Die kleine Schauspielerin

Amanda Haagen, Salm

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Sie war gerade mal fünf Wochen alt. Mit der Versicherung, sie ist bereits stubenrein, durfte sie bei uns einziehen. Ihr geströmtes graugetigertes Fell schimmert zwischendurch fuchsrot. Wir tauften sie „Mandala". Als erstes zeigten wir ihr die Katzentoilette. Es dauerte nicht lange, und sie führte uns vor, wie man so etwas benützt. Selbstverständlich bekam sie ein großes Lob! Ihre Verspieltheit und Anhänglichkeit kennen keine Grenzen. Sitzen wir oben im Fernsehzimmer, ist ihr Platz meist neben mir auf dem Sofa. Mitunter ist ihr aber auch kein Schrank zu hoch. Mal sitzt sie da, mal dort, aber wehe, einer von uns geht hinunter, so kommt sie sofort hinterher.

Am späten Abend wird sie besonders lebendig. Um mit ihr zu spielen, muss ich mir einen Lederhandschuh und eine ebensolche Armstulpe überziehen, Mit zurückgelegten Ohren und mit wilden angrifflustigen Augen rennt sie drauf los und nimmt die Ledermaskerade strampelnd und beißend in die Zange. Von „Samtpfötchen" kann da keine Rede sein. An Gummibändern herumzappelnde Gegenstände erklärt sie, siegesge-wiss zu erobern. Sehr häufig bringt sie mir solche Spielsachen nachts mit ins Bett. Langsam erwacht ihr Jagdinstinkt. Kein Gartenzaun, kein Baum und kein Strauch in der Nachbarschaft ist ihr ein Hindernis. Laut schreiend bringt sie uns die ersten Mäuse an. Allmählich mussten wir daran denken, dass ihr der Nachbar-Kater gefährlich werden könnte. Nicht nur, dass wir sie gegen alle Katzenkrankheiten haben impfen lassen. Es wurde Zeit zur Sterilisation. Als wir sie nach der Operation wieder abholten, schlummerte sie vorläufig noch tief und fest. Der Tierarzt gab uns Anweisung: Transportkorb auf den Boden stellen, Gitter öffnen und in Ruhe lassen. Wir ließen sie trotzdem nicht aus den Augen. Langsam erwachte sie, und taumelnd verkroch sie sich unter dem Küchen-schrank. Sicher spielt sie beleidigt…

Nach dem Abendessen, nahmen wir sie vorsichtig mit nach oben ins Wohnzimmer. Da suchte sie sofort unter meinem Schreibtisch Schutz. Nach einer Weile versteckte sie sich hinter der bodenlangen Gardine. Mit ein paar Streicheleinheiten schob ich ihr ein Sofakissen unter. Das gefiel ihr dann aber auch nicht besonders. Sie versuchte, zu mir auf das Sofa zu kommen. Das schaffte sie nicht, so half ich ihr, wobei sie recht wehleidig miaute. Wieder gab sie sich nicht zufrieden, machte Anstalten, wieder auf den Boden zu kommen. So trug ich sie behutsam wieder dorthin, wo das Sofakissen lag. Als wir uns nach dem Fernsehprogramm ins Schlafzimmer begaben, konnte ich lange nicht einschlafen. Um Mitternacht stand ich noch mal auf um mich zu vergewissern, ob es ihr gut geht. Aber Mandala konnte ich nicht mehr finden. Alles und überall schaute ich nach, Mandala war nicht mehr da. Ich ging nach unten, kontrollierte die Terrassentür, alle Ecken und alle Möbel, auch die Kellertüre. Ich rief nach ihr — es regte sich nichts. So ging ich wieder nach oben, suchte auch da wieder alles durch. Mit einmal fiel mein umherirrender Blick auf den Wohnzimmerschrank. Da oben saß sie -zwischen den beiden kunsthandwerklichen Babypuppen. Mit großen Augen schaute sie mich an, als wollte sie sagen: „Was schreist du denn so, hast du keine Augen im Kopf. Hier ist doch auch einer meiner Lieblingsplätze." Ich war sprachlos! „Du kleine Schauspielerin. Die halbe Nacht lässt du dich bemitleiden, spielst die Beleidigte, spielst im ganzen Haus Verstecken mit mir , dass ich aus Sorge um dein Wohlbefinden nicht schlafen kann, und jetzt auf einmal - allein gelassen -bist du fähig da hoch zu springen; so, jetzt kommst du mit mir. Am oberen Ende meines Kopfkissens hast du auch einen Lieblingsplatz." Vorsichtig nahm ich sie mit mir und nun fanden wir alle unsere Ruhe. Am nächsten Tag benahm sie sich, als wäre nicht geschehen.

