Hausgeschichten aus der Vulkaneifel

Das alte Haus der Amerika-Heimkehrer

Sibylle Bauer und Gerd Ostermann, Birgel

Wer einen Rundgang durch Mehren macht, dem fällt das unauffällige Haus an der Stei-ninger Strasse 30 nicht unbedingt gleich auf. Die Fassade ist erkennbar aus dem Ende des 19. Jahrhundert, der Kern des Hauses entpuppte sich aber als weitaus älter. Einen Hinweis gab schon das Urkataster von 1822: hier ist das Haus bereits eingetragen und gehörte damals mit einem dahinter stehenden Nebengebäude zu einem kleinen Parallelhof im ältesten Teil von Mehren.

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Mehren, Steining er straße 30. Das zweistöckige Haus mit einer Fassade aus dem Ende des 19. Jahrhunderts (Sept. 2000)

Von außen unauffällig

Das zweistöckige Wohnhaus erhebt sich auf einer fast quadratischen Grundfläche von rund 47 m2 (6,7 x 7,0 m). Das Erdgeschoss ist massiv aus Bruchstein gemauert, im I. Obergeschoss bestehen die beiden Giebelseiten ebenfalls aus Bruchsteinmauerwerk, während die südliche Traufe und die beiden Giebel in schlichtem Riegelfachwerk mit Fußstreben ausgeführt wurden. Die nördliche, straßenseitige Traufe haben die damaligen, neuen Eigentümer aus Amerika dem Geschmack der Zeit um 1900 entsprechend als dreiachsig gegliederte Fassade komplett in Stein neu aufgemauert, verputzt und das Dach auf dieser Seite 75 cm angehoben. Demgegenüber sind die Fenster auf der Süd- und der Ostseite noch nicht axial angeordnet.

Von innen altertümlich

Im Inneren finden wir ein einraumtiefes Eifeler Flurküchenhaus, d.h. man tritt von der Strasse und vom Hof aus direkt in die Küche mit dem großen Rauchfang. Die Flurküche nimmt die ganze Westhälfte des Hauses ein, von hier aus führen Treppen und Türen in alle anderen Hausteile. Hinter der Küche lag ursprünglich wohl nur eine Stube, heute sind es zwei. Der jetzt erhaltene Kamin an

der mächtigen Brandmauer wurde anscheinend nachträglich anstelle eines größeren eingebaut. Die für die Eifel so typische und allgemein übliche Takenheizung, die eine rauchfreie, geheizte Stube ermöglichte, fehlt hier. Ein Kriechkeller unter der Stube ergänzt die Lagermöglichkeiten.

In die zwei Räume im Obergeschoss gelangt man über eine einläufige Treppe wohl aus dem 19. Jahrhundert. Das offene Dachgeschoss darüber diente als Lagerraum. Das Pfettendach zeigt eine interessante, ganz und gar unübliche Stützkonstruktion der

Firstpfette mit Säulen und eingezapften Fußstreben.

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Mehren, Steiningerstraße 30. Fachwerk- und Massivbauweise aus dem Jahr 1608 (Juli 2004)

Wie alt ist das Haus tatsächlich?

Das Haus ist vom Bautyp altertümlich, aber recht schlicht und bescheiden ohne Schmuckelemente. Auffällig war nur die Dachkonstruktion. So fehlte ein konkreter Anhaltspunkt für die Bauzeit, die man im späten 17. oder frühen 18. Jahrhundert vermutete. In solchen Fällen kann die Dendrochronologie jahrgenauen Aufschluss über die Bauzeit eines Hauses geben. Anhand der Jahrringbreiten wird die Fällungszeit des in jedem älteren Haus verwandten Bauholzes auf das Jahr genau datiert und so die Bauzeit eines Hauses naturwissenschaftlich exakt und sehr viel genauer erfasst, als dies mit stilistischen Überlegungen möglich ist. Deshalb hat in Mehren der Bauherr G. Ostermann die Unterzeichnende mit der den-drochronologischen Altersbe-

