dann kamen die Franzosen

Erich Brang, Basberg

Ende Juli 1945 ging plötzlich ein Gerücht durch den Ort, in Feusdorf, Esch, Mirbach und Leudersdorf werden französische Soldaten einquartiert. Die Aufregung war groß, und in fast jedem Haus war noch irgendetwas zu verstecken, denn den Franzosen ging kein guter Ruf voraus. Es dauerte drei Tage und ein Vorauskommando meldete sich bei Ortsbürgermeister Brang, der nun zuständig war für die Ansprüche der Besatzung, für Unterkunft und auch Verpflegung. Insgesamt zwölf Soldaten sollten in Feusdorf stationiert werden. Nach Besichtigung der schon im Voraus festgelegten Räumlichkeiten wurden als Unter-kunfts- und Aufenthaltsraum die Gastwirtschaft Reiffer-scheid, für Küche und Verpflegung die Gastwirtschaft Klinkhammer und für die Wachstube unser Wohnzimmer beschlagnahmt. Auf unserem Hof wurden die Trikolore gehisst, ein Wachhäuschen aufgestellt und die Straße zwischen unserem und Friesens Garten nach Alen-dorf mit einem Schlagbaum gesperrt. Die Grenze zwischen der französischen und der englischen Besatzungszone war 300 Meter hinter der Sperre. Die Grenze der Kreise Schleiden und Daun bildete die Zonengrenze. Die Dorfbewohner waren sehr beunruhigt, waren sie doch der Meinung, der Krieg und damit auch die Einquartierungen wären vorbei und in diesem Stimmungstief hat noch so manches Kalb und Schwein sein Dasein beendet. Am 10. September 1945 kamen dann die für Feusdorf vorgesehenen Besatzungssoldaten. Der Posten, bestehend aus insgesamt zwölf Mann, wurde von einem Korporal und einem Sergeanten geführt. Da anscheinend alles, auch für die Franzosen, sehr überraschend gekommen war, brachte der Lastwagen nur die Soldaten nach Feusdorf. Die Ausrüstung war sehr knapp bemessen: englische Uniformen, englische Karabiner aus dem Ersten Weltkrieg mit je zehn Schuss Munition und ein altes Wehrmachtsfahrrad. Nachdem die Offiziere mit einem beschlagnahmten Opel abgefahren waren, stellte sich heraus, dass die Soldaten nur kalte Verpflegung dabei hatten. In der Gruppe war ein Dolmetscher, der sehr gut Deutsch sprach. Nach einem kurzen Gespräch mit Ortsbürgermeister Brang wurde vereinbart, die Soldaten zum Mittagessen vorerst auf die landwirtschaftlichen Betriebe zu verteilen. Wir waren ja aus den letzten Kriegstagen schon etwas gewöhnt, aber so erbärmlich ausgerüstete Soldaten hatten selbst wir noch nicht gesehen. Die Männer kamen alle aus der Gegendvon Besancon, waren um die zwanzig Jahre alt und hatten vor ihrem Einsatz in Deutschland eine vierwöchige Ausbildung absolviert. Der Korporal war einige Jahre älter, der Chef-Sergeant - mit Fremdenlegionserfahrung - war über 60 Jahre alt und bei Kriegsbeginn schon im Ruhestand gewesen. Alles in allem ein trostloses Häuflein. Und wenn die Feusdorfer nicht so ein gutes Herz gehabt hätten, wären sie uns sicher noch verhungert; denn entgegen den Befürchtungen und dem vorauseilenden Ruf waren die Soldaten sehr freundlich und umgänglich, das ihnen von ihrem Chef auch vorgelebt wurde. Die Worte „Requirieren und Beschlagnahmen" gehörten nicht zu seinem Wortschatz. Wenn sie etwas brauchten, fragten sie danach und brachten es auch wieder zurück.