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Das „Lenze Haus" in Bodenbach

Erinnerungen aus den Nachkriegsjahren

Christine Kaula, Wipperfürth

Die Geschichte unserer Familie mütterlicherseits liegt metertief verwurzelt in den steinigen Äckern des Dorfes „Bodenbach über Adenau (Eifel)". So schrieben wir damals die Adresse auf den Umschlag, als man noch Briefe schrieb. „Lenze Haus". Für mich ist dieses Haus in Bodenbach in meinen Kindheitserinnerungen das verklärte Refugium einer unendlich langen Ferienzeit, das bedeutete unbeschränkte Freiheit, gutes Essen und täglich strahlende Sommersonne. Merkwürdig, dass mir die Regentage, die es doch gewiss auch gegeben hat, ganz entfallen sind.

Ein kleineres Gehöft, ein zweigeschossiger Fachwerkbau mit seitlich angeordneten Wirtschaftsgebäuden, links Scheune und Kuhstall, rechts Schweine- und Pferdestall und die Remise. Ein Dreiseithof, wohl zu Beginn des 18. Jahrhunderts erbaut, uralte Fotos zeigen ihn mit tief herunter gezogenem Dach. Später wurde es angehoben, das ist wohl in der Kindheit meiner Mutter geschehen, vielleicht, um Platz für die zahlreiche Nachkommenschaft zu schaffen. Alle vorhandenen Fotos zeigen das Haus in stets gleichem Stil, und dieses Erscheinungsbild ist trotz umfangreicher Restaurierungs- und Renovierungsmaßnahmen bis heute durchaus erhalten geblieben. Ich liebte das alte Haus über alle Maßen. Für mich als Kind war es riesig groß, hatte es doch viele Räume und einen großen Speicher, der alle Wunder der Welt barg. Meist benutzten wir nicht die frontseitig gelegene Haustüre, sondern den Eingang durch die so genannte „Futterküche", die gegenüber dem Kuhstall lag, und gerade an dieser Hausecke begegnete man den schönsten „Landgerüchen". Ich mochte den Geruch des Kuhstalls, von frisch gemolkener Milch, gerade aus dem Ofen gezogenem Brot, ja sogar den Geruch des großen Bottichs, wenn das Schweinefutter gekocht wurde. In der Futterküche wurde aber auch die Wäsche gekocht und gewaschen, damals natürlich alles noch per Hand und Wurzelbürste. Hinter der Futterküche lag ein weiterer Wirtschaftsraum, in dem die Milch bis zur Abholung durch das Milchauto gekühlt wurde. Dort befand sich auch der Backofen. Diese Räume hatten für mich eine unwiderstehliche Anziehungskraft. In meinen Kinderjahren wurde das Brot noch selbst gebacken, diese Aufgabe oblag den beiden Tanten, von denen die eine am Vorabend des Backtags den Teig vorbereitete, die andere das Brot am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe buk. Da waren wir Kinder auch zeitig aus dem Bett, um dabei sein zu können, wenn das mächtige Feuer im „Backes" loderte. „Hexenfeuer" sagten wir dazu. Spannend wurde es, wenn alles heruntergebrannt war, und die Tante die Asche herauskehrte. Der Teig wurde dann portioniert und in länglich geflochtene Körbe gelegt. Diese Laibe wurden auf einen langen Holzschieber umgestülpt und nacheinander in den tiefen Backraum geschoben. Wenn das Brot dann fertig gebacken und duftend aus dem Ofen herausgeholt worden war, hatte die andere Tante bereits Brötchen und Kuchen (die „Taat") vorbereitet, und die Resthitze reichte aus, um diese Köstlichkeiten zu garen. Jahrelang habe ich es bedauert, als das Brotbacken dann aufgegeben worden war. Durch diese Wirtschaftsräume gelangte man dann in eine kleine Kochküche, in der wochentags auch das Frühstück und manchmal, während der Erntezeit, ein rasches Mittagessen eingenommen wurde. Der Onkel und die Tanten waren schon lange auf und hatten ihre Pflichten in Haus und Stall längst erledigt, wenn wir Ferienkinder zum Frühstück erschienen. Alles, was auf dem Tisch stand, war selbst hergestellt, das Brot, die Butter, Marmelade, Wurst und Schinken.

