Jahreszeiten im Lebenskreis

Alois Krämer, Bodenbach

1. Ein Sommertag

Schon um halb sechs war Johann aufgewacht. Einen Augenblick verweilte er noch, mit offenen Augen die Zimmerdecke anstarrend, in seinem Bett. Dann stand er mühsam auf. Er war ein mittelgroßer hagerer Mann, zwei tiefe seitlich an den Nasenflügeln beginnende Falten durchzogen sein von harten Kriegserfahrungen, aber auch von der herben Ei-feler Luft gezeichnetes Gesicht. Er hielt sich nicht allzu lange mit der Morgentoilette auf, denn auch heute wieder stand ihm und seiner Familie ein großes Arbeitspensum bevor. Mit hartem Knöchel klopfte er an die Schlafzimmertür seines Neffen und weckte ihn. Dann stieg er etwas steifbeinig die Treppe zum Erdgeschoss hinunter und begab sich nach einem knappen Gruß, den er seiner Schwester Theres' zuwarf, die in der Futterküche bereits mit den Milchkannen klapperte, in den Stall. Ein paar Minuten später stand der Junge neben ihm und half ihm bei der Versorgung der Kühe und dem Ausmisten des Stalles. Seine Frau Gret' hatte währenddessen die Schweine gefüttert und die Kälber getränkt. Nach dem Melken fand sich die ganze Familie in der kleinen Küche zusammen, um das Frühstück einzunehmen. Sie besprachen die Tagesarbeit und jeder ging seinen Aufgaben nach. Theres' Bereiche waren Stall-, Feld- und Gartenarbeit, da war sie in ihrem Element; sie ging gern mit den Tieren um, arbeitete aber ebenso gern draußen. Zu Gret's Aufgaben gehörte die Hausarbeit, das Kochen, Backen, Bügeln, im Sommer aber auch ein gehöriger Anteil an der Feldarbeit. Der Junge rannte zur Schule, die ganz in der Nähe lag, denn die Ferien würden erst in der nächsten Woche beginnen. Am Nachmittag sollte das Heu von einer der großen Wiesen eingeholt werden. Ohne viele Worte wusste der Junge, was er zu tun hatte. Er lief nach dem Mittagessen sofort in den Pferdestall. Behände kletterte er die hölzerne Wand zwischen den Pferdeboxen hinauf. „Max", lockte er das Pferd, das neugierig zu ihm herüberblickte und leise schnaubte. Das Kummet, das er vorher auf den überstehenden Pfosten der Zwischenwand gehängt hatte, stülpte er dem Pferd über den Kopf. Dann ließ er sich vorsichtig auf der anderen Seite herab, löste den Gurt, mit dem das Pferd angebunden war und führte den Gaul hinaus. Draußen spannte er Max vor den Ladewagen. Es war Juli, die Sonne brannte heiß und stechend vom Himmel, es würde ein Gewitter geben. „Hoffentlich kriegen wir das Heu trocken ein", dachte er, schon ganz und gar mit dem bäuerlichen Gedankengut seines Onkels Johann verwoben. Heugabeln und Rechen wurden aufgeladen. Theres' und Gret' waren schon vorausgegangen. „Hüh", machte der Onkel, der im Hof auf das Gespann gewartet hatte, und los ging die Fahrt. Der Junge führte das Pferd am Zügel, der Onkel setzte sich etwas steifbeinig auf dem Wagen zurecht. Mit fremd klingenden Silben, die er hervorstieß, dirigierte er das Pferd in die gewünschten Richtungen.

Auf der halbstündigen Fahrt hing Johann seinen Gedanken nach. Vor wenigen Jahren erst war er schwer krank aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. Die Krankheit hatte ihn schließlich zu einer Operation gezwungen. Inzwischen war er genesen, doch hatten seine Kräfte dauerhaft gelitten. Er war froh, dass der Junge bei ihm wohnte und ihm schon gut bei der Arbeit helfen konnte. Auf ihn richtete sich seine ganze Hoffnung, würden ihm und seiner Frau, die er nach seiner Heimkehr geheiratet hatte, eigene Kinder auf immer versagt bleiben. Sorgen machte er sich darüber, dass das Geld so knapp war. Noch vor einigen Jahren war das wenige Bargeld, das die Familie einnehmen konnte, aus dem Verkauf von Eiern und der selbst gekirnten Butter, die ein Händler wöchentlich abholte, gekommen. Vor der Währungsreform hatte man Butter und Speck gegen alle möglichen Dinge eintauschen können. Inzwischen hatten sich die Milchpreise stabilisiert, so dass die Lieferungen an die Molkerei wieder rentabel geworden waren. Doch dann hatten sich seine Brüder einer nach dem anderen verheiratet und ihr vorläufiges Erbe beansprucht. Es war nicht einfach gewesen, sie nach und nach auszubezahlen. Er selbst wünschte sich sehr, eine Melkmaschine und einen Traktor zu besitzen. Nun, diese Wünsche würden wohl vorerst unerfüllt bleiben.

