Danke, liebe Brennnesselfee

Marianne Schönberg, Jünkerath

Nie hab ich von ihr gehört, nichts Märchenhaftes ist von ihr dokumentiert und doch -es muss sie geben. Weshalb ? Das ist eine lange Geschichte.

Vor mehr als fünf Jahrzehnten - es war kurz nach Kriegsende - zogen wir Stadtkinder zu Fuß in die Randregionen.....Nesseln pflücken war angesagt, denn es gab nichts zu kaufen, kein Obst, kein Gemüse; die Teller blieben leer. Wer im Mehrfamilienhaus wohnte, keinen Garten hatte, litt Hunger. Doch der Frühling kam, brachte Löwenzahn in die Wiesen (wunderbar als Salat und noch heute mag ich ihn als Beigabe), Brennnesseln wuchsen und daraus kochten unsre Mütter Spinat. Wenn dann noch eine rohe Kartoffel aufzutreiben war, wurde die ins Grün gerieben, das dickte den Brei an, es schmeckte wunderbar doch vor dem Genuss stand das Ernten.

Handschuhe? Die waren längst verpackt für den nächsten Winter, so etwas Kostbares nahm man nicht mit ins Wiesengelände, viel zu schade - Nesseln wurden BARHÄNDIG gepflückt und das war eine schmerzhafte Angelegenheit. Vater zeigte mir zwar, wie man die Dinger richtig an-fasst, aber das klappte nicht so recht und Kinderhände sind empfindlich, trotzdem mussten die Nesseln in den Korb, viele, sie zerfallen beim Kochvorgang. Damals schloss ich meinen Pakt mit der Brennnesselfee, denn die musste es nach meinem kindlichen Verständnis geben und ich versprach ihr, nie ein Köpfchen liegen zu lassen, wenn's mir mal aus der Hand fiel, ich wollte nur das nehmen, was wir zum Essen brauchten und dafür -bitte - möge sie mich vor allzu großem Brennen bewahren.

Noch immer meine ich, sie tats. Das ist nun schon eine Zeit lang her. Meine - unsre - Kinder hatten keine Freude am Spinat aus Nesseln, auch wenn er mit zartem Gemüse aus dem Garten angereichert war. Das Pflücken? Fehlanzeige - so was muss ja nicht sein und dies Zeug, wer isst das heute schon?

Die Jahre gehen ins Land, eine neue Generation wächst heran. Da steht nun unser Enkel, der Knirps. Erwartungsvoll schaut er mich an, als ich die schönen frischen Nesseln am Neubau begutachte und meint: „Oma, pflück die doch mal, Mama hat gesagt du kannst das, dich brennen sie nicht." Die Äugelchen leuchten, sind voller Vorfreude auf das, was unweigerlich kommen muss, das AUA und eine schüttelnde Wegwerfbewegung meiner Hand. So hat der Kleine die Begegnung mit der Grünen erlebt, brennend, ungut. Auch Großmütter haben ein Ansehen zu verteidigen - ich pflücke Nesseln, Stück um Stück, das Kind steht neben mir, schaut, staunt.....„Oma, brennt das denn gar nicht? Und warum ist das denn so?" Höchste Zeit für eine - eben diese - Geschichte. Ein Märchen? Gewiss, aber ein schönes und vielleicht des Erzählens wert.