Ihre Aufgabe, die Kontrolle der Zonengrenze zwischen Feusdorf, Wiesbaum und Esch, wurde sehr großzügig gehandhabt und der kleine Grenzverkehr war zugelassen. Das kam besonders den Leuten aus Alendorf und Ripsdorf zu Gute, die damals schon wieder bei der DEMAG und der deutschen Reichsbahn in Jünkerath arbeiteten. Hier waren die Aufräumungsarbeiten schon in vollem Gange. Der Warenaustausch zwischen der französischen und der englischen Besatzungszone war nur mit den vorgeschriebenen Begleitpapieren möglich. Am sechsten Tage kamen dann endlich die Verpflegung, die Kücheneinrichtung und alles, was die Soldaten so brauchten. Die Hauptversorgungsstelle war in Birgel im Saale Reifferscheid. Jede Woche musste mittwochs ein Fuhrwerk von der Gemeinde gestellt werden, um die Verpflegung in Birgel abzuholen. Dieselbe war sehr knapp bemessen und die Soldaten freuten sich, wenn sie hier und da mal ein Stück Kuchen von der Bevölkerung bekamen.

Nach etwa zwei Wochen hatten sich die Besatzungssoldaten häuslich eingerichtet und es bestand weiterhin ein gutes Verhältnis mit den Einwohnern, vielleicht auch bedingt durch die anfänglichen Mittagessen. Ich glaube, damals hat die deutsch-französische Freundschaft schon im Kleinen begonnen. In Feusdorf musste die Trikolore nicht von den männlichen Einwohnern durch Abnehmen der Kopfbedeckung gegrüßt werden.

Im Herbst 1945 war das Hamstern noch nicht so richtig in Gang gekommen. Die Taschen der Menschen, welche die Grenze passierten, wurden nicht oder nur oberflächlich kontrolliert. Ich habe nicht gesehen, dass Leute etwas abgeben mussten. Etwas anders war es mit den Fahrzeugen. Wurden Waren ohne die vorgeschriebenen Papiere gefunden, wurden die Autos beschlagnahmt und mit Bewachung nach Daun geleitet. Das passierte meistens an der Straße nach Wiesbaum, Abzweigung Alendorf. Oft waren die Lastwagen mit Wein beladen. Wein war in dieser Zeit ein bevorzugtes Schmuggelgut zwischen der französischen und englischen Besatzungszone. Eines Tages kam ein Lastwagen, damals noch alle mit Holzvergaserantrieb, auf den Schlagbaum zu gefahren. Er musste natürlich anhalten und wurde kontrolliert. Die Ladefläche war hoch mit Weinkisten beladen, aber der Fahrer hatte die nötigen Ausfuhrpapiere dabei. Ich habe die Ausfuhrbescheinigung gesehen, sie war unterzeichnet von Kardinal Frings, Köln, und der französischen Militärregierung in Trier. Bei der Ladung handelte es sich um Messwein für die Diözese Köln. Der LKW durfte den Schlagbaum passieren.

Die Besatzungssoldaten waren aber nicht das Problem in unseren Dörfern, sondern die Militärregierung. Dieselbe bediente sich teilweise schon der deutschen Zivilverwaltungen, die allmählich wieder in Gang kamen und zur Zusammenarbeit verpflichtet wurden. So wurde versucht, ziemlich das Letzte aus den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben und den Gemeindewäldern herauszuholen und Richtung Frankreich zu leiten. Zwischen der französischen und der englischen Zone bestand ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während hier fast die letzten Kartoffeln und das letzte Getreide beschlagnahmt wurden, spürten die Menschen im Nachbarort Alendorf ganz wenig von ihrer Besatzungsmacht. Es war sehr nützlich, wenn man dort Verwandte hatte, die schon mal für unsereinen ein Schwein mästen konnten.

