Ein genialer Reeder und sein Schiff namens Gerolstein

Faszination Atlantikschiffe

Wilma Herzog, Gerolstein

Wer je mit einem der mächtigsten Schiffe der Welt den Atlantik überquerte, das ihm, so weit entfernt vom Festland, über den eisigkalten todbringenden Tiefen des Ozeans, Boden unter den Füßen, ein Stück schwimmender Erdenheimat bot, bleibt lebenslang fasziniert von Schiffen und was damit verbunden ist. Auch in der so weit vom Meer entfernten Eifel. Darum ließ ich es mir in einem Urlaub nicht nehmen, das Wrack der „SS America“, des Schwesterschiffs der „SS United States“, mit dem ich 1958 nach New York auswanderte (wie beschrieben im Jahrbuch des Kreises Daun), an der Küste von Fuerteven-tura zu suchen, jenseits allen Touristentreibens. Mein Mann und ich riskierten dafür, mit unserem Leihwagen durch unwegsames militärisches Panzerübungsgelände zu fuhrwerken. Die unmarkierten Pisten ähnelten sich alle. Die Luft flimmerte in glühender Hitze, gewaltige Staubwolken stiegen hinter uns auf. Kein Lebewesen weit und breit. Und wir waren unterwegs ohne Trinkwasser, Ersatzkanister und Handy! Panik schlich sich an mich heran. Wenn wir uns verfahren? Wenn der Sprit ausgeht? Aber du wolltest doch unbedingt zur „America“! Mein Mann fuhr weiter. Nach schier endlosem Ausweichen um Geröllbrocken sahen wir sie endlich von fern. Auseinandergebrochen, als rostiges Wrack, gegen das sich gichtige Wogen brachen. Schnell machte ich ein Erinnerungsfoto vom einstigen Schiffsriesen, dann suchten wir den Weg hinaus aus dieser Mondlandschaft. Ein trauriges Wiedersehen mit der „America“, die ich einst im Hafen von New York noch bestaunt hatte. Ihr Schicksal seit 1994 ist, statt Menschen heil über den Ozean zu bringen, Ziel zu sein für militärische Schießübungen. In der kleinen Dorfkneipe, wo wir endlich den Durst löschten, gab es ein als Fenster eingebautes Messingbullauge und eine dekorative Lampe, die gar nicht ins Umfeld passten. Sie waren, wie das gesamte Innere des Schiffes in waghalsigen Aktionen von den Insulanern aus der „America“ ausgebaut worden.

Die „Gerolstein“ von J.F. Van Payvelde

Doch gibt es neben dieser traurigen Begegnung eine ganz unerwartete Überraschung im Zusammenhang mit Atlantikschiffen zu schildern. Meine Tochter, als Kind oft genug mit uns zur Verabschiedung oder Begrüßung von Verwandten und Freunden an den New Yorker Piers dabei, wo die stolzen Atlantikschiffe anlegten, teilt mit mir das Interesse für Überseeschiffe. Hin und wieder überrascht sie mich mit Interessantem aus dem Internet, wie dem Signalton „meines“ Schiffes der „SS United Sta-tes“. Ein anderes Mal war es ein höchst spannendes Buch, 2001 herausgegeben vom Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven: Arnold Bernstein - Von Breslau über Hamburg nach New York. Erstmals gab es in deutscher Sprache ein Buch über die bewegte Lebensgeschichte eines der erfolgreichsten und kreativsten Reeder zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg, ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument. Bernstein, 1888 in Breslau geboren, kam mit 22 Jahren nach Hamburg. Seine Reederei gründete er 1926. Er war ein außerordentlich talentierter junger Mann, der bald einen Vertrag mit der Erie Railroad abschloss, einer amerikanischen Eisenbahnlinie, die sich darauf spezialisiert hatte, amerikanische Autos nach Europa zu transportieren. Mit großem Einfallsreichtum revolutionierte Arnold Bernstein den Autotransport per Schiff, indem er die Autos ohne die üblichen Holzkisten, also unverpackt und damit preiswerter als die Konkurrenz, zur besten Zufriedenheit seiner Kunden von USA nach Europa brachte. Das Buch enthielt etwas, das die Leser des Kreisjahrbuches sicherlich interessiert: Eins der Frachtschiffe seiner Bernstein Linie, Hamburg war die Gerolstein. Sie befuhr von 1928 bis 1939 regelmäßig den Atlantik zwischen Antwerpen und New York. Sie wurde 1904 in Belfast von Harland Wolff, gebaut. Hier einige Schiffsdaten: 6845 BRT/8540tdw / 138,30 m Länge / 17,17 m Breite. Zwei IV-Exp.-Dampf-maschinen, 4500 PSi, 2 Schrauben, 13 Knoten. Ab 1933: 7679 BRT, 190 Passagiere in 85 Kabinen, Besatzung 114.

