Die Zeit der Holzvergaser

Rudolf Krämer, O b e r e h e - S t r o h e i c h

„Oh Imbert mit dem Rüttel-dorn, dich schuf der Herr in seinem Zorn." So fluchte in den ersten Nachkriegsjahren in der Eifel so mancher Holzgasfahrer, der mit qualmendem Kessel am Straßenrand stand, weil das Tankholz entweder ungeeignet oder zu feucht war und dadurch, anstatt brennbarem Gas nur Wasserdampf erzeugte, womit nun einmal ein Verbrennungsmotor nicht lief. Auch mein Vater, Peter Krämer aus Stroheich, hatte sich, nachdem die Eifel von den Alliierten besetzt war, einen noch gut erhaltenen 3,5 t Ford V/8 LKW, den deutsche Landser wegen Treibstoffmangel im Wald stehen gelassen hatten, organisiert. Dagegen erhoben die Amerikaner keine Einwände. Ihnen war es egal, was mit den Fahrzeugen der ehemaligen deutschen Wehrmacht geschah. Doch vorläufig konnte er mit dem LKW nichts anfangen. Das änderte sich erst, als kurz nach dem Krieg sein Freund Heinrich Nellessen aus Hilles-heim aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Er war als Kfz-Schlosser in einer Instandsetzungsstaffel bei der ehemaligen deutschen Wehrmacht tätig gewesen und hatte auch dort schon Fahrzeuge auf Holzgas umgebaut. Also besaß er die nötige Erfahrung auf diesem Gebiet. Das Problem war jedoch die Holzvergasungsanlage. Kaufen konnte man sie nicht. Sie war nur auf Umwegen für Speck und Butter - die Währung der Nachkriegszeit -erhältlich.

So gingen dann mein Vater als Maschinenbaumeister und sein Freund als Kfz-Schlosser daran und bauten den V/8 auf Holzgas um. Die anschließende Probefahrt verlief zufriedenstellend. Daraufhin meinte Heinrich: „Pitt, ich gebe dir zum Schluss noch einige Ratschläge: Unabdingbare Voraussetzung zum störungsfreien Betrieb eines Holzvergasers ist kleingehacktes, kerniges und trockenes Buchenholz. Ebenso ist es unerläss-lich, die Anlage jeden Tag zu reinigen und zu warten. Ganz wichtig ist es auch, den Regulierhebel für die Sauerstoffzufuhr während der Fahrt von Zeit zu Zeit neu einzuregulie-ren, um so immer die bestmögliche Gemischzusammensetzung zu gewährleisten, da sonst die Leistung nachlässt." Mein Vater befolgte diese Ratschläge, und so lief der Ford V/8 auch mit Holzgas nicht nur wie ein Uhrwerk, sondern vor allem, er lief „immer", während andere Holzvergaserfahrer mit qualmenden Kesseln am Straßenrand standen.

Der Grund dafür war, dass sie von der Holzvergasungstechnik keine Ahnung hatten und ihre Anlagen nicht von Profis auf diesem Gebiet, sondern von Laien eingebaut wurden. Hinzu kam noch, dass man auch uralte Klapperkisten auf Holzgas umgebaut hatte. Im Führerhaus eines dieser Schrottreifen Vehikels hing sogar ein Schild mit der Aufschrift: „Achtung! In diesem Wagen fahren Sie auf eigene Gefahr."

Da es inzwischen möglich geworder war, sich von der französischen Militärregierung ein Auto genehmigen zu lassen, bekam auch mein Vater die Zulassung für seinen Holzvergaser. Doch nun hieß es: „Dieses Fahrzeug ist Eigentum der französischen Besatzungsmacht. Wir sehen allerdings von einer Beschlagnahmung ab, wenn Sie sich dazu verpflichten, mit dem LKW Milch zur Molkerei nach Daun zu transportieren." Da mein Vater sein „gutes Stück" nicht verlieren wollte, erklärte er sich, wenn auch widerstrebend, mit dieser erpresserischen Regelung einverstanden, denn er hatte sich vorgenommen, den Holzvergaser für Hamsterfahrten zu benutzen. Die paar Reichsmark, die er für die Milchtour erhielt, waren ja eh nichts mehr wert.