Inzwischen war man auf der Wiese angelangt, auf der die Frauen das über Nacht auf Haufen gesetzte Heu am Morgen zum Trocknen wieder auseinander gespreitet hatten. Seufzend nahm er die Heugabeln und die Rechen vom Wagen, eine der Frauen stieg auf den Wagen und das Aufladen begann. Ab und zu ein Blick zum Himmel, an dem sich dräuende Gewitterwolken zusammengeballt hatten. Würden sie es schaffen? Er lud verbissen und mit zunehmend schmerzendem Rücken das Heu auf den Wagen. Die Frau schichtete es zu einer gleichmäßigen Fläche. Immer höher stieg die Last, immer beschwerlicher wurde das Recken mit der Heugabel, immer mühsamer zog das Pferd das Gewicht des großen Wagens weiter. Hinter dem Gespann schritten Theres' und der Junge, die das liegen gebliebene Heu zusammenrechten. Endlich war die Arbeit getan, der Ladebaum wurde oben befestigt, und die langsame und beschwerliche Heimfahrt begann.

Auf dem Hof angekommen, öffnete der Junge beide Scheunentore und der Wagen fuhr so weit hindurch, dass er mittig in der Scheune stehen bleiben, und das Pferd draußen abgeschirrt werden konnte. Ein heftiger Donnerschlag ließ alle zusammenzucken, das Pferd bäumte sich erschreckt auf, so dass es nur mit Mühe gebändigt werden konnte. Im gleichen Moment ging eine Regenflut hernieder. Eilig führte der Junge das Tier in den Stall, rieb es trocken, gab ihm Wasser zu saufen und füllte seinen Trog. Das Abladen war eine schwere Arbeit, der Onkel reckte das Heu Gabel für Gabel den Heuboden hinauf, wo es von den Frauen an seinen Platz gelegt wurde. Der Junge trat es mit den Füßen fest. Alle schwitzten heftig in der brütend heißen Luft der Scheune, in der der Staub nur so umher tanzte. Es dauerte lange, bis der Wagen geleert und das Heu an seinem Platz war. Dann wurde der Junge geschickt, die sechs Kühe heimzuholen, die auf einer Weide hinter dem Kirchhof grasten. Das war die einzige Weide, welche eingezäunt war, und auf der man die Tiere ohne Aufsicht lassen konnte. Nach kurzer Zeit war er mit seiner kleinen Herde zurück und ließ sie an der Viehtränke unterhalb des Anwesens ausgiebig saufen, führte sie danach in den Stall und kettete sie an. Dann begann das Füttern und das Melken. Die Milch in den hohen Milchkannen wurde kühl gestellt, bis sie am anderen Morgen früh zur Ablieferstelle im Dorf gebracht wurde. Bevor die Theres' zum Melken in den Stall gegangen war, hatte sie noch die alte, bettlägerige Mutter versorgt. Im Sommer war es leider so, dass man die Greisin oft allein lassen musste. Oft plagte sie ein schlechtes Gewissen, und sie rannte in den kurzen Arbeitspausen nach Hause, um nach der Kranken zu sehen. Gret' musste wieder die Schweine füttern und die Kälber tränken. Vom Vortag war noch Schweinefutter übrig, es war aus Kartoffeln, Roggen, Schrot, warmem Wasser und Magermilch in einem großen Kessel, dem „Grobb", gekocht worden, und die Menge hielt zwei bis drei Tage vor. Die Kälber bekamen Milch, in die eine Kraftnahrung eingerührt wurde. Nach Erledigung dieser Pflichten machte sie sich an die Zubereitung des Abendessens.