Das Buttern mussten wir Kinder manches Mal erledigen, ich weiß noch, dass mir diese Aufgabe zuwider war. Über eine Stunde auf der Bank unter dem Küchenfenster still sitzen und die Kurbel drehen, das war nichts für mich. Wie war ich jedes Mal selig, wenn die Sahne immer dicker wurde, dann klumpte und die Tante endlich die Butter fertig kneten und salzen konnte. Heute noch sehe ich die Familie versammelt beim Morgengebet, denn es wurde nie versäumt, vor und nach den Mahlzeiten zu beten. Freilich muss ich gestehen, dass mir die Gebete manches Mal zu lange währten, bis wir essen und danach hinaus durften. Durch die Kochküche ging man durch eine Schiebetür in die Stube. Da ich von unserem Haus in Köln nur kleine Räume gewohnt war, schien sie mir sehr geräumig zu sein. An einen großen Tisch kann ich mich erinnern, einen Vitrinen-schrank, einen Rollschrank, den der Onkel immer sorgfältig verschloss, er barg wohl Dokumente und das Bargeld, das im Haus war, und mit dem er sehr behutsam umging, und eine Couch. Ein großes Kreuz an der Wand und ein reliefartiges geschnitztes Bild der Heiligen Familie - ein uralter Familienbesitz, vielleicht von einem Urahnen selbst geschnitzt - vervollständigten die Einrichtung. Durch die Fenster schaute man in den Hof hinaus, geradewegs auf den Misthaufen. Die Stube war gemütlich und hatte eine heimelige Atmosphäre. Ich erinnere mich, dass mir eines Tages, als mich ein heftiges Gewitter beim Kühe hüten auf einer weit abgelegenen Weide überraschte, und mich eine Tante heimholte, weil ich starr vor Gewitterangst den Heimweg nicht antreten konnte, dieser Raum, als wir endlich zu Hause waren, wie eine himmlische Bastion erschien. Die Feldarbeit war abgebrochen worden, die Familienmitglieder hatten sich in der Stube versammelt, eine Kerze brannte und man sprach Gebete - wohl, damit Gott die Ernte vor Schaden schützen möge. Es war sicher, nicht nur in meiner Erinnerung, ein wirklich heftiges Gewitter gewesen. Auf der anderen Seite des Hausflurs, in den man aus der Stubentür hinaus gelangte, und an dessen Ende sich die eigentliche Haustür befand, lag noch ein kleines Wohnzimmer, das von der Familie nie benutzt wurde. Ein Tisch, mehrere Stühle und ein kleines „Vertiko" bildeten die Einrichtung dieses Raumes. Im Sommer war dies Speisezimmer und Aufenthaltsraum der Feriengäste, denn die Familie beherbergte und beköstigte während des Sommers auch Urlauber, die es sich schon in der damaligen Zeit leisten konnten, bezahlte Ferien zu machen. Das war aber noch weit vor dem so genannten Mallorca-Boom. Ich habe mich immer gefragt, warum wir Kinder, obwohl das Haus im Juli und August immer bis unters Dach voll belegt war, dennoch unsere Ferien dort verbringen durften. Irgendwie wurde es aber immer möglich gemacht.