Dazu kam noch, dass fast jeden Tag andere Milchtransporteure mit ihren schrottreifen Vehikeln auf der Strecke liegen blieben. Dann kam der Leiter der Molkerei, Herr Lin-gens, und bat meinen Vater darum, auch deren Touren noch mit zu übernehmen. Da dieses sozusagen eine zusätzliche Fron bedeutete, gehörte schon sehr viel Idealismus dazu, diese Bitte zu erfüllen. Heute ist es schwer nachzuempfinden, was es zur damaligen Zeit bedeutete, mit einem Holzvergaser auch im Winter bei klirrender Kälte, meterhohen Schneeverwehungen, abgefahrenen Reifen, glatten Straßen und ohne Heizung im Führerhaus immer pünktlich zur Stelle zu sein. Das größte Problem bei hohen Minustemperaturen im Winter war die Batterie, denn sie gab durch die Kälte in der Nacht schnell ihren Geist auf. Neue Batterien gab es noch nicht. Doch zum Glück gab es August Crawatzo in Daun, der auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugelektrik ein sehr begabter Fachmann war, denn er machte aus zwei alten Batterien eine neue. Wenn die Franzosen wenigstens so fair gewesen wären und den Milchtransporteuren ab und zu ein paar Pfund Butter zur Beschaffung von Material und Ersatzteilen für ihre Holzvergaser zur Verfügung gestellt hätten, wäre deren Frust nur halb so groß gewesen. Aber die gesamte Butterproduktion musste an sie abgeliefert werden. So blieb nichts anderes übrig, als sich durch Hamsterfahrten auf dem Schwarzmarkt in Köln die nötigen Materialien und Ersatzteile zu besorgen. Hierbei bestand jedoch die Gefahr, dass die Hamsterware an der Grenze von der französischen in die englische Zone von den Franzosen beschlagnahmt wurde. Nachdem genau das zum ersten Mal geschehen war, sagte sich mein Vater: „Ich werde euch doch noch überlisten."

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Rudolf Krämer sitzend auf der Motorhaube des Holzvergasers vor der inzwischen abgerissenen Molkerei in Daun. Auf der Ladefläche der von der Molkerei angestellte Beifahrer Jakob Müller, den man nicht anders nannte als „Mellisch Kobbes" aus Dreis-Brück. Hinter dem Holzvergaser das Eselsgespann von „Mellisch Marie" von der Tettscheider Mühle. Sie war eine sehr couragierte junge Frau, die sich jeden Tag, auch an Sonn- und Feiertagen damit abplagte, die Milchkannen der Orte Tettscheid, Weiersbach und Gemünden auf-und abzuladen.
Auch Rudolf Krämer, der schon mit 16 Jahren den LKW-Führerschein besaß, musste sich damit abplagen, schwere Milchkannen auf- und abzuladen. Wenn sein Vater verhindert war, fuhr er mit „Mellisch Kobbes" allein die Milch der Orte Oberehe, Dreis, Brück und Heyroth zur Molkerei nach Daun.

Da er bei der Durchsuchung des Holzvergasers bemerkt hatte, dass sie den Benzintank nur abklopften, um sich davon zu überzeugen, ob er hohl klang, baute er nun den Tank aus, der unter den Sitzen angebracht war, versteckte seine Hamsterware in einem dafür angefertigten Behälter aus dickem Eisenblech und baute den Tank wieder ein. So konnte er beim nächsten Mal seine Hamsterware behalten, wogegen den Bauern, die auf der Ladefläche saßen und mit Butter, Mehl, Speck und Eiern dick bepackt waren, alles abgenommen wurde. Aber auch das passierte nur einmal, denn danach hielt mein Vater in sicherer Entfernung vor der Grenze an und forderte die Bauern auf, quer durch den Wald bis in die englische Zone zu gehen. Nachdem er die Grenze passiert hatte, nahm er nach einigen Kilometern seine „illegale" Fracht wieder auf.

Dann kam die Zeit, wo der Holzvergaser neue Reifen brauchte. Aufgrund der mitgeführten Naturalien fand mein Vater schnell Kontakt zu einem der so genannten „Professionellen", die Schwarzmarktgeschäfte im großen Stil betrieben. Das war jedoch eine äußerst gefährliche Sache, die auf Leben und Tod ging. Der Bruder dieses Schiebers war bei der englischen Besatzungsmacht als Wachtposten angestellt. Während dieser aufpasste, dass nichts gestohlen wurde, schraubte sein Bruder mit einigen Helfern ganze Räder von englischen Armeefahrzeugen, die auf der Autobahn abgestellt waren ab. Diese wurden dann schnell aufgeladen und unter dem mitgefühlten Tankholz und sonstigen Utensilien versteckt. Hätte ein Besatzungssoldat oder ein anderer Wachtposten etwas von diesem Vorgang bemerkt, wären alle Beteiligten sofort erschossen worden. Es war ja völlig absurd, denn auf der einen Seite wurde der Holzvergaser dringend benötigt, um für die „französische Besatzungsmacht" die Milch zur Butterherstellung zu transportieren und auf der anderen Seite musste mein Vater sich in große Gefahr begeben, um gestohlene Reifen von der „englischen Besatzungsmacht" zu organisieren. Durch diesen mutigen Einsatz war er dann wieder in der Lage, die Milchtour weiter zu fahren, für Geld, das nichts mehr Wert war. So handelte er nach dem Motto: Irgendwie muss es doch weitergehen. Feiglinge können wir jetzt keine brauchen, sondern mutige Pioniere, die dazu bereit sind, das Chaos, was uns die Nazigewaltherrschaft hinterlassen hat, zu beseitigen.