Kyllbrücken bei Oberbettingen

Prof. Matthias Weber, H i l l e s h e i m - N i e d e r b e t t i n g e n

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Brückenkopfreste nach Sprengung 1945

Foto: Straßenbauamt Gerolstein um 1955

Vorbemerkungen

Brücken sind unverzichtbare menschliche Kulturleistungen. Im Alltag benutzen wir sie zur Ausweitung unseres Lebensund Bewegungsraumes, ohne uns viel dabei zu denken. Erst wenn wir durch ihren Abbruch oder Ausfall in Verkehrs- oder Kontaktnot geraten, wissen wir sie zu schätzen. Dabei handelt es sich bei ihnen vielfach um Meisterwerke der Bautechnik, die hohe finanzielle Investitionen - in der Regel Steuergelder - erfordern. Auch Steuersparer oder gar Steuerhinterzieher nutzen sie ohne Gewissensbisse oder gar Hemmungen. Selbst im übertragenen Sinne, etwa zur Aufrechterhaltung friedlicher menschlicher Beziehungen, sind immer wieder menschliche Brückenschläge erforderlich, ohne die nichts läuft. Auch sie erfordern in der Regel hohe sittliche Investitionen an Einigungswillen und menschlicher Diplomatie. Durchweg empfinden wir den hohen Wert dieser technischen und sittlichen Brücken erst in der Not. Dann wenn sie zerstört sind und unsere Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt ist. Folgerichtig nennen wir den Behelf, der uns in solcher Situation aus der ärgsten Patsche helfen soll, »Notbrücke«. In eine solche Notlage geriet unsere Heimat generell und verständlicherweise das Kylltal wegen seiner wichtigen regionalen Verkehrsader Eisenbahn Köln-Trier bei Kriegsende 1945 ganz besonders. Es ist auch einleuchtend, dass bereits 1951 zunächst die zerstörten Brücken in den verkehrsreicheren Eisenbahnknotenpunkten Gerolstein und Jünkerath wieder aufgebaut wurden, bevor man 1956 den Wiederaufbau der Kyll-brücke(n) bei Oberbettingen vollzog. (Vgl. Kreisausschuss Daun (Hrsg.), Kriegsgeschehen und Wiederaufbau im Kreise Daun, Trier 1956, S. 39).

In den letzten Kriegstagen gab es übrigens zwischen Oberbettingen und Niederbettingen eine von den Amerikanern errichtete Behelfsbrücke über die Kyll. Sie existierte nur kurze Zeit, um den vorrückenden amerikanischen Truppenverbänden hier die Flussüberque-rung in Richtung Hillesheim zu ermöglichen. Unter den hiesigen Bewohnern gab es wohl keinen Augenzeugen dafür, da für die Bevölkerung Ausgangssperre bestand. Über diese Brücke berichtet ein 1985 veröffentlichtes Geheimdossier der U.S. Army vom 26. April 1945. Nachfolgend einige ins Deutsche übersetzte Auszüge daraus: »4. März 1945 - der Plan war der, einen günstigen Flussübergang zu finden Richtung Norden zwischen OBERBETTINGEN und NIEDERBETTINGEN. - 5. März 1945 - Diverse Artillerie Divisionen kamen während des Morgens nach BÜDESHEIM. Richtung Norden zogen die ganzen Kräfte aller sechs Bataillone in Richtung des geplanten Übergangs in BETTINGEN. - 6. März 1945 - Die Kampfgruppe SAGASAR zog westlich durch DUPPACH und griff dann nordöstlich OBERBETTINGEN an. Die Brücke dort über den Fluss KYLL wurde vom Feind gesprengt, als Truppen den Ort einnahmen. - 7. März 1945 -Während der frühen Morgenstunden des 7. März arbeitete (die Einheit, d. Vf.) BCo 56th Armd Engr Bn fieberhaft daran, die Brücke über die KYLL bei OBERBETTINGEN fertig zu stellen.«

