Überzeugend gesungen

Maria-Agnes Pinn, Steffeln

Steffeln war nach dem Krieg nicht nur Grenzgebiet von Belgien, es lag auch gerade noch in der französischen Besatzungszone und gehörte damals zum Amt Stadtkyll. Von dort waren es nur ein paar Kilometer bis zur Ortschaft Dahlem im Kreis Schleiden, welche schon zur englischen Zone gehörte. Steffeln, als reines Bauerndorf, war für Menschen aus Köln und dem Ruhrgebiet damals ein begehrter „Hamsterplatz", wo man sich mit Lebensmitteln versorgen konnte. Darum waren gleich mehrere Zöllner im Ort einquartiert. Sie überwachten Land und Leute mit Argusaugen.

Die Bauern mussten viel an die französischen Besatzer abliefern: Kühe, Schweine, Hühner, ebenso auch Getreide, Kartoffeln und weitere Erzeugnisse der Landwirtschaft. „Schwarzschlachten" oder Milch- und Butterdrehen ohne Genehmigung waren strengstens verboten.

Unten im Dorf wohnten meine Freundinnen, die Zwillingsschwestern Maria und Gisela, in einer Großfamilie mit fünf Geschwistern, Eltern und drei ledigen Tanten. Dazu kamen noch Verwandte mit Kindern aus der Stadt, die damals ausgebombt und ohne Wohnung waren. Alle lebten von dem kleinen Bauernbetrieb. Oft gab es „Eierrühr" oder Apfelmus ohne Butter auf das Brot. Doch alle lebten froh und zufrieden zusammen, bis auf die Tatsache, dass genau ihrem Haus gegenüber in „Herres" ein Zöllner einquartiert war. Beide Haustüren direkt gegenüber an der kleinen Dorfstraße. Wenn „Juchems Mama" oder „Tant Liss" morgens und abends Milch durchdrehen wollten, um so Rahm zur Butterherstellung zu gewinnen, stand ausgerechnet an „Herres" Haustür der Beamte und rauchte seine Zigarette. Was nun? Die Milchzentrifuge brauchte nämlich gewisse Umdrehungen zum Entrahmen. Dabei entstand ein schriller Dauerton, den man aus der „Spentjeskahmer" (Spindchen = Vorratskammer) bis zum Standort des Zöllners durchaus hören konnte. Da hatte Vater Hubert die rettende Idee. Er sagte zu uns: „Mädcher, ihr songt doch esu jeer, joht noch es en halef Stonn ob de Housdür songe!" (=„Mädchen ihr singt doch so gerne, geht noch mal eine halbe Stunde vor die Haustüre singen"). Munter wie wir waren, machten wir das gerne. Meistens waren „Emmerije Maria, Hoffmanns Maria un Jilles Mathilde", die heute Küsterin in Schönfeld ist, mit dabei. Sämtliche uns bekannte Lieder trällerten wir am laufenden Band. Unsere Lieblingsschlager waren meistens Liebesdramen, wie zum Beispiel: „Unten im Tale am rauschenden Bach, sitzt ein Mädel so reizend und schön. Als sie da saß und ihr Kränzlein band, kam ein Jüngling so reizend und schön. Liebe, ja Liebe, bringt manchen ins Grab: Und sie stürzt sich vor Verzweiflung in die klare Flut, und da schrieb man in der Zeitung sie sei tot." So lenkten wir den Zöllner ab, der sichtlich den frohen Gesang in dem sonst so stillen Dorf genoss. War „Tant Liss" mit Milch durchdrehen fertig, kam sie vom „Spentjen" her auf uns zu und öffnete von innen die Haustür, so wussten wir Bescheid. Doch meistens sangen wir aus unserem Repertoire noch einige Zugaben; es sollte ja nicht auffallen. Wir taten dies sehr gerne zur Freude aller, zumal der Zöllner sich uns gegenüber stets von der besten Seite zeigte. „Herres" waren richtig gute Nachbarn, sie wussten sogar, warum wir sangen; der Zöllner etwa auch?

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