Durch den Hausflur gelangte man in den rechten Flügel des Hauses, dort wurde ein weiterer Wirtschaftsraum als Vorratsraum genutzt. Darin standen das Eingemachte für den Winter, die Zentrifuge und wohl etliches Hauswirtschaftsgerät. Die Zentrifuge durfte ich manches Mal bedienen. Es ist mir stets rätselhaft geblieben, wie diese Maschine es zuwege brachte, dass die Milch sich teilte und auf der einen Seite durch einen Auslauf als Magermilch, auf der anderen Seite dagegen als Sahne herauskam. Die Magermilch bekamen die Schweine, und die Sahne war fett und gelblich. Neben diesem Raum lag die Werkstatt des Onkels mit einer Hobelbank und Werkzeugen, die der Reparatur von Gerätschaften und Maschinen diente. Er sah es nicht gern, wenn wir uns dort aufhielten, er war wohl besorgt, dass wir uns verletzen könnten. Durch die Werkstatt gelangte man in den Pferdestall. Dort befanden sich, soweit ich mich besinnen kann, zwei Boxen. Ich kann mich jedoch nur noch an ein Pferd erinnern, „Max" wurde es gerufen, und ich hatte ziemlichen Respekt vor dem großen Tier. Wie habe ich meinen Bruder bewundert, wenn er, zwölfjährig erst, hoch auf die Zwischenwand der Boxen hinaufkletterte, um das Pferd anzuschirren, da er noch nicht groß genug war, um dies vom Boden aus zu tun. Im ersten Stock lagen die Schlafräume; mein Bruder hatte links vom Treppenaufgang ein eigenes kleines Zimmer, um das ich ihn lebhaft beneidet habe. Dergleichen hatte ich in Köln nicht. Die unverheiratete Tante bewohnte ein Zimmer, das links am Aufgang zum Speicher lag. Bei ihr wurden wir Kinder einquartiert. Später, als keine Feriengäste mehr kamen, wohl, weil „Ferien auf dem Bauernhof“ nicht mehr modern waren, durften wir einen separaten Schlafraum beziehen. Aber es war schön gewesen, bei der Tante zu schlafen. Der Speicher war eine unendliche Fundgrube, und es war auch nicht verboten, sich dort aufzuhalten. Es gab alte Bilder, Spinnräder, Truhen und viele andere geheimnisvolle Dinge zu entdecken. Dort befand sich auch der Rauchfang mit den bereits erwähnten nahrhaften Schinken. Ich erinnere mich auch noch gut daran, dass ich die Tante manchmal begleitete, wenn sie vom großen Schinken im Rauchfang ein deftiges Stück absäbelte. Nie wieder habe ich so guten Schinken gegessen. Auch waren dort Weizen und Roggen in großen Haufen aufgeschüttet, und die Katze hielt die Mäuseplage klein. Heute noch spüre ich die Sommerhitze in der vor Staub flirrenden Luft des Speichers, die uns doch bald wieder in kühlere Bereiche des Hauses vertrieb. Ach, es waren köstliche Tage, die wir armen Geschwisterkinder aus dem fernen „Kölle" in dem alten Haus verbringen durften. Nun sind sie unwiederbringlich dahin, aber wir haben wohl nie so recht erfassen können, wie groß der Einsatz der Familie jahrzehntelang gewesen sein muss, um einen solchen Hof nach dem Krieg, als die Männer heimgekehrt waren, wieder einigermaßen ertragreich zu machen. Wir sahen nur die Ergebnisse der Arbeit, für uns war das Heumachen ein Spiel, das Mähen und Einbringen der Ernte Zeitvertreib. „Lenze Haus". Wie viele Generationen mag es wohl beherbergt haben, das alte Haus, wie viele Kinder sind dort wohl geboren worden, wie viele Alte gestorben? Arbeitsam waren die Menschen, das weiß ich, und sie gingen ernsthaft ihrem Tagewerk nach. Sie hatten ihren eigenen Stolz, besaßen aber auch eine tiefe Frömmigkeit. Arbeit und Kirche, das ging Hand in Hand. Bei aller Plage verstanden sie es aber, uns Kindern immer unbeschwerte Ferien zu ermöglichen. „Lenze Haus" wurde zu einem Heim durch die Menschen, die darin lebten und durch ihre Menschlichkeit und Wärme diesem Haus seine Atmosphäre gaben.