Not lehrt sparen

Sparrezepte von vor fast sechzig Jahren

Gertrud Knobloch, Berg

In Oma's Schublade habe ich zwischen den Kochbüchern aus älterer und neuerer Zeit ein besonderes entdeckt: „Vier Wochen ohne Küchensorgen" - dieser Titel ließ mich sogleich nach dem Erscheinungsjahr fahnden: 1946. „Herausgegeben unter Lizenz der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung" steht als Zusatz beim Copyright.

Das ist ja interessant, dachte ich mir. Vielleicht ist bei den angekündigten „35 zeitgemäßen Sparrezepten" das eine oder andere dabei, das sich auch heute noch zum Erhalt der schlanken Linie eignet. Also gingen meine Augen nach solchen auf die Suche, und ich wurde fündig. Nur muss ich sagen, dass mich die meisten der Sparrezepte nicht im Mindesten reizen konnten, sie auszuprobieren. Da faste ich doch lieber gleich richtig und mache Null-Diät! Mancher, der die folgenden „Spargenüsse" überdenkt, wird mir wohl Recht geben. Aber so urteilen wir heute eben „aus dem vollen Bauch" heraus! Da ist zunächst die Brotsuppe. Sie ist schon älteren Datums, denn ich kenne sie noch aus meiner Kinderzeit und schon damals konnte man mich damit jagen. Sie bestand aus wenig Fett, einer darin angerösteten Zwiebel, 1 1/2 l Wasser und den darin gekochten klein geschnittenen drei weiteren Zutaten: Kartoffeln, Brot und Suppengemüse.

Schon damals schwärmte ich mehr für Süßes und bevorzugte statt Brotsuppe eine Art »süße Griessuppe«. Sie entstand, wenn das übrig gebliebene Kochwasser von rohen Kartoffelklößen, die es öfter bei uns gab, stehengelassen wurde. Nach etwa zwei Stunden setzte sich unten ein dicker Rückstand ab von der abgekochten Kloßmasse, der „Gries". Das geklärte obere Wasser wurde vorsichtig so weit als möglich abgegossen und unter Zusatz von Milch und Zucker wurde der Rückstand unter Rühren aufgekocht - fertig war die »süße Griessuppe«. Mit ungekoch-ten, klein geschnittenen Früchten konnte man dieses Rezept noch verfeinern - un-gekocht deswegen, weil sie so besser ihre natürliche Süße behielten und Zucker gespart wurde. Das entspricht schon durchaus dem modernen Ernährungsdenken, aber aus ganz anderen Gründen, nämlich bei gesundem Kochen zu sparen wo eben möglich. Wenigstens an schönen Namen wurde nicht geknausert, wie die Bezeichnungen „Goldwürfelsuppe", „Vogelnester mit Spinat", „Pomeranzenbrötchen", „Spitzbuben", „Punschringe", „Zitte-leis" zeigen. „Man muss sich froh reden können" - das war schon eine Lebensweisheit meiner Großmutter, die offensichtlich noch mehr Frauen ihrer Generation verinner-licht hatten, welche solche Rezeptnamen erfanden. Frühzeitig kamen die Damen schon auf die moderne Gemüsezubereitung, wenn auch nicht unter Schlank-heits- und Gesundheitsaspekten, wie heute, sondern allein unter denen des Sparens. So dünsteten sie bereits Gemüse in wenig Wasser statt in Fett und gaben zuletzt nur einen kleinen Stich Butter zum Aromatisieren zu. Sie ließen auch nicht mehr die Deckel beim „Abkochen" von Gemüse tanzen, wie das früher oft beanstandet wurde, weil diese Art des Kochens das Gemüse nur auslaugte und man zuviel Feuerholz verbrauchte. Ebenso wurde Fettgebackenes wie Fastnachtsgebäck und „Berliner" nicht in schwimmendem Fett ausgebacken, sondern auf dem Blech im Backofen, nur zuletzt mit flüssiger Butter bestrichen -heute noch empfehlenswert für Schlankheitsbewusste. Eine große Rolle spielten die „Fleischersatzgerichte", die von Vollwertköstlern und Vegetariern erdacht sein könnten, ebenso die süßen Kuchen auf Gries- und Kartoffelbasis. Anstatt mit vier Eiern machte man beim Spar-Rezept die Biskuitrolle nur mit zweien und nahm ein Drittel mehr an Mehlmenge. Gleichzeitig konnte bei diesem Rezept noch Zeit gespart werden, denn die Eier sollten nicht getrennt und das Eiweiß gesondert zu Schnee geschlagen werden, wie im üppigen Originalrezept.

Bedeutsam waren damals das Einmachen und Dampfentsaften, denn auf die Segnungen der Tiefkühltruhen musste noch lange verzichtet werden. Doch kam es dabei wieder zum „Absparen", beispielsweise beim Gemüse aus Zuckerrüben, das aus zwei Pfund Schnitzelrückständen vom Dampfentsaften von Zuckersirup hergestellt wurde. Eine Zwiebel wurde in Fett angedünstet, die weichen Zuckerrübenschnitzel hinzugegeben, mit Mehl angedickt und mit Salz und Essig abgeschmeckt. „Nein, danke" sagt man lieber auch zum Salat aus Zuckerrüben, der als Ersatz für süßsaure Gurken in Essig eingemacht werden sollte. Da greift man doch eher zum „Zitteleis", das aus Sauermilch, Zucker und Zitronensaft hergestellt werden konnte.

Hunger tut weh. Wir haben das Gott sei Dank fast vergessen. Nur noch „Sparkochbücher" und entsprechende Anekdoten erinnern an die arme Nachkriegszeit, als die meisten Leute hungern mus-sten, wenn sie nicht Bauern oder Gartenbesitzer waren. Da war es schon ein Fest, wenn wenigstens Kartoffeln im Haus waren. Sogar Kirchenfürsten gaben den Mundraub aus Hunger frei und nahmen ihm den Ruch der „Sünde", wie Kardinal Frings in Köln, nach dem sich der heute noch in Köln bestehende Ausdruck des „Fringsens" für derart geringfügige Delikte wie Mundraub aus Hunger herleitet.