 

Mittagskarte auf dem Passagierdampfer „Gerolstein“ 1935. Auf der Rückseite der Speisekarte fand der Gast das Musikprogramm.


Die amerikanische Depression wirkte sich zunehmend - und 1931 bereits stark - auf Europa aus. Das schlug sich auch auf die Autoindustrie nieder. Neue Importquoten und Zölle wurden schwer zu überbrückenden Barrieren seine Frachtschiffe auszulasten. Bernstein sah sein Transportgeschäft zusehends unrentabel werden. Das brachte ihn auf eine fundamental neue Idee, für die er zunächst nur Kopfschütteln erntete. Denn er plante 1933 seine Frachtschiffe in Passagierschiffe umzubauen und zwar in ein-klassige. Ihm war klar, mit den eingeführten großen Schiffslinien und ihren drei Klassensystemen konnte er nicht konkurrieren. Er ließ also mit großer Begeisterung seine Schiffe zu einer einzigen Klasse umbauen, ausgestattet mit modernsten attraktiven Einrichtungen und bequemen Möbel. Nur die beste Schiffslage, das Oberdeck, war für Passagierkabinen vorgesehen, alle lagen außen und mittschiffs, mit zwei Betten nebeneinander. Es gab fließendes heißes und kaltes Wasser in jeder Kabine. Die Strecke Hamburg - New York - Hamburg bot er für 145 Dollar an. Reisende konnten für nur 120 Dollar ihre Autos mitnehmen, während die etablierten Passagierlinien nur wenige Plätze für Autos offerierten, deren Transport alleine sich schon auf 400 bis 500 Dollars belief. Auf ihrer Jungfernfahrt erwartete Bernstein voller Aufregung die Gerolstein im Hafen von New York. Zwar war das Schiff zunächst ausgebucht gewesen, doch viele Reisende stornierten dann doch, denn sie befürchteten für so wenig Geld keine anständige Unterkunft zu bekommen. Die Gerolstein blieb einige Tage in New York am
Pier. Während dieser Zeit strömten mehr als 1000 Menschen herbei und besichtigten die hellen freundlichen Kabinen und die geschmackvoll eingerichteten Gesellschaftsräume.

Dann wird noch ein kleines Malheur auf der Gerolstein beschrieben, das Arnold Bernstein wortgewandt mit viel Humor zu mildern wusste. Ab der Zeit war das Schiff immer voll ausgebucht und fuhr höchst zufriedene Touristen über den Atlantik. Als ich mir beim Weiterlesen noch wünschte, mit dem Schiff selbst einmal gefahren zu sein, und dann hoffte, irgendeinen Hinweis zu finden, warum der Reeder dieses Schiff auf den Namen meines Heimatstädtchens taufte, da war ich bereits bei der Tragödie jener Zeit angelangt, die auch Arnold Bernstein und seine Familie mit aller Härte traf. Denn unter der Naziherrschaft kam er 1937 als Nicht-arischer“ ins Gefängnis. Zwei Jahre später, 1939, musste er seine Schiffslinie Bernstein (Red Star) Line aufgeben, seine Firma wurde aufgelöst. Die H.C. Horn Gesellschaft kaufte die Gerolstein und nannte das Schiff Consul Horn. Im Juli 1942 wurde die einstige Gerolstein bei Borkum durch Minen versenkt. Ich war froh zu erfahren, dass sich Arnold Bernstein mit seiner Frau und den beiden Kindern nach New York retten konnte. Am 1. September 1939 begann dort für sie ein neues Leben. Dieser geniale Geschäftsmann und Reeder starb 1971. Ob wir damals in den 1960-ern diesem Mann irgendwo an den Piers von New York begegneten, als wir inmitten der unzähligen anderen Interessierten, mit froher Spannung die Ankunft der Schiffsriesen aus Europa erwarteten?

,

Titelseite einer Werbebroschüre 1935 (Staatsarchiv Hamburg)

Quelle:
Arnold Bernstein, von Breslau über Hamburg nach New York. Die Fotos dürfen mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven, im Jahrbuch des Kreises Daun veröffentlicht werden.