„Äßt Ihr och e Stöck met?"

Anekdotisches um Heinrich Pieroth

Franz Josef Ferber, Daun

Fast ein Leben lang hat er in seiner Heimatstadt gelebt und stets fleißig gearbeitet. Er war ein tüchtiger Fotograf. Seine Arbeitsstätte war aber nicht nur sein Atelier in der Mayener Uferstraße. Ab und zu zog er über Land, in die nähere und weitere Umgebung der Eifel, um Menschen, Landschaften und Objekte zu fotografieren. Tausende Eifeler hat er auf Bildplatten gebannt. Sein Be-kanntheitsgrad muss enorm gewesen sein. Eines Tages bekam er sogar einen Brief aus Schweden mit der merkwürdigen Anschrift „Henry Knips, Mayen". Der Postbeamte wusste, wer damit gemeint war, derselbe nämlich, den auch ich meine: Heinrich Pieroth.

An diesen angesehenen Mann wurde in unserem Heimatjahrbuch 2003 erinnert. Sein Leben verlief weiß Gott nicht operettenhaft. Aber eines konnte er wenigstens mit Oberst Ollendorf, dem Gouverneur von Krakau, in der Millöcker-Operette „Der Bettelstudent" mit Fug und Recht behaupten: „Mir ist manches schon passiert". Und soweit es sich um amüsante bzw. im Nachhinein lustig erscheinende Erlebnisse handelt, soll hiervon ein Teil nacherzählt werden.

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Heinrich Pieroth im Gespräch mit „Hampitters Pitter", dem universalen Dorfhandwerker aus Möntenich, Kreis Cochem

Kundenbesuch an Pfingsten

Es war für ihn, den Stadtfotografen, eine arbeitsreiche Woche gewesen. Darum freute er sich, am Pfingstsonntag noch mal richtig ausschlafen zu können. Jedoch, das sollte ihm nicht vergönnt sein; aus der ersehnten und verdienten Feiertagsruhe wurde nichts. Denn in aller Herrgottsfrühe, schon um fünf Uhr, klingelte die Türglocke Alarm. Erschrocken fuhr Heinrich aus dem Schlaf, wütend verkündete er seiner Frau, er werde den Ruhestörer, egal wer er sei, umhauen. Dann eilte er, notdürftig angekleidet und noch etwas schlaftrunken, zur Haustür. Vor ihm stand ein kleiner schwächlicher Schneider. Und als er den von der Natur nicht sonderlich begünstigten Mann sah, wurde er versöhnlicher. Der ungebetene Gast grüßte freundlich: „Gode Morje, Herr Peroth, frohe Pfingste!" Sogleich fuhr er fort: „Können Se uss en Platt enleje, mir jinn nämlech en de Bösch?" Prompt erledigte der Fotograf den Fünfzehnpfennigsauftrag, währenddessen ihm der Kunde beiläufig erklärte: „Mir hann uss verschloft. Mir wollten an sech schunn en Stunn fröher jon". Heinrich konnte seine Neugier nicht unterdrücken und fragte: „Hätt' Ihr mech dann och jeweckt?" Die Antwort hatte ihm gerade noch gefehlt: „Awwer secher, HerrPeroth!"

Magendurchbruch

Heinrich Pieroth war zeitlebens gesundheitlich arg geplagt, allerlei Molesten machten ihm zu schaffen. So hatte er zum Beispiel im Jahre 1933 über ein durchgebrochenes Magengeschwür zu klagen. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Kaum war die Krankheit diagnostiziert und der Krankenwagen bestellt, raffte er aus seinem Bücherschrank schnell ein älteres Lexikon heraus und las die bedrohliche Prognose: „Patient stirbt unter entsetzlichen Schmerzen innerhalb weniger Stunden". Trotzdem ließ er sich nicht ins Bockshorn jagen. Er legte das Buch ruhig zur Seite und erklärte seinen Angehörigen: „Das Ding ist doch längst überholt." Er behielt recht; Chefarzt Dr. Jünger konnte sein Leben retten.

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Alte Eifelbäuerin.

Foto: Heinrich Pieroth

Totgesagte leben länger

Auch diesmal war ans Sterben nicht zu denken, aber es war davon die Rede, man hatte ihn schon totgesagt. Das kam daher, dass Pieroth die Angewohnheit hatte, seinem Friseur möglichst weit aus dem Wege zu gehen. Der Barbier hatte seinen Klienten ewig nicht mehr gesehen. Wohl deswegen erzählte er Pieroths Freund Erich Moog, Bildhauer in Kottenheim, allen Ernstes: „Der Heinrich Pieroth ist gestorben". Moog war schockiert, zog sogleich Frack und Kamisol an und machte sich auf den Weg nach Mayen zum Kondolenzbesuch. Dort traf er quicklebendig seinen Freund an.

Haarpflege im Fotoatelier

Im Laufe der Jahre haben sich unzählige Brautpaare im Pieroth' schen Atelier eingefunden, um sich fotografieren zu lassen. Dabei ging Frau Pieroth, die als die Seele des Geschäfts galt, ihrem Ehemann stets zur Hand. Ihr Part war es, in punkto Kleidung nach dem Rechten zu sehen, vor allen Dingen, die zerknautschten Brautschleier aufzubügeln.

Eines Tages erschien wieder mal ein Hochzeitspaar in zünftiger Brauttracht und bat den Fotografenmeister um ein Foto. Wie immer in solchen Fällen, war auch die Frau Meisterin zur Stelle, um der Braut ihren Schleier zu bügeln. Diese jedoch hatte einen ganz anderen Wunsch, weshalb sie abwehrte: „Naa, dat net, Ihr bräucht nur de Bräutigam ze kämme."

