Hoffnung auf ein gutes Ende dieser schrecklichen Zeit hatte und alles in Trümmern lag, kehrte doch mit dem Kriegsende wieder frischer Mut und Hoffnung auf eine bessere Zukunft bei den Menschen ein. Das erste Weihnachtsfest nach dem Kriege ist sicher vielen in Erinnerung geblieben. Erstmals ohne Fliegergefahr waren die Gottesdienste überfüllt mit frommen und glücklichen Menschen, die ohne Pathos und falsche Frömmelei Gott für die heil üb erstandenen Unglücksjahre dankten. Erstmals nach fünf Kriegsweihnachten wurde der Engelsgruß „...und Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind" im wahrsten Sinne des Wortes wieder wahr.

Das erste Weihnachtsfest nach Beendigung der Kampfhandlungen unterschied sich zunächst kaum von denen der Kriegsjahre. Da unser Vater bereits im Frühsommer 1945 aus Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, konnte ich nun wieder mit ihm in den verschneiten Wald gehen, einen Weihnachtsbaum zu schlagen. Mit besonderer Freude wurde er am Heiligabend geschmückt. Wie in den Jahren zuvor wurden die Teller noch bescheiden mit etwas selbst gebackenem Gebäck, Obst und Süßigkeiten gefüllt. Apfelsinen und Schokolade hatte es schon die ganzen Kriegsjahre nicht mehr gegeben und gab es auch jetzt noch nicht. Auch die Geschenke fielen ärmlich aus. Trotzdem feierten wir bei Weihnachtsbaum und Krippe, besuchten die Gottesdienste in der weihnachtlich geschmückten Kirche, sangen die althergebrachten Lieder und erfreuten uns des neu geschenkten Lebens ohne Kriegsgefahr. Gut kann ich mich noch daran erinnern, als wieder Strom in die Häuser kam und wir aus unserem alten Volksempfänger wieder die schönen, alten Weihnachtslieder hören konnten, die nun das während der ganzen Kriegsjahre an Weihnachten bis zum Überdruss sentimental vorgetragene Lied „Hohe Nacht der klaren Sterne" ablösten. Heute noch höre ich den Schauspieler Matthias Wiemann, wie er damals mit seiner unverwechselbaren, charakteristischen Stimme aus dem Radiogerät das Weihnachtsevangelium vortrug.

Wir Jugendliche nahmen auch noch an der nachmittäglichen Krippenandacht teil, gingen nach alter Tradition anschließend zur Krippe in der Kirche und besuchten danach unsere Schulkameraden, um - wie seit jeher bei uns üblich - deren Geschenke zu bewundern. Zwar gab es an Geschenken nicht viel zu vergleichen, doch tat das unserer Weihnachtsfreude wenig Abbruch. Wir waren froh, nach den langen Kriegsjahren wieder ein Weihnachtsfest ohne Bomben und Jabos feiern zu können.

Mit Spannung erwartete man den Tanzabend am zweiten Weihnachtstag, dem Stephanstag, der meist mit einer Theateraufführung verbunden war. Hatte man doch die ganzen Kriegsjahre auf solch ein Ereignis verzichten müssen.

Bitte, bitte, lieber Geiger -Tanz und Unterhaltung in den Nachkriegsjahren

Die bitteren Kriegsjahre hatten schließlich auch jegliche Unterhaltung zum Erliegen gebracht. Tanz und Musik wurden spätestens ab 1943 ganz verboten. So war es nicht verwunderlich, dass sich schon bald nach Kriegsende ein ungeheures Nachholbedürfnis nach Unterhaltung regte. So begannen denn auch in meinem Heimatort Wallenborn bereits 1945 die ersten Veranstaltungen, auf die man so sehnsüchtig gewartet hatte. Da der Tanzsaal Becker noch zerstört war, spielte man an Weihnachten im Schulsaal Theater und hielt hier auch die ersten Tanzabende ab. Als Tanzkapelle traten Klaus Kirsten mit seinem Akkordeon und Becker Mattes am Schlagzeug in Aktion. Zwischendurch half ich mit meiner diatonischen Handharmonika aus. Es ist heute kaum noch nachzu-vollziehen, mit welcher Freude und Ausgelassenheit diese doch mit bescheidenen Mitteln arrangierten Veranstaltungen erlebt wurden, kein Wunder nach der langen Abstinenzzeit.

