Kerschenbach

Hubert Pitzen, Stadtkyl l

1. Kerschenbach heute

Die selbstständige Ortsgemeinde Kerschenbach in der VG Obere Kyll liegt zwei Kilometer westlich von Stadt-kyll an der Nordgrenze des Kreises Daun. 172 Einwohner mit Hauptwohnsitz und 15 mit Nebenwohnsitz wohnen in Kerschenbach. Im Feriengebiet „Kyllerberg" leben nochmals 14 Einwohner mit Hauptwohnsitz und 102 mit Nebenwohnsitz (Stand: Januar 2004). Der Ort besteht zur Zeit aus 67 Häusern und 70 Familien. Der „Kyllerberg" weist 79 Ferienhäuser auf. Die Höhenlage des Ortes beträgt ca. 550 Meter. Durch den Ort verläuft die Kreisstraße (K 64) Ormont - Stadt-kyll. Mitten im Dorf befindet sich ein Gemeindehaus mit einem Kinderspielplatz und einem Feuerwehrhaus. An dem Ort in Richtung Stadt-kyll gegenüberliegenden Berghang (Kyllerberg) entstand ein Ferienwohngebiet. In den 70er Jahren wies die Gemeinde ein Neubaugebiet aus.

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Die Gemarkungsgröße beträgt 691 Hektar, davon gehören 116 Hektar der Gemeinde mit 96 Hektar Waldfläche.

Kerschenbach war wie viele Eifelorte landwirtschaftlich geprägt; doch die Zahl der Höfe ging bedingt durch den Strukturwandel stark zurück. Im Ort existieren noch zwei Vollerwerbs- und drei Nebenerwerbsbetriebe. Erwerbstätige arbeiten meist als Pendler in auswärtigen Betrieben, sodass sich die Entwicklung zu einem reinen Wohnort abzeichnet. Als Gewerbebetriebe sind ein Fuhrunternehmen, ein Betrieb für Holzeinschlag, ein KFZ-Zu-behörhandel, ein Garten-und Landschaftsbaubetrieb sowie ein Hufschmied gemeldet. Alle Versorgungseinrichtungen sind vorhanden. Im Ort besteht seit 1908 eine eigene Wasserversorgung. Der erste Kanalbau datiert aus dem Jahre 1954. Eine Teichkläranlage ist seit 1972 in Betrieb.

In der ehemaligen Dorfschmiede waren Feuerwehr, Gemeindewaage und das Gefrierhaus untergebracht. Eine Gemeinschaftsgefrieranlage wurde 1968 angeschafft. Bis 1967 hielt man noch einen Gemeindestier. 1970/71 erbaute Kerschenbach ein Gemeindehaus, in dem Feuerwehr und Gefrieranlage Platz fanden, sodass die alte Dorfschmiede abgerissen werden konnte.

Die alte Dorftränke wird wieder als Sandsteintrog an der alten Stelle am neuen Dorfplatz integriert. Zurzeit errichtet nämlich die Gemeinde einen neuen Dorfplatz, der die Funktion eines Jugendtreffs erhalten soll. Außerdem soll eine Kommunikations-Plattform für alle Bürger entstehen. Eine Spielfläche für Fußball, Basketball, Streethockey und Inli-ne-Skating ist ebenso in der Planung.

Sehenswert sind alte Bauernhäuser und die Luzia-Kapel-le. Eine Schule besaß Kerschenbach nicht. Die Kinder besuchten die Volks- und Grundschule in Stadtkyll. Auch kirchlich ist der Ort heute der Pfarrei Stadtkyll angegliedert. Kerschenbach hat eine eigene Feuerwehr, eine Frauen- und Jugendgruppe und einen Junggesellenverein. 2003 wurde erstmals eine Fußball-Freizeitmannschaft gegründet. Kirmes feiert die Gemeinde gemeinsam mit Stadtkyll im August, obwohl eigentlich seit alters her das Luzia-Fest im Dezember als Kirmes begangen wurde. An Brauchtum existieren das Sternsingen, verschiedene Faschnachtsbräuche, Burgfeuer (1. Fastensonntag), Klappern in der Karwoche, Aufstellen von Mai- und Kirmesbäumen, der Martinszug und das Ströppen und Streuen. Diese Hochzeitsbräuche kommen dann zur Geltung, wenn jemand aus einem anderen Ort ein Kerschenba-cher Mädchen freit. Als selbstständige Gemeinde besitzt Kerschenbach einen Bürgermeister und sechs Ratsmitglieder.

