Weizenmehl und Zuckerguss

Marianne Schönberg, Jünkerath

Eine rundum feine Sache sind sie, die Symbolgebäcke im Jahresablauf, sie haben ihre eigene Geschichte, von der Neujahrsbrezel bis zum Weckmann am Nikolaustag. Was sie so begehrenswert macht, (und das nicht nur für Kinder) ist helles Mehl, die ansprechende Form und... der Zuckerguss. Symbolgebäck wird an besonderen Tagen verschenkt. In der Heimat meines Vaters sang man bei Jahresbeginn „Proscht, proscht Neijohr, Brezele wie e Scheierdoor, Kuche wie e Oweplatt, werrn mer all mit-nanner satt."

Als meine Großmutter Hausfrau war, konnte die Brez nicht groß genug ausfallen -wann gab's schon mal so was Süßes aus Weißmehl? Und Kuchen, so groß wie eine Ofenplatte, damit ist die der alten Küchenherde gemeint - er war sehr willkommen, durfte in Länge und Breite auch ein Stück überhängen... der Wunsch: Das neue Jahr sollte so recht mit Schmausen beginnen. Vorbei, vorüber. Frischer Kuchen am Neujahrstag, wer mag den heute? Der von Weihnachten liegt noch schwer im Magen. Trotzdem hat die Neujahrsbrezel kaum etwas von ihrer Beliebtheit eingebüßt. Weshalb? Ihre Form ist etwa die einer Acht und der alte Name Brazula steht für zwei verschlungene Hände; Brazelet hingegen bedeutet Armreifen und so dokumentiert dies Gebäck sinnbildlich die gewiss verworrenen Pfade des kommenden Jahres -man weiß nicht, was es bringt, weiß sich aber ein wenig geborgen (Armreifen, da hält mich jemand) und dann eben das angenehm weiche Weißmehlstück mit Zuckerguss - der soll die kommende Zeit versüßen; ein freundlicher Glückwunsch. In höfischen Kreisen war es bereits im 9. Jahrhundert Brauch, zu Neujahr Geschenke zu machen, wie der Brockhaus belegt. Schon damals bedachten Stadtverwaltungen ihre Bediensteten und Klöster, ihr Gesinde mit Zuwendungen - ein wenig Geld, meist aber Brotspenden in Form von Zopfgebäcken oder Lebkuchen und man pflegte, das neue Jahr mit Liedern einzusingen, auch Freunde und Bekannte anzusingen - Vorläufer vom Heischelied, das sich bis heute in vielen Regionen erhalten hat. Mancher Brauch ging verloren, anderes blieb und erlebt ab und an fröhliche Urständ.

Fastnacht - „die Kiechelcher sinn geback, geb mer ens, geb mer ens, ich steck es in mein Sack" (Hosentasche). Krapfen, Berliner, Mutzen, Kräbbelchen, gefüllt oder ohne, alle in Fett ausgebacken - wahre Kalorienbomben vor Beginn der Fastenzeit.

Ostern - da wird vielerorts ein ganz leichtes, helles Feingebäck in Lammform angeboten, meist mit Puderzucker bestreut, mit einem Fähnchen verziert. Die Sommermonate haben mit traditionellen Kirmeskuchen recht ortsbezogene Schwerpunkte; sie sind keine Symbolgabe. Das ändert sich am letzten Tag im Oktober, dann sind Reformationsbrötchen angesagt - ein Pendant zum Martinswecken? Viele Vermutungen machen die Runde, Beweise gibt's nicht, doch es liegt nahe, dass der Augustinermönch Martin Luther ein Gebäck als freundliche Gabe am Geburtstag der reformierten Gemeinden übernahm. Als ich Kind war, bekamen wir nach dem Gottesdienst dies Brötchen, ähnlich dem Martinswecken, der nach dem Umzug und dem Abbrennen des Feuers allen überreicht wird.... irgendwie gleichen sich die Bilder, die Freude am Schenken. Der Martinsweck hat meist die Form eines länglichen Brötchens - in manchen Gegenden ist es ein Hörnchen - mit Rosinen gefüllt, aus hellem Mehl. Das Reformationsbrötchen war rund und ursprünglich fünfteilig eingeritzt (Lutherrose), doch das machte den Bäckern Mühe, es zerbrach schnell und sieentschieden sich für eine Form in vier Teilen, einer Bischofsmütze ähnlich. Teig und Inhalt (Rosinen, manchmal Mandeln) sind dem Martinsweck durchaus gleich, nur der Zuckerguss, den hat eben das Brötchen. Übrigens, die Füllung war eine Kostenfrage, reiche Gemeinden spendierten Mandeln, ärmere nur Rosinen. Aber das ist lange her. Solch alte Bräuche wiederzubeleben erfordert persönlichen Einsatz; in Zeiten leerer Kassen weist keine Gemeinde Mittel für Symbolgaben aus. Trotzdem - wer kann sich den Martinstag vorstellen, ohne dass es nach dem Umzug mit Reiter und Ross einen Weck für die Kinder gibt? Und Nikolausbescherung ohne Weckmann mit der Tonpfeife - das strafte den Sinn des alten Liedes Lügen wo es heißt... „ei was steht da in der Eck, eine dicke Mann von Weck!" Er war die Freude unserer Kinderzeit und heute? Im Dezember hatte die Eifelver-eins-OG in X zu einer Feier eingeladen, viele Aktive und Freunde kamen, es wurde gesungen, musiziert, vorgelesen .... dann die Überraschung; jeder Gast bekam einen Nikolausweck, den echten mit Pfeife, genau wie früher und... das tat der Seele wohl.

Der Jahrkreis schließt sich mit dem Symbolgebäck Christ= Stollen. Woher kam er, wer erfand ihn? Das wird wohl ein Geheimnis bleiben. Doch es gibt schöne Geschichten um dieses Brot zur Weihnachtszeit. Eine sagt, Mönche haben (wann?) aus ihren Vorratskammern in einem Dezember ein längliches Gebäck mit allen Resten durchsetzt, die sie fanden -Rosinen waren dabei, Stückchen gezuckerter Südfruchtschalen (Orangeat und Zitronat), Mandeln... daraus wurde die Ur-Form des Stollens und der war schnittfest, haltbarer als übliches Graubrot - natürlich auch schmackhafter. Jahre später begoss man nach der Garzeit das Gebilde mit flüssiger Butter, so lange, bis sich die Kruste vollgesogen hatte. Drüber kam Zucker, der verschmolz mit der warmen Butter und diese Versiegelung garantierte dem Stollen (oder der Stolle) lange Haltbarkeit; aber kühl und trocken musste das Gebäck aufbewahrt werden. Die seltsame Form des Christstollens - übereinandergeschlagene Teigstücke - sollen ans Wickelkind in der Krippe erinnern. Warum dies Symbolgebäck so lange hält? Vielleicht sollten wir uns länger als nur zwei Tage am Weihnachtsgeschehen freuen? Eine wohlschmeckende Scheibe vom Stollen im Januar oder Februar (meine Großmutter meinte, das letzte Stück schmecke an Ostern noch gut) könnte nachdenklich machen - schön wärs.

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