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Juni 1948, Schlagbaum in Feusdorf, 2 Monate vor dem Abbau

Nach dem Schlachten wurde das Fleisch dann auf Schleichwegen nachts über die Grenze geschmuggelt. Es verging keine Woche, in der nicht ein Stück Großvieh, Schafe oder Schweine von den damit beauftragten Männern im Dorf beschlagnahmt wurden. Alles wurde natürlich nicht gefunden, die Leute hatten schnell dazu gelernt. Die Kontrolleure wurden damals gehasst wie die Pest, und die Ortsbürgermeister, die für beide Seiten den Kopf hinhalten mussten, waren nicht zu beneiden.

Eines Tages wurden mit der wöchentlichen Verpflegungsfahrt auch drei deutsche Karabiner und zwei Kisten Munition geliefert. Jetzt durften die Soldaten in ihrer Freizeit auch auf die Jagd gehen. Trotz der ziemlich leer geschossenen Fluren und Wälder hatte eines Tages einer der Soldaten Jagdglück und erlegte im Escher Wald (Eichels) einen kapitalen Zwölfender. Wie der Hirsch das Kriegsgeschehen überstanden hatte, ist ein Rätsel geblieben. Das Tier wurde von meinem Vater waidgerecht zerlegt und zwei Tage später in der Küche bei Klinkhammer zubereitet. Zu dem Festessen wurden alle Leute, bei denen die Franzosen in den ersten sechs Tagen zu Mittag gegessen hatten, eingeladen. Der dazu gereichte Wein schmeckte nach Mosel, wie die Gäste sagten, vielleicht war eine Kiste von einem beschlagnahmten Lastwagen sanft herunter gefallen. Es soll ein lustiger Abend gewesen sein.

An den von der Dorf jugend an Sonntagen inszenierten Tanzkursen in der Kindergartenbaracke, nahmen auch die französischen Soldaten teil. Der Chef-Sergeant hatte für diese Tanzkurse die Genehmigung von 19 bis 23 Uhr erteilt. Inzwischen waren auch schon die ersten Feusdorfer aus der Gefangenschaft heimgekehrt. Die jungen Männer hatten in dieser Zeit Schreckliches gesehen und erlebt, nur Tanzen, das war für die meisten etwas ganz Neues. Das Angebot wurde auch von den Nachbarorten freudig angenommen und die Baracke wurde zu klein. Herr Reifferscheid stellte auf Anfrage des Chef-Sergeanten seinen Saal zu Verfügung. Mit vereinten Kräften wurde dieser gereinigt und halbwegs wieder in Ordnung gebracht. Der erste Tanzabend fand am 6. Januar 1946 am Dreikönigsfest statt. Das war etwas Neues für die Jugend und auch für die jungen Kriegsteilnehmer, die dergleichen bis jetzt nicht kennen gelernt hatten.

Leider wurden die hier stationierten Franzosen von Soldaten aus Daun abgelöst. Jetzt herrschte ein anderer Ton und die Zeiten änderten sich für die Dorfbewohner und auch für die Grenzgänger. Ende Februar wurden die Franzosen abgezogen und die Kontrolle der Zonengrenze von der deutschen Grenzpolizei übernommen, die meistens ehemalige aus der Gefangenschaft zurückgekehrte Wehrmachtsangehörige waren. Die in Feusdorf, Esch, Mirbach und Leudersdorf eingerichteten Posten waren mit jeweils sieben bis acht Mann besetzt und gehörten zum Kommissariat Wiesbaum. Die Männer waren gegen Bezahlung und Reiselebensmittelkarten in Privatquartieren untergebracht. Dass so etwas in dieser Zeit nur in Häusern mit Landwirtschaft möglich war, versteht sich von selbst. Die Grenzkontrollen wurden erst im Sommer 1948, nach der Währungsreform, aufgehoben. Es war eine kuriose Zeit, Geld hatte so gut wie keinen Wert mehr. Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände bestimmten den Markt, und für Butter und Speck war fast alles zu haben.