stimmung zentraler Bauteile beauftragt: zwei Balkenscheiben von der Firstpfette und dem südöstlichen Eckständer im 1.OG - beide mit langen Jahrringfolgen - wurden untersucht. Der Eckständer besaß neben 159 Jahrringen noch eine Winterwaldkante, d.h. der letzte Jahrring vor der Fällung war an dieser Probe noch erhalten und vollständig ausgebildet. Die Jahrringfolge konnte auf verschiedene Chronologien aus dem süd- und westdeutschen Raum und aus Belgien sicher datiert werden. Und das Ergebnis überraschte: nach Ende der Vegetationsphase wurde der Baum im Winter 1607/08 gefällt und danach zu Bauholz aufgespalten und zugeschlagen. Die andere Probe war am äußeren Ende abgearbeitet, deshalb konnte das Fällungsjahr nicht mehr erfasst werden. Die Jahrringfolge ist aber sicher datiert und endet 1555. Die für die Konstruktion des Hauses zentralen Bauteile Eckständer und Firstbalken waren weder zweitverwendet noch erkennbar ersetzt worden, deshalb datiert das Bauholz den Hausbau in das Jahr 1608 und somit in eine Zeit, die man anderenorts mit der späten Renaissance in Verbindung bringt. Vor fast 400 Jahren entstand dieses bescheidene Bauernhaus in Mehren. Um den Zeithorizont zu verdeutlichen: 6 Jahre später - 1614 - begann Erzbischof Lothar von Metternich mit dem Bau der Kurfürstlichen Residenz (Ostflügel) in Trier.

Das älteste Bauernhaus von Mehren

So gehört das Haus nun überraschend zu den ältesten, noch erhaltenen Gebäuden in Mehren: derzeit älter ist nur der spätgotische Chor der alten Pfarrkirche St. Matthias aus dem Jahr 1534, der heute in den Neubau der Kirche integriert ist.

Das relativ kleine, einraum-tiefe Flurküchenhaus gehört zu den älteren in der Eifel noch erhaltenen Hausformen. Diese kleinen würfelförmigen Häuser finden sich bei genauerem Hinsehen noch in einiger Zahl, auch wenn sie bislang nur selten in der Literatur auftauchen. Dies liegt wohl zu einem großen Teil daran, daß man das Alter und die historische Bedeutung dieser bescheidenen Häuser ohne dendro-chronologische Untersuchung kaum erkennen kann und ihnen deshalb auch keine besondere Aufmerksamkeit widmet. Deshalb kann man in den Eifeler Dörfern durchaus noch Überraschungen erleben.

Beispiele finden sich z.B. in Gladbach: dort steht ein wohl ebenfalls einraumtiefes, zweigeschossiges Flurküchenhaus ohne axiale Fassadengliederung, das vollständig aus Bruchsteinmauerwerk auf gemauert war. Nach Aussagen von Schrift quellen soll dieses Haus ein Landwirt für seine 12-köpfige Familie im Jahr 1797 erbaut haben. Ein ebenfalls massives, zweistöckiges Flurküchenhaus von Röhl, Hüttingerstr. 1 datiert man in die Zeit um 1710,

heute ist es Teil eines größeren Wohngebäudes. Ein Beispiel für die Kombination von Fachwerk- und Massivbau steht in Bettenfeld, VG Manderscheid. Hier stecken im alten Pfarrhaus zwei kleine Flurküchenhäuser, die im Jahr 1680 ein gemeinsames Fachwerkgeschoss samt Dach erhielten. Ein alleinstehendes einraumtiefes Taglöhnerhaus datiert in die Zeit um 1710. In dieser Gruppe der kleinen, einraumtiefen Flurküchenhäuser ist das Mehrener Haus anzusiedeln, dabei ist es derzeit das älteste dendrodatierte Exemplar in der Eifel. Im Moseltal dagegen finden sich noch ältere Vertreter dieser Hausform auch hier mit einer Mischung von Massiv- und Fachwerkbau.