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Hochzeitstag

Bei den Theateraufführungen war der Schulsaal von Besuchern überfüllt, und die Stücke mussten mehrere Male wiederholt werden, damit alle Dorfbewohner sie zu sehen bekamen. Meistens wurde ein Theaterstück um Liebe und Heimat sowie ein Luststück gespielt. Anschließend war Tanz. Wie in früheren Zeiten standen die Dorfschönen an den Seitenwänden des Saales und warteten ungeduldig darauf, dass die jungen Männer sie zum Tanz aufforderten. Das war für diese nach der langen Abstinenz gar nicht so einfach und kostete manchen schüchternen Burschen eine gehörige Portion Überwindung. Da viele noch nicht tanzen konnten, trafen sich manche Jugendliche am Abend privat in verschiedenen Häusern, um es zu lernen. Zu den Klängen einer Mundoder Handharmonika wurden hier stundenlang die Tanzschritte geübt. War kein Instrument vorhanden, tat es auch mal ein papierumwickelter Kamm, den man als Blasinstrument benutzte. Auch sonst traf man sich abends oder am Sonntagnachmittag bei schönem Wetter an verschiedenen Plätzen, um zu musizieren und zu singen. An diese schönen Stunden erinnern sich heute noch viele mit Wehmut. Sie endeten, als das Fernsehen Einzug in die Häuser hielt. Später wurde die Tanzkapelle durch eine Klarinette ergänzt, für damalige Zeiten bereits ein Riesenfortschritt. Ohne Verstärker und Lautsprecher erklangen die damaligen Hits der Nachkriegsjahre, hauptsächlich Schlager des Kölner Komponisten Karl Bette, die dieser noch während der Kriegsjahre 1942/43 geschrieben hatte. Mit Begeisterung sang man „Bitte, bitte, lieber Geiger, mach Musik für mich", „Du bist noch zu klein, um ganz allein zum Glück zu gehn", „Endlich weiß ich, was mir fehlte: Du allein, du allein, du allein", „Rosemarie", „Welamädchen mein" aber auch noch unverfängliche Kriegsschlager, wie „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein", „Gnädige Frau, wo war'n sie gestern", „Guten Tag, liebes Glück", "Heimat, deine Sterne", „Roter Mohn" und natürlich die Tagesschlager „Caprifischer", „Mariandl, „Räuberballade", ''Hab'n se nicht ne Braut für mich", „Du kleines Schwalbenpaar" oder „Du bist die Rose vom Wörthersee", gesungen von Rudi Schuricke, Bully Buhlan und Maria Andergast.

Als der Saal Becker dann wieder aufgebaut war, traf man sich wie seit alters her wieder hier an der Kirmes, an Karneval, am zweiten Weihnachtstag und am Tag des hl. Sebastian (20. Januar), dem Schutzpatron von Wallen-born. Auf diese wenigen Tanzstunden im Jahr freute man sich schon Wochen vorher, die daher zu bleibenden Erlebnissen wurden. Die Freude war umso größer, wenn man beim Tanzabend ein Mädchen gefunden hatte, das man - wie damals üblich - nach der Veranstaltung nach Hause begleiten und mit ihr in der guten Stube noch etwas zusammensitzen und trinken durfte, natürlich in allen Ehren und sittsamen Absichten.

„Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" - Karneval in der Nachkriegszeit Trotz der herrschenden Not ist wohl in keiner Zeit so übermütig Karneval gefeiert worden wie in den Nachkriegsjahren. Die Freude über das Ende der schrecklichen Kriegszeit überwog alles andere und man sang, tanzte, schunkelte und feierte wie nie zuvor. Mit zur Ausgelassenheit trugen aber auch die neuen Karnevalsschlager bei, die - im Gegensatz zu heute - überaus originell und zündend waren. Manche nahmen dabei auf deftige Weise die Zeitverhältnisse aufs Korn.

Zu einem der größten Erfolge der damaligen Zeit wurde der „Trizonesien-Song", mit dem der bekannte Kölner Karnevalskomponist Karl Berbuer die Teilung Westdeutschlands in drei Zonen auf die Schippe nahm. Es gab 1947/48 wohl im ganzen Rheinland an Karneval keinen Tanzsaal, in dem nicht übermütig und aus vollem Halse die Zeile: „.. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, hei schiwwella, schiwwella schiwwela, schiwwella bum" zu hören war. Dieses Lied klang einem noch nach Wochen im Ohr. Ähnlich erfolgreich war Jupp Schmitzs Lied „Ich fahr mit meiner Lisa zum schiefen Turm von Pisa", mit dem er die aufkommende Sehnsucht nach dem Süden und damit verbundene Reisewelle glossierte. Weitere Hits der damaligen Karnevalstage waren die Lieder „Heute blau und morgen blau", „Du darfst mich lieben für drei tolle Tage" und „Wer soll das bezahlen" (alle 1949). Vor allem das letztere von Jupp Schmitz schlug nach der Währungsreform wie eine Bombe ein. Traf es doch den Nagel auf den Kopf, als im Juni 1948 die alte Reichsmark ungültig wurde und jeder mit 40.- DM neu anfangen musste.