Der rasante Autofahrer von heute sieht bei seiner Brücken-querung in Oberbettingen durchweg nur ein Brückenbauwerk an der L 10 (Verbindung Hillesheim - Prüm). Übersehen wird allzu leicht die in Richtung Eisenbahnlinie vorgelagerte neue Kyllauen-Brücke. Überhaupt nicht einsehbar von der Straße ist wegen des verdeckenden Baumbestandes die von der Bahn gebaute Eisenbahnbrücke über die Kyll sowie die aus der Kyll herausragenden eisernen »Eisbrecher« am Standort der ehemaligen Notbrücke zwischen neuer Brücke und Bahnhof. Die Gemeinde Oberbettingen hat sie auf eigene Kosten nach der Zerstörung der alten Brücke behelfsmäßig errichtet. Darüber mehr im weiteren Verlauf dieses Beitrags. Schon hier sei gesagt, es lohnt sich, etwa auf einem Sonntagsspaziergang, einmal im Oberbettinger Bereich eine kleine »Brücken-Wanderung« zu unternehmen und wieder ein Stück verkehrsgeographisch bedeutender »Heimatgeschichte zum Anfassen« kennen zu lernen.

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Neue Kyllbrücke von 1956

Zur alten Oberbettinger Kyllbrücke

Die Geschichte dieser wirtschaftlich und ehemals auch strategisch wichtigen verkehrsgeographischen Verbindung zwischen dem Hilleshei-mer und Prümer Land ist von der Heimatforschung bisher kaum aufgearbeitet worden. Vielleicht kann dieser Jahrbuchbeitrag dazu etwas anregen. Soviel zeigen jedenfalls die gottlob beim Gerolsteiner Landesbetrieb Straßen und Verkehr (früher Straßenbauamt) aufbewahrten Brückenbauakten (Betreuer: Herr Volker Lindemann), dass an gleicher Stelle bereits eine massive Vorgängerbrücke in der Form einer Bogenbrücke gestanden hat. Sie stammte vermutlich schon aus dem 19. Jahrhundert. Ihre Fundamente und Widerlager aus Basaltschotterbeton konnten teilweise beim Aufbau der jetzigen (Haupt)Brücke nach dem Zweiten Weltkrieg wiederverwendet werden. So berichtet die Oberbettinger Schul-Chro-nik (S. 8) für den »Winter des Jahres 1890/91« schon von einer Brücke hier, die durch sehr starken Eisgang gefährdet wurde, wie folgt: »Der Winter des Jahres 1890/91 war ein überaus strenger hier in der Umgegend, wie sich die Einwohner noch keines erinnern konnten. Vier volle Monate starrte die Erde in ununterbrochenem Frost und Schnee. Bereits um die Mitte des Monates November zog er mit aller Strenge hier ein. Anfang März entstanden Eisgänge auf der Kyll in solcher Masse, dass oberhalb des Bahnhofes zum Schutze der Kyllbrücke das Eis gesprengt werden musste. Dasselbe geschah durch eine Abteilung Pioniere in Gegenwart des Herrn Regierungspräsidenten von Trier und des Herrn Landrats von Daun.« Diese Kyllbrücke spielte auch im Leben der Oberbettinger Schulkinder eine besondere Rolle. Dazu schildert die Oberbettinger Schul-Chronik (S. 41) folgendes Ereignis: »Auf einer Reise durch den Kreis Daun beehrte der Königliche Regierungs-Präsident Herr Dr. Zur Nedden am 13. April 1899 donnerstags vormittags auch unseren Ort und unsere Schule mit einem Besuche. Derselbe kam mit dem Herrn Regierungsrate Janssen in Begleitung des Herrn Königlichen Landrates Herrn von Ehrenberg und des Bürgermeisters Herrn Vogeler aus Hilles-heim zu Wagen von Niederbettingen längs Bahnhof Hil-lesheim. Die Schule hatte sich mit ihrem Lehrer diesseits der Kyllbrücke zur Spalierbildung aufgestellt mit Schulfahne. Sobald der Wagen mit den hohen Herrschaften angefahren kam, sangen die Schulkinder das Lied: 'Ich bin ein Preuße.'«

Zur Behelfsbrücke/Notbrücke (1945-1956)

