Advent im Keller

Jo kommt aus der Schule, Klasse Zehn,
hat noch keine Lust, nach Hause zu geh’n,
so schlendert er ziellos herum.
Durch die Stadt, ein weihnachtliches Lichtermeer,
mit hastenden Menschen und Autoverkehr.
Es ist Advent, doch sein Herz ist stumm.
Bis er plötzlich den alten Mann erblickt
mit zwei Taschen im Arm, ein wenig gebückt.
„Hallo Opa!“ Der Andre bleibt steh’n.
„Wie schön, mein Junge, kommst du zu mir?
Es sind auch nur fünf Minuten von hier,
ich hab’ dich so lang nicht geseh’n.“

Eine Kellerwohnung, etliche Stufen hinab.
Dem Jungen ist, als geh’ es ins Grab,
rasch öffnet der Opa die Tür.
Fröstelnd zieht Jo die Schultern hoch.
„Nun komme herein und setz dich doch,
ich mach nur grad Feuer hier.“
Er knüllt Zeitung zusammen, legt Späne darauf,
und knisternd züngelt ein Flämmchen auf,
das die Dämmrung mit Leben erfüllt.
Auf die Herdplatte wird noch ein Apfel gelegt,
der sich bald tänzelnd hin und her bewegt,
für Jo ein faszinierendes Bild.

Es ist ein kleiner Raum, Tisch, Stühle und Schrank,
ein paar Topfblumen auf der Fensterbank,
auf dem Eckbrett eine Madonnenfigur.
Großvater zieht einen Stuhl heran,
zündet sich genussvoll seine Pfeife an,
gemächlich tickt eine Uhr.
„Nun erzähl, mein Junge, wie geht es zu Haus,
wie kommst du mit den Schulkameraden aus?“
Aber Jo fehlt zu Reden die Lust.
Doch Opas Lächeln macht ihm Mut,
und das Reden tut so unendlich gut,
loszuwerden den ganzen Frust:

„Zuhaus hab’ ich keinen, mit dem ich reden kann.
Papa ist ein völlig gestresster Mann,
verdient ja auch recht viel Geld.
Mama richtet nur Partys aus,
heut Abend steigt wieder eine zu Haus,
und nur das ist ihre Welt.“
Der Opa stellt Plätzchen auf den Tisch:
„Omas Rezept, selbstgebacken, ganz frisch,
das ließ mir doch keine Ruh’.“
Spitzbübisch lächelt der alte Mann:
„Ich wusste gar nicht, dass ich backen kann,
man lernt noch immer dazu.“

Jo sieht das lächelnde, liebe Gesicht,
die Hände, krumm von Arbeit und Gicht.
Es erfasst ihn eine stille Wut:
„Wir haben zu Hause Platz, noch und noch,
und du lebst hier in einem Kellerloch.“
„Lass nur, Junge, mir geht’s hier gut.
„Ich hab’, was ich brauche und noch mehr,
nur Oma, die fehlt mir doch schon sehr,
sonst wünsch’ ich mir nichts zurück.
Was ich zuviel habe, wird zur Last,
und im Alter ist vieles nur Ballast.
Geld ist kein Gradmesser für Glück.“

Der Herd verströmt Wärme und Helligkeit,
und der Bratapfel schmeckt nach Weihnachtszeit,
auf dem Tisch eine Kerze brennt.
Der Tee ist heiß und mit Honig gesüßt,
mein Gott, wie wohlig warm ihm nun ist,
sein Herz spürt endlich, es ist Advent.
Irgendwann rafft Jo sich auf, um zu geh’n:
„Tschüs, Opa, bis bald, es war wirklich schön.“
Er sagt das mit ehrlichem Sinn.
Dann geht er heim, auch wenn er nicht dafür schwärmt,
er kennt nun den Platz, der die Seele wärmt,
und er weiß, er geht bald wieder hin.

Thekla Heinzen, Feusdorf