Nach dem Abendessen und dem langen Abendgebet zündete der Onkel sich sein Feierabendpfeifchen an und verteilte die Aufgaben für den nächsten Tag. Die Frauen sollten auf zwei anderen Wiesen das Heu wenden, wenn der Regen früh genug aufhören und das Heu wieder antrocknen würde. Der Junge sollte nachmittags die Kühe auf einem weit entfernten Wiesenstück hüten, und zwar zusammen mit seinem Cousin, der die eigene Herde auf einer Nachbarweide bewachen sollte. Er selbst wollte frühmorgens eine weitere Wiese mähen, da sie jedoch ziemlich abschüssig war, würde er sie mit der Sense mähen müssen und nicht mit Mähmaschine. Wenn es aber weiter regnen würde, könnte man Kohlrabi setzen, Es war höchste Zeit dazu. Es würde vier bis fünf Wochen dauern, bis das ganze Heu eingefahren war, überlegte er. Jede Wiese mähen, das Heu auf Reihen legen, wenden, manchmal mehrmals, dann auf Haufen setzen: Günstigstenfalls konnte eine Wiese innerhalb von drei Tagen abgeerntet werden. Im Augenblick sah es aber nicht danach aus. Daneben würden auch noch die Kartoffeln gehäufelt und von Unkraut befreit werden müssen. Die Unkrautbeseitigung war Aufgabe der Frauen und Kinder. Das beschwerliche Rübenverziehen hatten sie zum Glück bereits erledigt, aber jetzt nach dem Regen würde das Unkraut dort auch wieder sprießen. Die Arbeit nahm kein Ende. Die Frauen waren inzwischen nicht untätig geblieben. Gret' räumte die Reste des Abendbrots ab und machte sich daran, den Brotteig anzusetzen. Am nächsten Abend würde sie den Teig kneten, eine Aufgabe, die wohl eher einem Mann zugekommen wäre, denn es wurde jedes Mal so viel Teig vorbereitet, dass es für dreizehn oder vierzehn große Vierpfundbrote reichte. The-res' reinigte die Futterküche und weichte die Wäsche ein, denn es war wieder einmal die große Wäsche zu waschen. Diese Arbeit war aber während der Erntezeit auch des Abends zu tun. Es wurde langsam dunkel, und der Junge ging zu Bett. Der Onkel hörte die Nachrichten im Radio, dem einzigen Kontakt nach draußen in die Welt, den er hatte, denn eine Zeitung zu halten, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Ein Nachbar kam und besprach sich mit ihm wegen einer Reparatur an einer seiner Maschinen, er bat ihn um ein Werkzeug. Der Onkel ging mit ihm in die Werkstatt und händigte ihm das gewünschte Arbeitsgerät aus. Man half sich im Dorf gegenseitig, das war so üblich.

Dann rief ihn die Theres' ins Haus, eine Kuh hatte zu kalben begonnen, wider Erwarten zu früh. Sofort begab er sich in den Stall, um nach dem Tier zu sehen. Es würde offensichtlich eine schwere Geburt werden, das sah er mit einem Blick. Die Kuh quälte sich die ganze Nacht. Auch die Frauen kamen ab und zu und schauten nach dem Tier. Am anderen Morgen musste der Tierarzt gerufen werden, denn es stand zu befürchten, dass die Kuh es nicht schaffen würde. Das nächste Telefon war in der Gastwirtschaft gegenüber. Der Tierarzt kam und konnte nichts mehr tun, als das tote Kalb aus der Kuh zu holen, um das Leben des Muttertieres zu retten. Die Totgeburt war ein großer Verlust, und die Kosten des Tierarztes waren außerdem zu bezahlen. Der Onkel war sehr schlechter Laune am nächsten Tag, und das merkte man ihm an. Das nächste Kalb sollte in zwei Wochen kommen. Hoffentlich würde es diesmal gut gehen.