Die alte Brücke wurde im Frühjahr 1945 beim Rückzug von der Westfront durch deutsche Truppen zerstört. Stehen blieben nur noch »Stümpfe« der alten Brückenköpfe (s. Foto des Straßenbauamtes Gerol-stein um 1955). Die Gemeinde Oberbettingen wartete nicht mit dem Bau einer Notbrücke bis der Kreis zu Hilfe kam. Das Land Rheinland-Pfalz (gegründet 1947) oder gar die Bundesrepublik Deutschland (gegründet 1949) gab es ja noch gar nicht. Vielmehr hatte die in Daun angesiedelte Kommandantur der französischen Besatzungsarmee (die sogenannte Militärregierung) das Sagen, genauer: das Befehlen. Selbsthilfe tat damals fast überall not.

Die von der Gemeinde Oberbettingen in Eigenleistung errichtete Kyllbrücke war jedoch so stabil gebaut, dass sie immerhin ein volles Jahrzehnt lang gute Ersatzdienste leistete. In der Gerolsteiner Brückenbauakte werden ihr Standort und ihre Bauweise kurz, aber anschaulich wie folgt beschrieben: eine »100 m unterstrom liegende Behelfsbrücke aus Stahlträgern (Eisenbahnschienen) mit doppeltem Bohlenbelag.« Hier besteht noch Forschungsbedarf. Eventuell existieren in privater Hand noch Fotos bzw. Tagebuchnotizen.

Die neue Kyllbrücke von 1956

Die neue Kyllbrücke in Oberbettingen wurde im Jahre 1956 gebaut, und zwar in sie-benmonatiger Bauzeit. Ihre Errichtung geschah im Rahmen des Wiederaufbauprogramms des Landes Rheinland-Pfalz, das seit 1947 besteht. Von den neun anbietenden namhaften deutschen Bauunternehmen, so vor allem die Firmen Bau-wens, Köln, Grün & Bilfinger, Koblenz, Beton- und Monierbau, Düsseldorf, Hochtief, Koblenz, Holzmann, Bad Ems, Dyckerhoff und Widmann, Wiesbaden, erhielt die Firma Grün & Bilfinger AG, Koblenz, den Bauauftrag. Wegen der in der Zukunft erwarteten größeren Traglasten für die Brücke - sie musste u. a. geeignet sein für »Langholz- und Steinbruchsverkehr« (Gerol-steiner Brückenakte) sowie Militärlasten - kam eine Bo-genbrücke nicht wieder infra-ge. Als Konstruktionsart sah das damalige Straßenbauamt Gerolstein zunächst eine Stahlbeton-Hohlplatte vor. Jedoch nach dem Änderungsvorschlag der Straßenbauverwaltung Koblenz wurde der Bau der Brücke in Form einer Spannbetonplatte mit zwei Längsbalken ausgeführt. Die Brücke führt im Zuge der Landesstraße L 10 über die Ky-11 und verbindet das Hilleshei-mer mit dem Prümer Land. Seit dem Bau der Umgehungsstraße um Niederbettingen 1963 auf dem zugeschütteten ehemaligen Niederbettinger Mühlengraben, dessen Funktion nicht mehr gebraucht wurde, übernahm die Oberbettinger Kyllbrücke alsbald auch den stark zunehmenden Verkehr zwischen der Oberen Kyll und dem Raum Gerolstein. Der Bau der »Römerstraße« (Scherzausdruck der Gerolstei-ner Straßenplaner nach dem ehemaligen Dauner Landrat Hans-Willi Römer) Anfang der 80er Jahre, durch welche die K 47 wenige 100 m östlich der Oberbettinger Kyllbrücke von der L 10 nach Norden abzweigt und nach knapp 1 Kilometer in die B 421 mündet, begünstigte wesentlich die Zunahme des Verkehrsstroms zwischen Oberer Kyll und dem Gerolsteiner Land. Damit wurde die Kyllbrücke bei Oberbettingen zur Straßenkreuzung mit einer wesentlich erhöhten Verkehrsbelastung. Das mag mit erklären, dass die Brücke 1993 gründlich saniert werden musste, weil der Fahrbahnbeton in größerem Umfang absplitterte.

