Nachtgespenster im Wald zu Beinhausen

Helmut Pauly, Kradenbach

Mein Vetter Alois Schneider aus Beinhausen hat in seinem Leben so manches erlebt. Anfang der 1920-er Jahre geboren, musste er als junger Mann in den Krieg ziehen, geriet in Stalingrad in Gefangenschaft und kam erst spät nach Kriegsende in die Heimat zurück. Nach dem Krieg trat er in den Steyler Missionsorden ein und wurde 1953 in St. Augustin zum Priester geweiht.

Als Missionar ging er nach Südamerika, wo er in Argentinien und später in Paraguay tätig war. Dort hatte er eine riesige Pfarrei zu versorgen. Anfangs zog er mit seinem Maultier von Dorf zu Dorf, um mit den Menschen vor Ort die heilige Messe zu feiern. Später hatte er mit Unterstützung seiner Angehörigen aus der Heimat einen VW-Käfer zur Verfügung. Es bedarf keiner besonderen Phantasie um sich vorzustellen, dass bei diesen Touren so manches Abenteuer zu bestehen war. Bei einem seiner Heimaturlaube habe ich ihn mal darauf angesprochen und gefragt, ob er denn nie Angst gehabt habe, wenn er so alleine in der Wildnis unterwegs war. „Nein", sagte er „eigentlich nicht. Aber als Kind, da hatte ich wirklich einmal große Angst."

Dann erzählte er folgende Geschichte:

Ich war mal eben acht Jahre alt und wurde zusammen mit meinem um ein Jahr älteren Bruder Stefan von meinen Eltern nachmittags zum Einkauf nach Kelberg geschickt. Unterwegs, kurz vor Kelberg, begegneten wir dem „Hinne-rissen Aal", einem Mitbewohner unseres Dorfes, der mit seinem Kuhgespann auf dem Rückweg von der Mühle nach Beinhausen war. Er fragte uns, wo wir denn noch hin wollten. Es war wohl schon später geworden, weil wir auf dem Weg etwas getrendelt hatten. Als er hörte, dass wir zum Einkaufen unterwegs waren, ermahnte er uns zur Eile, sonst könnten wir noch in die Nacht hinein geraten. Der gutgemeinte Rat war schnell wieder vergessen. Es dämmerte bereits, als wir uns von Kelberg in Richtung Beinhausen auf den Weg machten. Dieser führte damals durch waldiges, buschiges Gelände, vorbei an einer Stelle, wo vor langer Zeit das Kloster Steinseifen gestanden haben soll.

Der Sage nach wurde dieses Kloster zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges von Nonnen bewohnt. Eines Tages fielen Kriegshorden raubend und brandschanzend in unsereGegend ein, begingen Gräuel-taten und verwüsteten das Land. So kamen sie auch zu dem Kloster. Als in einer mondlosen Nacht die Wachhunde anschlugen und die Oberin zum Fenster hinaus sah, erschrak sie sehr ob der zahlreichen verlumpten Gestalten, die bei Fackelschein ihre Schwerter und Beile blitzen ließen. Die Barbaren machten sich mit Gewalt an der Klosterpforte zu schaffen, um in das Innere einzudringen. In ihrer großen Not beorderte die Oberin alle Mitschwestern zu einem geheimen unterirdischen Ausgang und alle Klosterbewohner konnten das Kloster verlassen, ohne entdeckt zu werden. Nachdem sich die Kriegsmeute bald darauf gewaltsam Zugang verschafft hatte, zerschlugen sie in ihrer Zerstörungswut Heiligenfiguren und Kirchengerät. Ihre Suche nach den Bewohnerinnen des Klosters aber verlief erfolglos, was sie in rasende Wut versetzte. Sie setzten das Kloster in Brand, um die Nonnen aus ihrem Versteck zu treiben. Aber das verbrecherische Treiben der Männer wurde umgehend bestraft. Unter der Hitze des Feuers barsten die Balken, die Mauern stürzten ein und die gesamte Mörderbande fand den Tod.

Diese Sage war den Leuten in Beinhausen sehr wohl bekannt und alle hatten eine gewisse Scheu vor dem Ort, insbesondere bei Dunkelheit. Immerhin meinten einige Dorfbewohner zu wissen, dass die Seelen der seinerzeit umgekommenen Wüstlinge noch keine Ruhe gefunden hätten und des Nachts als Geister umgingen.

Als wir beide uns dem besagten Ort näherten, war es bereits völlig dunkel geworden und unsere Beklemmung wuchs mit jedem Schritt. Auf einmal sahen wir zwischen den Bäumen einen glühenden Punkt. Kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Geist handeln musste. Uns rutschte nun das Herz völlig in die Hose. Als dann auch noch die gedämpft klingenden Rufe „Stefan, Alois" zu hören waren, glaubten wir, unser letztes Stündlein hätte geschlagen!

Die Rufe aber kamen näher und wir erkannten, dass es sich um den „Hinnerissen Aal" handelte, eine Gestalt aus Fleisch und Blut. Wie sich später herausstellte, hatte der sich der späten Stunde wegen Kummer um uns gemacht. Er hatte im Bereich des ehemaligen Klosters auf uns gewartet und sich die Zeit mit ein paar Pfeifchen, die in der Dunkelheit glühten, vertrieben.

Dieses Erlebnis habe ich meinen Lebtag nicht vergessen und war wohl das Ereignis, bei dem ich die größte Angst ausgestanden habe.

Anmerkung:

Pater Alois Schneider beging im Sommer 2003 sein 50-jähriges Priesterjubiläum. Leider konnte die bereits vorbereitete Feier in der Heimatgemeinde wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes nicht stattfinden. Er verbringt jetzt seinen Lebensabend in einem Missionshaus in St. Wendel im Saarland.