Im Sturm der Zeiten

Zählte Mehren im Jahre 1587 36 Feuerstellen, so waren es 1653 immer noch 37. Somit scheint der Ort die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges einwohner- und gebäudemäßig besser überstanden zu haben als benachbarte Siedlungen. Auch das gerade erst errichtete kleine Flurküchenhaus hat wohl Glück gehabt in diesen turbulenten Zeiten.

Am 8. August 1795 wurde Mehren von französischen Revolutionstruppen besetzt und wenige Jahre später dem französischen Staat angegliedert.

Dem großen Dorfbrand in Mehren am Fronleichnamstage dem 4. Juni 1847 fielen 98 Wohnhäuser mit Scheunen und Stallungen zum Opfer.

600 Menschen wurden obdachlos. Nur 39 Privatwohnungen, sowie Kirche, Pfarrhaus und Schule blieben verschont. Viele Häuser wurden danach häufig in Massivbauweise wieder aufgebaut. „Die Zeit der Lehmbauten und Strohdächer war vorbei" (SPIEGEL 1964). Anders jedoch im unteren Teil der Steininger Straße - auch „Inner-Ollen" genannt. Hier blieb vermutlich eine ganze Baugruppe vom Feuer verschont und in alten Aufnahmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind noch einige Strohdächer und Fachwerkbauten erkennbar. Auch von den Bombenangriffen und dem Ende des 2. Weltkrieges wurde das Haus verschont. Amerikanische Truppen besetzten am 6. März nahezu kampflos den Ort.

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Familienfoto der Familie Greis mit Verwandten und Bekannten vor dem Hauseingang (Aufnahme etwa 1929)

Auswanderung

In Familienbesitz gelangte das Haus erst über einen großen Umweg. Die Urgroßeltern Jakob Greis aus Udler und Margarethe Greis geb. Zimmer aus Saxler verloren Haus und Hof in Saxler durch einen Brand, der durch die Fahrlässigkeit eines einquartierten Schäfers verursacht wurde. Sie entschlossen sich 1892 zur Auswanderung nach Amerika. Mit ihren fünf Kindern gelangten sie über Rotterdam und New York nach Chicago. Der 1889 geborene Großvater Johann Greis war zu diesem Zeitpunkt mit drei Jahren das jüngste Familienmitglied. Um die Jahrhundertwende war Chicago ein Zentrum der amerikanischen Fleischverarbeitung. Eltern und ältere Kinder finden im Laufe der Zeit Beschäftigung an den Schlachthöfen der Stadt und sparen für eine kleine Farm auf dem Lande.

Heimweh und Neuanfang

Bei Streiks in den Schlachthöfen wird Jakob Greis von Streikposten als vermeintlicher Streikbrecher verprügelt. Ihn überfällt heftiges Heimweh und er möchte wieder zurück in die alte Heimat. Nach neun Jahren Amerika-Aufenthalt werden alle Ersparnisse in die Rückreise gesteckt und die gesamte Familie, auch die bereits volljährigen Kinder, müssen mit zurückfahren. 1901 erreichen sie nach 12 Tagen auf See wieder den alten Kontinent und quartieren sich zunächst in Mehren in der Baracke von Katharina Zimmer („Zimmer-Tant" - der Schwägerin von Margarethe Greis) ein. Die Familie kauft mit ihrem Ersparten das benachbarte Haus in der Steininger Straße, 10 Morgen Land und eine Kuh. Zu diesem Zeitpunkt wird auch die Straßenseite des Gebäudes erneuert (s. Bericht Bauer).

Sohn Johann Greis und dessen Frau Katharina übernehmen später das Haus und ziehen hier ihre beiden Kinder Nikolaus und Franziska groß.

Nikolaus Greis lebt heute in einem Nachbarhaus in der Steiningerstrasse. Etwa 1970 wird das Haus mit Ökonomiegebäude an den benachbarten Landwirt verkauft. Seitdem wurde das Wohngebäude vorwiegend als Lagerraum und Werkstatt genutzt. Stall, Scheune und Mistplatte dienten hingegen landwirtschaftlichen Zwecken. Gut bekannt dürfte den Mehrenern noch die „Schubkarrenparade" vor dem angrenzenden Misthaufen sein.