Die Bahnstrecke Köln-Trier, die hier - anders als bei der gut 3,5 Kilometer südöstlich gelegenen Dohmer Brücke - mit der Brückenfahrbahn »schienengleich«, sprich auf gleicher Höhe, liegt, wird also von ihr nicht mitüberbrückt, was »infolge der örtlichen Bebauung nicht möglich« ist (Brückenakte). In Richtung Hillesheim oder umgekehrt muss daher der Brückenpassant gegebenenfalls vor der Bahnschranke ein kurzes Wartepäuschen einlegen, falls gerade ein Zug durch eine rot aufleuchtende Signallampe angezeigt wird und vorbeikommt. Dennoch wird die Brücke vom aus Richtung Gerolstein in die Nordei-fel und nach Hillesheim und weiter fließenden PKW-Verkehr gerne benutzt. Zu beachten sind dabei die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der K 47 auf 50 km im Bereich des Oberbettinger Bahnhofs sowie die Vorfahrt der Autofahrer auf der Querstraße (L 10 und Prümer Straße in Oberbettingen).

Wichtige Daten: Lage der Brücke: bei Oberbettingen am Knotenpunkt der L 10 / K 47, Konstruktionsart: Spannbetonbrücke mit zwei Längsbalken, Gesamtlänge: 25,50 m, Gesamtbreite: 9,60 m (wovon jeweils 1,30 m beiderseits für Gehweg abgehen), Fahrbahnbreite: 7,00 m, Material: Stahlbeton, Bauunternehmen: Firma Grün & Bilfinger AG, Koblenz, Baulast: Land Rheinland-Pfalz, zuständiges Amt: LSV Gerolstein. Gesamtbaukosten: rd. 400.000,- DM.

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Bahnbrücke über die Kyll (Stahlkonstruktion)

Die unmittelbaren Nachbarbrücken

Für die beiden in unmittelbarer Nachbarschaft der oben dargestellten Oberbettinger Kyllbrücke, sprich sowohl für die ihr in Richtung Hillesheim folgende Kyllauenbrücke und die stählerne Bahnbrücke über die Kyll, besteht noch grundlegender Forschungsbedarf, was insbesondere die Fakten Baujahr, Konstruktion, Maße, Erbauer, Baulast und Baukosten anbelangt. Bei der Kyllauenbrücke handelt es sich um eine kleinere Bogenbrücke mit vorgeblendetem Buntsandsteinmauerwerk. Hilfreicher Ansprechpartner dürfte auch bei ihr der in der Gerolsteiner Brunnenstraße ansässige Landesbetrieb Straßen und Verkehr (Abteilung Brücken, Herr Volker Lindemann) sein. Über die von der K 47 in Richtung Niederbettingen kurz hinter der Kyllbrücke abzweigende Werkstraße zu den Firmen Rauschert und Dümmer erreicht man schnell die in einer Stahlkonstruktion errichtete Bahnbrücke. Auch ihre historischen und technischen Daten harren bisher noch der Erarbeitung. Diese dürfte auch im Zusammenhang mit der noch ausstehenden Geschichte des Oberbettinger Bahnhofs ein reizvolles Forschungsprojekt für regionale Eisenbahnfreunde und -forscher sein. Als Ansprechpartner wäre die DB Netz AG Koblenz,, Frankenstraße 1-3, 56068 Koblenz (Betreuerin: Frau Andrea Funk) wahrscheinlich eine gute Adresse.

Quellen und Literatur

- Schul-Chronik Oberbettingen (Verbandsgemeindearchiv Hillesheim)

- Brücken-Akte der Kyllbrücke Oberbettingen (Landesbetrieb Straßen und Verkehr Gerolstein)

- Kreisausschuss Daun (Hrsg.), Kriegsgeschehen und Wiederaufbau im Kreise Daun, Trier 1956

- Weber, Matthias u.a., Heimatbuch »Hillesheim-Niederbettingen«, Hillesheim 2003