Pilger

Claudia Howard, Leudersdorf

Ich stehe auf einem großen, offenen Hof in einem kleinen Eifeldorf und beschlage ein Pferd. Man kann den Hof von der Straße aus gut einsehen, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich bald von einem Kreis neugieriger Männer umgeben bin. „Wat is dat denn? N’ Froulück wat Pere beslan?!“ Sie können es nicht fassen. Ich hantiere da mit Feuer, Amboss und Hammer, als wäre ich Hephaistos persönlich. Sogar den Pferdefuß klemme ich mir zwischen die Beine. Kein Mann da, der mir das Pferd aufhält. Überhaupt ist kein Mann da. Und wo ist der Schmied?! Nun, der Schmied bin ich selber. Das übersteigt im Allgemeinen das männliche Fassungsvermögen, und zwar nicht nur des Eifeler Bauern, nein, in der Stadt ist das genau so. Aber ich mag die Ei-feler Bauern, und so legen sich auch meist so ziemlich bald das Misstrauen und die Fassungslosigkeit. Schließlich bin ich Schweizerin, da ist alles möglich. Ich genieße sozusagen ein wenig Narrenfreiheit. Und selbst wenn eine Landesgrenze und unterschiedliche Sprachen uns trennen: Bergler bleibt Bergler. Man versteht sich.

Während ich so vor mich hin hämmere und versuche, Gesprächsfetzen des heimischen Dialektes zu verstehen (schließlich ist Frau neugierig und möchte schon wissen, was die Herren da über mich und meine Kunst reden -) nähern sich seltsame Geräusche: Ein Murmeln und Singsang, untermalt vom gleichmäßigen Taktschlag langsamer Schritte, nähern sich, allmählich lauter werdend, meinem Arbeitsplatz. Noch kann ich nichts sehen, weiß mit den Geräuschen nichts anzufangen. Doch dann sind sie da. Die Straße entlang kommt gemächlichen Schrittes eine Gruppe von dreißig oder vierzig Menschen. Ruhig und gleichmäßig schreiten sie voran. Einige tragen lange Stäbe mit merkwürdigen, für mich nicht erkennbaren Symbolen auf der Spitze. Die anderen haben die Hände gefaltet. Vorne weg geht ein Priester. Er ist auch Anführer des Sprechgesanges. Danach die Frauen. Gesenkten Hauptes schreiten sie hinter ihm her, konzentriert und versunken im Gebet. Mit kurzem Abstand folgen die Männer. Auch sie beten laut, doch bei ihnen sind die Köpfe erhoben. Laut brummelnd schauen sie neugierig in die Runde und erforschen die Landschaft.

„Pilger aus Trier“, klärt man mich auf, „die kommen hier immer vorbei.“ Dann entdeckt einer mich mit meinem merkwürdigen Publikum und meiner noch merkwürdigeren Tätigkeit. Ein Ruck geht durch die Männergruppe. Die Frauen und der Priester bleiben ungerührt. Konzentriert schreiten sie im Gebet versunken voran. Doch die Männerköpfe drehen sich wie auf Kommando alle zu uns. Ein ungläubiges Staunen zieht über die Gesichter. Für einen Moment stocken Gang und Gebet. Die ganze Gruppe gerät für ein paar Schritte aus dem Takt. Nur kurz, dann fangen sie sich wieder und lächeln uns mit blitzenden Augen freundlich zu. Wer einen Stab hat, hebt ihn freudig winkend, die anderen grüßen mit der Hand.

Vielleicht wird der Schritt ein wenig schneller. Vielleicht straffen sich die müden Körper. Vielleicht sind die Stimmen etwas freudiger und mutvoller. Vielleicht klingt mein Hammerschlag etwas fröhlicher. Ich klopfe den Takt zu ihrem Gesang. Winkend und laut betend ziehen sie an uns vorbei. Und auch wir, mein Publikum und ich auf unserem Hof, fahren fort, als ob nichts gewesen wäre, aber ein Lächeln im Gesicht. Der Hammer ist etwas leichter geworden.