2.  Namensdeutung

Der Ortsname „Kerschenbach" steht mit dem nahen und gleichnamigen Bachlauf in Verbindung. Im 17./18. Jahrhundert hieß der Ort „Kirschembach". Das Bestimmungswort „Kerschen" geht auf das althochdeutsche Wort „kar" zurück, was soviel wie „Tal" oder „Höhle" bedeutet. Kerschenbach bedeutet also „Talbach".

3.  Geschichtliche Entwicklung

Wann das Dorf entstand, läs-st sich nicht mehr mit Gewissheit feststellen. Die Namensendung -bach deutet auf eine Entstehung in der Eifeler Rodungsphase hin, die im 12. Jahrhundert fest zu machen ist. Römische Spuren tauchten bisher nicht auf. Als im Oktober 2003 bei den Bauarbeiten des neuen Dorfplatzes handgeformte Tonrohre zum Vorschein kamen, wurde man hellhörig. Solche Tonrohre können römischen Ursprungs sein. Voraussetzung dafür wäre dann aber die bewiesene Existenz einer römischen Anlage in Ortsnähe. Doch auch während des Mittelalters bis in die Neuzeit waren solche 50 Zentimeter langen und im Innendurchmesser 4 Zentimeter breiten Wasserleitungsrohre üblich. Doch nun weiß man, dass die glasierten Tonrohre zur Speisung der ehemaligen Dorftränke gedient haben. Sie stammen aus dem Kannebäcker Land.

Auf festem historischem Boden stehen wir durch die ersten Quellen, die Kerschenbach erwähnen. 1327 erhielt der Ritter Friedrich I. von Kronenburg die Stammburg mitsamt einigen umliegenden Orten als Lehen. Dazu gehörte auch Kerschenbach. Aus einer weiteren Urkunde aus dem Jahre 1345 erfahren wir, dass die Grafen Arnold I. und Gerhard V. als Herren von Blankenheim neben anderen Dörfern auch Kerschenbach dem König Johann von Böhmen als Grafen von Luxemburg übertrugen. Für 2.000 Schildgulden erhielten die Grafenbrüder das Gebiet zurück, wobei sie aber in Kriegszeiten dem Graf von Luxemburg helfen mussten. Der Urkunde zufolge gehörte Kerschenbach zur Blanken-heimer Herrschaft im Hofe Stadtkyll. Schließlich fiel fast der gesamte Eifelraum an die Grafen von Manderscheid. Zum Besitz dieses Hauses gehörten seit 1468 auch die Grafschaften Blan-kenheim und Gerolstein, wozu auch Kerschenbach gehörte. In dieser Zeit muss Kerschenbach ein Hochgericht besessen haben. Im Erbteilungsvertrag von 1488 zwischen den Grafen Cuno und Johann von Mander-scheid erfahren wir, dass Graf Cuno die Hälfte aller Abgaben von Kerschenbach erhielt. Die andere Hälfte stand seinem Bruder zu mitsamt dem „Hochgericht zu Kerschenbach".

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Die beiden Kerschenbacher Fotos zeigen Vorbereitungen zum Weben

Kirchlich gehörte Kerschenbach in dieser Zeit zu Kronenburg. Da Kronenburg bis 1603 zu Luxemburg gehörte, bezeichneten die Stadtkyller Kerschenbach als „Spanisches Ländchen". Kaiser Karl V. hatte nämlich 1555 seinem Sohn Philipp II. Luxemburger Gebiet übergeben. Somit war Philipp als spanischer König Besitzer Kronenburgs. Scherzweise bezeichneten die älteren Stadtkyller die Kerschenbacher als „Spanier". Nach dem 30-jährigen Krieg existierten nur noch dreiFamilien in Kerschenbach: Theiß Webers, Gotthard Ebertz und Richard Holtz. Die zur gleichen Zeit verübten Hexenverfolgungen machten auch vor Ker-schenbacher Frauen nicht Halt. Bereits 1581 wurde Katharina (Threin) Schligers als „Hexe" in Gerolstein hingerichtet. Dieser Gerolsteiner „Brand" gehörte zu den frühesten Hexenprozessen im Hocheifelraum. 1633 fiel Margarethe Heinen dem Wahn zum Opfer.

 

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Flachsschwingen in der Scheune. Im Vordergrund eine „Räst" (Korb). Die Schwingerinnen tragen Kopftücher zum Schutz der Haare.