Vom Bettler zum Kunden

Betteln an den Haustüren war früher gang und gäbe. Man konnte sogar erleben, dass erbärmlich aussehende und armselig gekleidete Menschen sich vor anderer Leute Haustüren stellten und beteten. Einer dieser Bettler kam regelmäßig aus Ettringen nach Mayen und machte jedes Mal auch am Haus Pieroth halt. Viele Jahre hatte Heinrich Pieroth nichts mehr von dem armen Mann gehört, bis er eines guten Tages wieder kam und den staunenden Fotografen kollegial aufklärte: „Fröher kom ech bäi Euch bä-dele, onn do hat Ihr mir üm-mer jett jenn. Heut jaht et mir besser, onn nau jenn ech Euch och jett zo verdene."

Vornehme Leute

„De Härjott hott allerhand Kostjänger". So lautet eine Ei-feler Redensart. Das hat Heinrich Pieroth zur Genüge erfahren müssen. Er hatte es mit allen möglichen Leuten zu tun. Zu seiner Kundschaft gehörten auch solche, die bei anderen stets vornehm taten, es aber beileibe nicht waren, wie beispielsweise eine Frau aus Mayen. Sie kam mit ihrem Kleinkind, um es fotografieren zu lassen. Jedoch, die Kleine schottelte sich nicht, wie die Eifeler zu sagen pflegen; sie wollte partout nicht in die Linse gucken. Der Mama behagte das natürlich nicht, aber sie ließ sich ihren Unwillen nicht anmerken, sondern war bemüht, in geschwollenem Hochdeutsch das Kind zu ermahnen: „Was macht die Mutti, wenn das Liebchen nicht brav ist?" Die Antwort: „Mama Asch haue."

Mittagsmahl im Dorfgasthaus

An diesem Tag war der Fotograf bereits in der Frühe in die Eifel gereist. Bis zum Mittag hatte er schon eine Menge Fotos gemacht. Nun war er hungrig und durstig. Etwas widerwillig kehrte er, von seinem Gesellen begleitet, ins Dorfgasthaus ein, denn er wusste, dass die Wirtsfrau es mit der Sauberkeit nicht genau nahm. In der Gaststube sah es immer etwas schmuddelig aus, die Wirtin selbst machte meistens einen ungepflegten Eindruck. Bei alle-dem konnte einem der Appetit leicht vergehen. Der Meister wusste sich jedoch zu helfen. Er bat die Wirtin: „Können Sie uns vielleicht vier Eier hart kochen?" „Awwer jeweß", antwortete die Frau und verschwand. Nach ungefähr einer Viertelstunde war sie wieder da. Auf einem Teller hatte sie die bestellte Mahlzeit angerichtet. Treuherzig erklärte sie den beiden Gästen: „Gode Appetit, ech hann se Euch att je-pellt!"

Gastfreundschaft

Noch peinlicher war sein Besuch in einer alten Mühle im Nettetal. Dort sollte er fotografieren. Der mächtige Küchentisch der freundlichen Müllerin war blank gescheuert. Genauso blank war auch der Popo des Kleinkindes, das auf der Tischplatte saß. Unbekümmert ließ es ein kleines Bächlein fließen. Dieses nahm seinen Lauf in ein Astloch inmitten der Tischplatte und mündete schließlich in die Schublade.

Die Mutter machte sich nichts draus. Kurz danach zog sie die Tischschublade heraus und entnahm ihr kurzerhand einen Butterteller. Auf ihm hatte sich unverkennbar das Bächlein angesammelt. Die Müllersfrau ließ es ohne zu zögern auf den Küchenboden schwappen und stellte den Teller auf den Tisch in der Absicht, für den Nachmittagskaffee Butterbrote zu schmieren. Dann wandte sie sich, gastfreundlich wie sie war, an Heinrich Pieroth und lud ihn ein: „Äßt Ihr och e Stöck met?"

Spätheimkehrer

Heinrich Pieroth, sein Freund Karl Dreiser, damals Lehrer in Alflen, und der Pastor aus Büchel saßen beim Skatspiel. Es war spät geworden an diesem Abend. Schließlich brachen sie auf und machten sich in der dunklen Eifelnacht auf den Heimweg. Unterwegs äußerte Hochwürden den Wunsch, noch etwas zu essen, war aber peinlich darauf bedacht, zu so später Stunde mit dem Nüchternheitsgebot nicht in Konflikt zu kommen. Einer der Dreien kam auf die Idee, an die Fensterläden des nahe gelegenen Gehöftes zu klopfen, um sich nach der Uhrzeit zu erkundigen. Prompt tat sich am oberen Giebel des Hauses ein Fenster auf, der Bauer rief herunter: „Bat eß loß?" Die Spätheimkehrer äußerten ihre Bitte. Darauf drehte der Hausherr sich zur Seite und rief ins Schlafzimmer: „Threes, worste att off em Döppe?" Die Antwort war bis auf die Straße vernehmbar: „Joh!" Sogleich rief der Bauersmann den Nachtschwärmern zu: „Dann eß et zwei Uhr dorch." Quelle:

Ansprache von Karlheinz Pieroth bei der Eröffnung der Ausstellung „Gesicht und Gesichter der Eifel. 100 Jahre Fotograf Heinrich Pieroth" am 4. November 1993 in der Genovevaburg in Mayen