Nachdem die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr notwendig war, gelangte das Gebäude im Jahr 2000 wieder zurück in Familienbesitz. Im gleichen Jahr erfolgte die Ausweisung als Baudenkmal. Die Restaurierung begann...

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Pläne: Dipl. Ing. R. Thelen, Mehren

Erhalt der Tradition und Anpassung an die Moderne

Die Restaurierung war geprägt von dem Gedanken, Gestalt, Charakter und Baustoffe des alten Hauses zu erhalten und gleichzeitig modernen Wohnansprüchen anzupassen. Unterstützt von der Dorferneuerung, der Denkmalpflege und dem beratenden Architekten Roland Thelen wurden möglichst konsequent die historischen Baumaterialien Holz, Lehm, Naturstein und Kalk verwendet bzw. wiederverwendet. Hinzu kamen natürliche Dämmmaterialien wie Hanfund Schilfrohr. Die alte Raumaufteilung blieb erhalten. Die Räume erhielten aber zum Teil neue Funktionen. Die Flurküche wurde zur reinen Diele, die gute Stube wurde Küche und Badezimmer. Der vorher nur als Getreidelager genutzte Speicher wurde zu Wohnzwecken ausgebaut.

Die alte Dacheindeckung mit Hohlziegelpfannen („Schottelpannen") in Kombination mit Schiefer blieb erhalten. Feuchteschäden am Dachstuhl, Deckenbalken und Fachwerk wurden beseitigt, ein verschütteter Kriechkeller wieder freigelegt. Zugemauerte Fenster wurden wieder geöffnet. Der offene Kamin ist als zentrales Element des Hausinneren erhalten geblieben. Lehm fand Verwendung bei der Ausmauerung des Fachwerkes, dem Innenputz und den Deckenfüllungen. Kombiniert wurde die Restaurierung mit einer kompletten Neuinstallation der Heizungsanlage, Sanitäreinrichtungen und moderner Elektroinstallation.

Die Außenanlagen wurden entsiegelt und als einfache Hof anlage mit Bauerngarten umgestaltet. Nach vier Jahren Arbeit wurde die Restaurierung im Herbst 2004 abgeschlossen und am Tag des offenen Denkmales der Öffentlichkeit präsentiert.

Unerwartet zeugt unser kleines Flurküchenhaus von einer fast vierhundertjährigen Geschichte, aber auch von den Lebensbedingungen der Eife-ler Bauernfamilien bis ins 20. Jahrhundert hinein. Unbeschadet überstand es die Stürme der Zeit, vom 30-jährigen Krieg, über den pfälzischen Erbfolgekrieg, die napoleonischen Kriege bis hin zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Gescheitert wäre das Haus fast an den Anforderungen des 21. Jahrhunderts, doch nach seiner Renovierung ist es auch für die neue Zeit gerüstet und bietet nun den Wohnkomfort, auf den wir nicht mehr verzichten möchten.

Literatur:

Alles unter einem Dach? Die Hauslandschaft in der deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzregion. Schriften des Volkskunde- und Freilichtmuseums Roscheider Hof, Konz, 2001.

S. Bauer, Auf Spurensuche in Bettenfeld - Hausforschung in einem ehemaligen Bauerndorf der Vulkaneifel, Jahrbuch Bernkastel-Wittlich 2004, 164ff.

K. Freckmann, Das Bürgerhaus in Trier und an der Mosel. Das deutsche Bürgerhaus Bd. 32, 1984. E. Hollstein, Mitteleuropäische Eichenchronologie. Trierer Grabungen und Forschungen Bd. XI, 1980. M.-L. Niewodniczanska, Neue Nutzung in alten Gebäuden (ohne Jahreszahl) 21f, 70f.

B. Schmidt/K. Freckmann (Hrsg.), Kleine Hausgeschichte des Mosellandschaft, Schriftenreihe zur Dendro-chronologie und Bauforschung Bd. 1, 1990.

R. & M. M. Spiegl, Mehren im Wandel der Zeiten. Mskr. 1964.