 

Und nun muss noch ein Ku-riosum der Kerschenbacher Geschichte Erwähnung finden. Im 17. Jahrhundert sollen wegen einer Pestepidemie drei Familien, deren Wohnungen auf Kronenburger Gebiet gestanden hatten, nach Kerschenbach umgezogen sein. Obwohl sie in blan-kenheimisch-gerolsteini-schem Gebiet (Hof Stadtkyll) wohnten, blieben sie als Kro-nenburger luxemburgische Untertanen. In der Franzosenzeit (1796) kamen diese drei Häuser mit der Mairie (Bürgermeisterei) Kronenburg zum Ourthe-Departe-ment, während das Dorf Ker-schenbach zur Mairie Stadt-kyll im Saar-Departement gehörte. Auch kirchlich gingen die drei Häuser getrennte Wege. 1801 fiel man mit Kronenburg an die Diözese Lüttich und 1821 an die Erzdiözese Köln.

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Flachsschwingerinnen überfallen einen Bauern mit Fuhrwerk, um die Schuhe zu putzen und eine Spende zu erhalten


Das Kölner Vikariat nannte Kerschenbach
„theils spanisch - theils gerolsteinisches Territorii". Die beiden Pfarrer von Stadtky-kll und Kronenburg einigten sich dahingehend, dass jeder von beiden die Kerschen-bacher Seelsorge ausübte, wenn er verlangt wurde oder gerade in Kerschenbach anwesend war.

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Kerschenbacher Mädchen am Spinnrad

Nach der Franzosenzeit klärten sich allmählich die Kerschenbacher Verhältnisse. Die drei Häuser fielen aber zunächst durch die Bestimmungen des Wiener Kongresses (1814/15) mit Kronenburg an Meckenburg-Strelitz bis 1819. Dann gelangten sie mit Kronenburg zur preußischen Rheinprovinz im Kreise Schleiden/Reg.-Bez. Aachen. Kerschenbach kam zur Bürgermeisterei Stadtkyll und damit 1816 zum neu gebildeten Kreis Prüm. Aufgrund vieler Eingaben wurde dann der gesamte Ort Kerschenbach der Bürgermeisterei und später der Amtsbürgermeisterei Stadtkyll zugeordnet. Seit der Verwaltungsreform von 1970 gehört Kerschenbach zur Verbandsgemeinde Obere Kyll und somit zum Kreis Daun.

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In einer Kerschenbacher Webstube

4. Religiöses Leben

Kerschenbach gehörte, wie schon erwähnt, jahrhundertelang zur Pfarrei Kronenburg. Im Kronenburger Visitationsbericht von 1687 heißt es ausdrücklich, die Kapelle zur hl. Luzia zu Kerschenbach gehöre zu Kronenburg.

1737 berichtet eine Urkunde: „Cronenburg hat vier con-secrirte Kapellen: Berk, Hallschlag, Frauenkron und Kerschenbach". Im Status von 1750 wird Kerschenbach ebenfalls als eine Filiale von Kronenburg erwähnt. Zeitweise ließen sich die Einwohner von Kronenburgerhütte in Kerschenbach beerdigen. Kerschenbach bot in der französischen Zeit flüchtigen Geistlichen, die den Eid auf die Zivil-Konstitution verweigerten, eine Zufluchtsstätte. Nach der französischen Zeit wurden auch die kirchlichen Zugehörigkeiten neu geregelt. 1827 kam Kerschenbach an die Pfarrei Stadtkyll in der Diözese Trier.

Die Kerschenbacher Kapelle ist der hl. Luzia geweiht und stellt ein Kleinod für den Ort dar. Das Luzia-Fest (13. Dezember) wurde stets unter großer Beteiligung der Gläubigen auch der umliegenden Orte gefeiert. Die Kirchenfabrik bewirtete die zu dieser Feier erschienenen Geistlichen. Seit 1946 singt die Gemeinde ihr eigenes Luzia-Lied.

Außerdem feierte man am 13. Mai das Fest des hl. Servatius. Zu diesem Fest erschien auch eine Prozession aus Stadtkyll.

5. Die Luzia-Kapelle

Die St.-Luzia-Kapelle ist ein verputzter Bruchsteinbau mit einem Chorraum aus dem 16. Jahrhundert (Spätgotik) und einem zweijochigen Schiff von 1681. Erste Aufzeichnungen belegen den Beginn des Baues im 14. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert stellte man die Kapelle fertig.

