Die „Kartoffelstraße

Die erste Teerstraße in Berlingen

Hildegard Dümmer, Hillesheim

Als ich mit dem Auto durch meinen kleinen Heimatort Berlingen fuhr, musste ich einige Hindernisse und Umleitungen in Kauf nehmen, denn der Ort erhält eine neue Strasse, sogar mit Bürgersteig, der bei dem heutigen Verkehrsaufkommen für die Sicherheit der Bürger uner-lässlich ist. Der Anblick der Baumaschinen, der ausgehobenen Trassen, der aufgeschichteten Steine rief in mir Erinnerungen wach und Vorstellungen vom ersten Straßenbau nach dem Krieg, den ich als Kind so um 1947 nicht nur passiv, sondern auch aktiv miterlebt habe.

Damals waren die Straßen in unserem Ort durch den Krieg, die vielen Wehrmachtsfahrzeuge, die eisenbereiften Ackerwagen, aber nicht zuletzt durch die amerikanischen Panzer, die auch nicht durch die gewaltigen Panzersperren an den Ortseingängen aufgehalten werden konnten, stark in Mitleidenschaft gezogen. Von tiefen Fahrrinnen durchfurcht, in denen sich besonders im Frühjahr nach der Schneeschmelze Wasserpfützen und Matsch ansammelten, waren sie für den täglichen Durchgangsverkehr unpassierbar geworden. Zwar wurden ständig kleinere Reparaturarbeiten mit Kies und Lavasand durchgeführt, die meist aber nicht lange vorhielten.

So beschloss der damalige Gemeinderat unter Vorsitz des Bürgermeisters J. Scheid: „Eine Teerstraße muss her!" Verbindungen zur Straßenbaufirma Zettelmeyer, mit Standsitz in Hohenfels, wurden aufgenommen und Bedingungen ausgehandelt. Das zu dieser Zeit nahe wertlose Geld musste mit Naturalien ausgeglichen werden. Die Firma lieferte die zum Straßenbau nötigen Steine, den Kies, der dann auf die Höfe der einzelnen Häuser abgekippt wurde. Im Gegenzug mussten dann die Bauern neben anderen Naturalien auch eine bestimmte Menge Kartoffeln an die Gemeinschaftsküche der Firma Zettelmeyer liefern, die ihrerseits wieder die dort arbeitenden Männer mit Essen versorgte.

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So kam es, dass die erste Berlinger Teerstraße den Beinamen „Kartoffelstraße" erhielt. Aber mit dem Abkippen des Gesteins fing nun erstmals die Arbeit der Anlieger an. Im sogenannten Frondienst, den jeder Bürger des Dorfes abzuleisten hatte, mussten die Steine mit Hilfe eines entsprechenden Hammers auf die richtige Größe „klein geklopft" werden. Diese Aufgabe fiel hauptsächlich den Kindern zu. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie mein jüngerer Bruder und ich - es war noch vor unserer Ersten Kommunion -gemeinsam auf Holzklötzen am Straßenrand saßen, einen Kartoffelsack über die Knie gebreitet zum Schutz vor den scharfen Steinsplittern, eifrig die vor uns liegenden Basaltsteine klein klopfend. Aber wir waren nicht allein. Gegenüber, rechts und links saßen die Nachbarskinder und taten es uns gleich. Ja, es fand sogar ein gewisser Wettstreit statt: jeder wollte zuerst mit der Arbeit fertig sein. Wochenlang hallte das ganze Dorf wider vom Klack-Klack der Hammerschläge und dem Klicken der zersplitternden Steine. Diese Fron wurde von uns keineswegs als eine solche empfunden, da alle Kinder gleichermaßen betroffen waren. Als unsere Arbeit beendet war, rückte der Bautrupp mit den entsprechenden Maschinen an. Den größten Eindruck hinterließ natürlich die mächtige Dampfwalze, die nicht nur uns Kinder faszinierte. Meter um Meter arbeitete sich das träge Ungetüm vorwärts und hinterließ dabei eine dampfende, klebrige, glatte Teerbahn, die nur noch abgesan-det werden musste. Mit Hilfe eines riesigen breiten Besens, der nur unter größter Anstrengung von zwei kräftigen Männern hantiert werden konnte, wurde der Lavasand auf der noch klebrigen Straßendecke verteilt. Erst als diese abgekühlt war, durften auch wir Kinder die neue Straße betreten. Nicht ohne Stolz machten wir die ersten Schritte auf der glatten Oberfläche in dem Bewusstsein, an diesem großen Werk mit beteiligt zu sein. Vom Bau der ersten Teerstraße in Berlingen existiert noch dieses alte Foto von Karl Oehmen. Es zeigt die mächtige Dampfwalze mit den Männern des Bautrupps (von links nach rechts: Johann Meinen (†), Heinrich Pütz (†), Nikolaus Gitzen (†), alle aus Berlingen; dritter von rechts ist Josef Oehmen, der zu dieser Zeit als 17-Jähriger bei der Fa. Zettelmeyer beschäftigt war; er lieferte mir als Zeitzeuge wichtige Informationen)