2. Das Jahr schreitet fort

So verging der Sommer und die Arbeit nahm nicht ab, sondern zu. Allmählich wurden die Tage jedoch kürzer. Der Junge musste auch wieder zur Schule gehen, aber es gab so viel Arbeit auf dem Hof, das er oft nicht wusste, wann er seine Schularbeiten erledigen sollte. Abends fielen ihm vor Müdigkeit die Augen beim Abendessen zu. Er saß vor seiner Milchsuppe und phantasierte mit offenen Augen vor sich hin: Er hatte auf dem Haferfeld eine Unmenge von Steinen absammeln müssen. Dies war notwendig, damit beim Mähen die Sense nicht stumpf oder beschädigt werden würde, hatte ihm der Onkel erklärt. Um das Hüten der Kühe hatte er sich auch kümmern und dem Onkel bei allen möglichen Arbeiten zu Hand gehen müssen. Zum Glück hatte man das Heu doch noch zügig einbringen können. Das Getreide, Roggen und Weizen waren gemäht, das meiste zum Glück mit der Mähmaschine, die Frauen hatten die Garben von Hand gebunden und aufgestellt. Bei gutem Wetter dauerte das Trocknen ungefähr vierzehn Tage, alles war soweit gut gegangen. Er hatte fleißig mitgeholfen, die Bändel zum Binden der Garben bereit gelegt und die liegen gebliebenen Ähren eingesammelt. Ab und zu war eine Maus über das Feld gelaufen, und er hatte sich einen Spaß daraus gemacht, sie zu jagen. Das Einfahren des Getreides war ebenso mühevoll wie die Heuernte. Auch die Garben mussten sorgfältig auf dem Wagen geschichtet und später in der Scheune auf dem Getreideboden gelagert werden. Den Rest des Roggens würde sie morgen holen, dann war nur noch der Hafer zu mähen. Der Ernteanteil, der für die Einsaat des Wintergetreides bestimmt war, war im Nachbardorf, wo die Dreschmaschine stand, bereits ausgedroschen worden. Er rührte gedankenverloren in seiner kalt gewordenen Speise. Seit langem hegte er einen lebhaften Wunsch. Er liebte die Musik, am liebsten würde er einmal ein Instrument spielen. In Gedanken stellte er sich vor, dass er auf einem Podium stünde, eine Geige unter seinem Kinn und mit dem Bogen des Instruments märchenhafte Melodien zauberte. Das wäre so wunderbar... Dem Jungen waren die Augen zugefallen.

3. Es ist kalt geworden

Bis Oktober waren drei Kälber geboren worden, das tot geborene nicht mitgerechnet. Ein Stierkalb und zwei Kuhkälber. Das Stierkalb würde gemästet werden, die Kuhkälber waren zur Nachzucht bestimmt. Der Onkel war doch recht zufrieden gewesen zum Schluss.

Die Familie war nun bei der Kartoffelernte. Das waren auch harte Tage. Das Ausmachen der Feldfrüchte ging zwar mit dem Pflug vonstatten, aber das Auflesen musste von Hand getan werden. Es war eine ermüdende Arbeit, man hatte, um keine Zeit zu verlieren, Butterbrote und Kaffee in Blechkannen mitgenommen. Später, wenn das Feld gepflügt wäre, würden sie hinter dem Pflug noch einmal über das das Kartoffelfeld gehen, um die restlichen in der Erde gebliebenen und nun an die Oberfläche gelangten Kartoffeln abzusammeln. Jede einzelne Kartoffel war wertvoll, jeder Getreidehalm bedeutete Brot. Nichts wurde vergeudet, nichts weggeworfen. Die Luft war kalt, doch bei der Arbeit wurde einem warm. Plötzlich hielt sich Theres' den Rücken und jammerte leise vor sich hin. Sie hatte, wie schon oft, einen Hexenschuss davongetragen. Doch hielt sie tapfer durch bis zum Schluss. Auf solche Dinge wurde nicht viel Rücksicht genommen. Wenn ihre Hausmittel nicht helfen würden, führe man eben am Sonntag zum „Knochen-flicker". Der würde sie einrenken, und dann würde es irgendwann wohl einmal besser werden. Und das Beten half manchmal auch. Aber das Leben war doch manchmal hart, dachte die Tante so vor sich hin. Wenn die Kartoffeln nun geerntet wären, kämen die Rüben dran, und die Rübenernte war womöglich noch mühseliger. Das Grün der schweren Rüben wurden abgehackt, die Rüben auf einem großen Haufen zusammengetragen. Später würden sie wie die Kartoffeln in Mieten aufbewahrt und nach Bedarf nach Hause geholt. Es war eine Arbeit, die aber noch vor dem ersten Frost erledigt sein musste. Wenn das getan wäre, würde ihr Bruder den Mist auf die Haferfelder fahren, der große Misthaufen vor dem Haus würde sich nach und nach leeren. Danach würde er die Felder pflügen. Im nächsten Jahr, das wusste sie, würden auf dem Haferfeld Kartoffeln oder Rüben angebaut werden. Ergeben bückte sie sich wieder über die Kartoffeln. Die Kühe blieben so lange auf der Weide, wie es ging, manchmal bis in den November hinein, das sparte das teure Füttern im Stall. Auch wäre es mit dem Hüten nicht mehr so arg, nach dem Michaelistag durften sie laufen, da alles abgeerntet war und sie keinen Schaden mehr auf den nachbarlichen Feldern anrichten konnten.