1657, also kurz nach dem 30-jährigen Krieg, stiftete das Prümer Hospital einen Sack Korn zur Instandsetzung der Kapelle. 1811 kam es zu größeren Reparaturen im inneren und äußeren Kapellenbereich. Neue Altäre erhielt die Kapelle 1866. 1909 verbrannten viele kostbare Gegenstände der Kapelle im Hause des Küsters, wo sie wegen der Feuchtigkeit der Kapelle aufbewahrt worden waren. 1910 stiftete Bruder Francois Bun-gartz einen Kreuzweg. Eine umfassende Restauration datiert aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Restaurator Arnold Merzigloth aus dem saarländischen Tho-ley hat sein Bildnis 1979 an der Kapellenwand hinterlassen. Den Hochaltar zieren barocke Figuren wie die Gottesmutter als Himmelskönigin mit Kind. Eine Pieta findet der Besucher im Eingangsbereich. Im sternenför-migen Deckengewölbe zeigen sich die vier Evangelisten. Ein Besuch der Kapelle lohnt sich.

Quellenangabe:

Cremer B., Geschichtliche Nachrichten über die Bürgermeisterei Stadt-kyll, Prüm 1834

Delvos H., Kerschenbach im Rahmen heimatgeschichtlicher Ereignisse Ders., Stadtkyller Chronik Ein kleines Schmuckstück zum Wiederentdecken. In: Trierischer Volksfreund vom 9.1.1992 Oster P., Geschichte der Pfarreien der Dekanate Prüm-Waxweiler, Bd. III. Trier 1927

Schannat/Bärsch, Eiflia illustrata, Kreis Daun, Nachdruck, Osnabrück 1982

Seiberts A., Römische Spuren an der Oberen Kyll. In: Trierischer Volksfreund vom 5.11.2003

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Kommunionkinder aus Kerschenbach vor der Luzia-Kapelle, 1912

Von Kerschenbach existiert noch eine Fülle von alten Fotos, die das alltägliche Leben einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft widerspiegeln. Aufgenommen hat diese der Kronenburger Pfarrer Peter Windelschmidt, der in den Jahren 1919-1926 der Kronenburger Pfarrei vorstand. Er war auch der Begründer der über die Eifel hinaus bekannten Kronenburger Tell-Spiele. Am Kerschenbach muss auch eine Getreidemühle existiert haben, deren Fundamente noch vor Jahrzehnten sichtbar waren. Über diese Mühle hat der ehemalige Stadtkyller Lehrer Heinrich Delvos eine Sage verfasst. Sie lautet:

„Es schauen so friedlich von Kerschenbach die Häuser zum Wiesengrund, wo drunten an dem klaren Bach die Mühle klappert Stund um Stund!

Sie klappert bei Tag, sie klappert bei Nacht und schafft das Mehl herbei; der Müller sich ins Fäustlein lacht, bald ist die Mühle frei. Der Müller hat ein hartes Herz und hasst, was gut und weich; er häuft das Geld mit Spott und Scherz und wird allmählich reich.

Im Winter einst bei Schnee und Wind klopft's an der Mühle Tor, es bittet ein Frau mit Kind in Not um Brot davor.

Der Müller hat ein hartes Herz und weiset schroff sie ab; er fühlt nicht mit der Ärmsten Schmerz, treibt sie vom Hof hinab. Als es dann wieder Sommer ward, stand's mit der Ernte schlecht, die Ähren leer, der Boden hart, vergebens mähten Herr und Knecht. Die Mühle hört zu klappern auf und stellt das Mahlen ein.

Es plätschert nur des Baches Lauf, kein Bauer bringet Korn herein.

Und als die Not kein Ende nahm, ward bald der Müller arm.

Der Meister Tod zur Mühle kam ohn' Gnade und Erbarm; der holt ihm fort sein Weib und Kind, des Müllers Herz bleibt Stein; weg ging der Knecht, sein Hausgesind, am Grab stand er allein. Und wie ein Fluch verfolgt es ihn, er hasst sein Haus und Land, legt in der Wut ein Feuer hin, bald steht die Mühl' in Brand.

Es flattert wild der rote Hahn hoch auf dem strohbedeckten Dach, der Müller lacht in seinem Wahn, entsetzt dreht sich das Rad im Bach. Er geht gestützt auf seinen Stab, zum Berg und schaut dem Feuer zu, die Mühle wird zum Aschengrab. Dann wandert er ohn' Rast und Ruh.

Sein harter Sinn hat ihm genommen das Glück und gab ihm Hass und Qual. Nie ist er mehr zurückgekommen in dieses schöne, stille Tal.

Die Flur, wo einst die Mühle stand, wird heut' noch „en d'r Mühl" genannt, und in der Erd' die Mauer steht am Bach, wo sich das Rad gedreht."

Mein Dank für die Bereitstellung von Quellenmaterial gilt Herrn Ortsbürgermeister Walter Schneider.