Sicher geht es vielen so wie mir, dass sie sich augenblicklich in die endvierziger Jahre zurückversetzt fühlen, wenn ab und zu nochmals eins dieser Lieder im Radio oder bei einer Tanzveranstaltung erklingt.

Hochzeit und Kirmes in der Nachkriegszeit

Damals wurde Hochzeit anders als heute gefeiert. Schon Wochen vorher wurde alles geplant und vorbereitet, wobei die ganze Nachbarschaft mithalf, denn im Gegensatz zu heute fand die Feier im eigenen Hause statt. Einen Tag vor dem großen Ereignis wurden gemeinsam die Kuchen gebacken, meist Hefeteigfladen mit Obst, Streusel oder Pudding belegt. Eine Besonderheit war dabei der Fladen mit „Birrebunnes", ein Mus, das aus getrockneten Birnen gemacht wurde. Abends wurden die Zimmer ausgeräumt und Tische, Bänke und Stühle für die Hochzeitsgäste aufgestellt. Anschließend wurden die Tische gedeckt und das Festessen für den anderen Tag vorbereitet, das aus Nudelsuppe, Kartoffeln, Gemüse und Schweinebraten bestand, alles aus eigener Erzeugung, denn nahezu jeder Haushalt hatte damals zumindest eine kleine Landwirtschaft mit Kühen, Hühnern und Schweinen. Anderntags war bereits morgens um zehn Uhr das Brautamt, wonach man sich zum Mittagessen im Hause der Braut oder des Bräutigams traf. Nachmittags gab es Kaffee und Kuchen, nachdem man vorher ausgiebig geplaudert oder sich etwas die Beine vertreten hatte. Danach ging es dann mit dem Brautpaar und allen Gästen im Festzug mit Musik durch den Ort zur Tanzmusik in die Gaststätte. Unterwegs schnitten junge Burschen in weißen Schürzen große Stücke von einem Kuchenkranz ab und verteilten diese an die Zuschauer, die zahlreich an den Straßenrändern standen. Auch eine Flasche Schnaps wurde ausgeschenkt. Im Gasthaus wurde dann ausgelassen getanzt bis zum frühen Morgen. Zwischen den Tänzen lockerten verschiedene Spiele, wie beispielsweise der „Besentanz" oder die „Versteigerung eines Brautschuhes" den Abend auf.

Die Kirmessen waren ebenfalls ein großes Ereignis. Schon Tage vorher wurde geputzt, gefegt, alles auf Hochglanz gebracht und gebacken. Traditionskuchen war auch hier wieder der belegte Hefefladen. An den Kirmestagen, die in der Regel sonntags und montags gefeiert wurden, kamen die Verwandten von Nah und Fern meist schon zum Mittagessen und blieben dann oft bis montags oder sogar dienstags.

Nach dem feierlichen, oft „dreispännigen" Hochamt (mit drei Priestern) und festlichem Chorgesang trafen sich nach einem zünftigen Früh-schoppen der Männer alle zum Mittagessen, das ähnlich lukrativ wie das Hochzeitsessen zubereitet war.

Danach saß man mit den Kirmesgästen zusammen und erzählte sich Geschichten und Erlebnisse. Unterdessen besuchten die Kinder den Kirmesplatz, fuhren Karussell und Schiffschaukel und kauften von dem Geld, das sie von Eltern und Paten bekommen hatten, an den vielen Ständen Süßigkeiten und Spielsachen. Um vier Uhr wurde Kaffee getrunken und der selbst gebackene Hefefladen gegessen. Für viele Familien war die Kirmes der einzige Tag im Jahr, an dem es Bohnenkaffee zu trinken gab.

In den Nachkriegsjahren hatte man den meist von irgendeiner Schmuggeltour mitgebracht oder von Hamsterern gegen eine andere Ware (Butter, Eier Speck) eingetauscht, denn bis zur Währungsreform 1948 war das Geld nichts wert. Anschließend begab man sich in die Gastwirtschaft zur Tanzmusik, die vor allem von der Jugend ausgiebig bis tief in die Nacht genossen wurde, denn auch dieses Ereignis gab es nur selten im Jahr. Montag war auch noch Feiertag mit Hochamt und Festessen. Nach dem Kaffee verabschiedeten sich dann die meisten Gäste, denn einige waren zu Fuß von weither gekommen und hatten einen langen Rückweg. An vielen Orten wurde nach den fröhlichen Tagen die Kirmes begraben. Das geschah auf verschiedene Weise. In einigen Dörfern fertigte die Jugend eine Strohpuppe an, die dann mit Weinen und Wehklagen zu Grabe getragen wurde. In anderen Orten legte man einen abgenagten Knochen in die Erde. Im nächsten Jahr wurde dann die Kirmes wieder feierlich ausgegraben.