4. Der Winter ist da

Jetzt war der Winter mit Macht gekommen und mit ihm der Frost. Im Advent wurde das Getreide ausgedroschen. Diese Arbeit wurde mit Nachbarschaftshilfe erledigt. Seinerseits würde man den Nachbarn auch wieder helfen, da alle verfügbaren Hände gebraucht wurden. Das Getreide musste wieder vom Scheunenboden geholt werden, fleißige Hände bedienten die Dreschmaschine, die einen Höllenlärm machte. In hellem Strom floss der Weizen in die Säcke, der Spreu wurde sorgsam zusammengefegt, er würde dann mit unter die Futterrüben für das Vieh gemischt, auch war er dazu bestimmt, die Matratzen der Betten neu zu stopfen. Nichts wurde vergeudet. Das Brotgetreide wurde auf dem Speicher aufbewahrt. In großen Haufen lag es dort und wurde nach Bedarf vom Müller abgeholt, der dann das Mehl für das zu backende Brot lieferte. Seinen Lohn zog er sich vom Getreide selbst ab, er wurde also in Naturalien bezahlt. Der Onkel stand im Hof und schaute für einen Augenblick nachdenklich auf die vielen Helfer, die bei der Dreschmaschine standen. Es war eine gute Ernte gewesen, dachte er. Ihn plagten heftige Schmerzen, die ihm sein Andenken aus dem Krieg immer wieder bescherte. Nun war Dezember, dachte er, nach Weihnachten würde man schlachten, er musste dem Metzger frühzeitig Bescheid geben, denn der Januar war der Monat, in dem auf fast jedem Hof geschlachtet wurde. Nach der Fleischbeschau würden die Frauen das Fleisch, die Würste, Speck und Schinken haltbar machen, durch Salzen, Pökeln, Räuchern, aber auch durch Einkochen in Gläsern, denn eine Tiefkühltruhe hatte man auf dem Hof noch nicht. Da waren die Frauen tagelang beschäftigt. Er selbst würde mit seinem Pferd im Gemeindewald arbeiten und beim Schleifen der gefällten Baumstämme helfen, die dann mittels eines Seilzuges von den Pferden langsam auf die langen flachen Transportwagen gezogen und mit den Gespannen bis zur Bahnstation gefahren wurden. Auch musste das Holz für den eigenen Bedarf im nächsten Winter geschlagen werden. Verschiedenes war zu reparieren, das hatte er sich auch schon vorgemerkt. Im Stall gab es im Winter auch viel mehr zu tun als im Sommer. Allein das Tränken der Tiere war sehr aufwändig. Da im Stall noch keine Wasserleitung lag, mussten die Kühe an die Viehtränke des Dorfes gebracht werden. Lag jedoch hoher Schnee oder herrschte Eisglätte, so war dies unmöglich; dann musste das Wasser in die Ställe gebracht werden. Das war ein mühevolles Schleppen. Für die Fütterung der Tiere musste jeden Tag das Heu vom Heuboden mittels eines Hakens gerupft werden, das konnte der Junge schon tun. Das Rupfen bedeutete eine Ersparnis, da man nicht ganze Haufen herunterwarf und somit sparsamer wirtschaften konnte. Dann musste Häcksel geschnitten und Rüben mit der Rübenmühle zerkleinert werden. Jeden Tag wurde natürlich der Stall ausgemistet, das neue Stroh sorgsam geschnitten und ausgestreut. Die Kühe bekamen zuerst Heu, dann Kraftfutter. Noch wurde dreimal am Tag gemolken. Johann wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Das Sinnieren brachte einen auch nicht weiter.

Theres' hockte abends auf ihrem Melkschemel neben einer Kuh und hatte den Kopf an die Flanke des Tieres gelegt. Sie war sterbensmüde. Außerdem machte die alte Mutter ihr Sorgen, der Arzt hatte keine Hoffnung auf eine Besserung ihres hinfälligen Zustandes gemacht. Seufzend trug sie den gefüllten Melkeimer ins Haus und seihte die Milch durch ein Tuch achtsam in die Milchkanne. Abends wollte sie noch Schafwolle spinnen, um Socken für ihren Bruder und den Jungen zu stricken. Da konnte man so schön seinen Gedanken nachhängen und sich ausruhen. Am Samstag würde sie den ganzen Tag im Wald sein, um „Schanzen" zu binden. Das trockene Reisig wurde aufgeschichtet und mit Kordel zu großen Bündeln verschnürt. Die Schanzen gaben dem Backofen rasch die erforderliche Hitze.

5. Das neue Jahr hat begonnen

Im Februar wurde stets die Kirmes gefeiert. Nach dem feierlichen Gottesdienst am Sonntagmorgen in der Dorfkirche erlaubte sogar der Onkel sich einen kleinen Frühschoppen in der Gastwirtschaft des Dorfes, während seine Frau mit hochrotem Kopf in der Küche stand und mit den Vorbereitungen zum Festessen beschäftigt war. Nach dem Schlachten war viel Fleischvorrat im Haus, das Gemüse war eingekocht, die Kartoffeln im Keller. Sie bereitete jedoch köstliche Nudeln zu, das war etwas Besonderes und gab es nicht alle Tage. Viele Gäste waren eingetroffen, die Brüder ihres Mannes mit ihren Frauen, ein Patenonkel aus dem Nachbarort und Besuch aus Köln, und es würde sogar ein Glas Moselwein getrunken werden. Am Nachmittag würde es Kuchen geben, sie hatte Unmengen von „Taat" gebacken, die flachen, mit vielerlei Obst belegten Kuchen. Sogar eine Buttercremetorte hatte sie vorbereitet. Wenn sie irgendetwas gut konnte, so war es das Kochen und das Backen. Sie war stolz auf ihre gute und reichhaltige Tafel an diesem Tag. Die Kirmes war einer der wenigen Ereignisse im Jahr, an denen man es sich gut gehen ließ, und der Aufwand war ihr nicht zuviel. Auch der Onkel war umgänglich in diesen Tagen und lachte ab und zu sogar. Doch ging ihm so manches durch den Kopf. Wenn der Februar vorbei war, begann auch wieder die Arbeit auf dem Feld: Auf den frostharten Boden würde dann die Jauche gefahren werden, und zwar auf die Felder, die für die Anpflanzung von Kartoffeln und Rüben bestimmt waren. Um den Josefstag herum, den 19. März, würde er mit der Sämaschine den Hafer und dorthinein den Klee säen. Der war als Viehfutter bestimmt und würde nach der Haferernte gemäht werden. Das wäre der Anfang, danach würde er wieder den Jahreszeiten gemäß säen und pflanzen. Alles der alt hergebrachten Ordnung nach. Aber für das kommende Jahr stand noch etwas Neues ins Haus: Die Familie wollte den Sommer über Feriengäste aufnehmen. Seine Frau hatte dies auch für eine sehr gute Idee gehalten, da kam Geld ins Haus, und vielleicht wäre sein Wunsch nach einem Traktor doch keine Illusion, sondern würde in absehbarer Zeit Realität werden. Auch hörte man von Höfen, auf denen bereits ein Selbstbinder angeschafft worden war. Damit wären die Frauen von der harten Arbeit des Gar-benbindens befreit. Solch eine Maschine könnte auch noch vermietet werden, würde folglich eine weitere Einnahme bedeuten. Das Leben auf dem Hof war nicht leicht, gewiss nicht, aber es schienen sich doch langfristig Perspektiven zu ergeben, von denen er früher nur geträumt hatte. Der Onkel zündete sich sein Pfeifchen an: Nun wollte er das Fest genießen.

6. Die Jahre sind vergangen

Der Onkel hat seine Pläne schließlich umsetzen können. Der Traktor und die Maschinen wurden angeschafft, nicht zuletzt auch möglich gemacht durch den Fleiß seiner Frau, die manchen Sommer hintereinander die Feriengäste versorgte und sich dadurch viel mehr Arbeit aufhalste, als sie ohnehin schon hatte. Der Junge nahm nach Beendigung seiner Schule eine Arbeitsstelle an. Auch sein Verdienst wurde in die Landwirtschaft gesteckt und eine Reihe von Jahren ging alles recht gut. Dann heiratete er und führte mit seiner Frau die Landwirtschaft noch einige Jahre im Nebenbetrieb weiter. Der Onkel litt sein Leben lang an den Folgen seiner Krankheit, die im vorgerückten Alter wieder ausbrach und ihm letztlich einen frühen Tod bescherte. Er wurde nur zweiundsechzig Jahre alt. In den siebziger Jahren war der Hof - wie so viele andere -nicht mehr wettbewerbsfähig. Eine Erweiterung war nicht möglich, der Betrieb wurde schließlich eingestellt. Von den Alten lebt nur noch die Gret'. Sie ist dreiundneunzig Jahre alt.