Die gute, alte Zeit

Gertrud Margaretha Morsink-Scholzen, Landscheid

O, du gute alte Zeit, wenn ich heute so über dich nachdenke, ist es kaum fassbar, wie die Welt sich in 80 Jahren verändert hat, wie einfach den Menschen von heute die Arbeit gemacht wird und trotzdem reden sie von Stress. Damals mussten alle Haus-, Stall-, Garten- und Feldarbeiten mit Mühe, Plage und Muskelkraft erledigt werden. Geräte und Maschinen gab es noch nicht, es wäre auch kein Geld dafür vorhanden gewesen. Allein schon das Reisen. Musste man zur Bahn, Kreisstadt Daun oder auch nur zum nächsten Ort, man ging zu Fuß, es fuhr kein Bus. In unserem Dorf gab es nur ein Auto, Fahrräder waren eine Seltenheit. Heute setzt man sich vor der Haustür ins eigene Auto und kann fahren wohin man will. Und nimmt das, wie so vieles, als Selbstverständlichkeit hin. Von wegen, aus dem warmen Bett unter die Dusche. Das ganze Haus war im Winter ein Eiskeller, keine Heizung, kein warmes Wasser. Warm und gemütlich nur die Küche und Stube, die einzigen Räume, die beheizbar waren. Solange die Hausfrau sich in der Küche aufhielt, spielte sich das Leben da ab, dort wurde gekocht, gegessen, gearbeitet, und wenn die Zeit es erlaubte, gesessen und geredet. Ob die Küche groß oder klein war spielte keine Rolle, Hauptsache warm.

Die erste Aufgabe der Hausfrau war morgens im Herd Feuer anzuzünden, einen großen Kessel Wasser aufsetzen und dann ab in den Stall Kühe melken, (per Hand) um 6 Uhr kam der Milchwagen, die Kannen mussten an der Sammelstelle bereitstehen, Kälber und Schweine versorgt werden, Frühstückstisch decken, Kinder wecken, Waschschüssel mit Seife und Handtuch bereitstellen und sehen, dass die Kinder ordentlich und pünktlich zur Schule kamen. War alle Stallarbeit erledigt, konnten Mann und Frau gemeinsam frühstücken. Anschließend ging jeder seiner Arbeit nach. Montags war Waschtag, der Schweinekessel wurde gegen den Waschkessel eingetauscht. Ein kleines Paket Per-sil reichte für die anfallende Wäsche einer ganzen Woche. Die Kochwäsche am Vortag mit Henkel oder Regenwasser in einer Zinkbütte eingeweicht, vorgewaschen und im Waschkessel eine viertel Stunde gekocht und gestampft, auf dem Waschbrett noch mal mit Kernseife nachgewaschen, dann kamen Unterwäsche, Kleider, Hemden, Schürzen und zum Schluss Arbeitshosen und Strümpfe dran, alles in einer Lauge. Ausgewaschen immer kalt, draußen im Freien in dem am Haus befindlichen Kump (Sandsteintrog), bei Wind und Wetter zu jeder Jahreszeit. Im Frühjahr, wenn die Sonne am Himmel strahlte und auf den Wiesen frisches grünes Gras wuchs, kam die Kochwäsche zur Bleiche, die einzelnen Teile wurden ausgebreitet und mit Wasser überbraust. Die Wäsche durfte nicht antrocknen und musste laufend begossen werden. Im Winter dauerte es oft lange bis sie trocken war, dann gebügelt mit Kohle, Stahl oder Plätteisen.

Die meisten Familien in der Eifel waren damals Großfamilien mit vier oder mehr Kindern, Eltern, Großeltern, sofern sie noch lebten, ledige Onkel und Tanten, alles gehörte dazu. Fast jede Familie bewirtschaftete das geerbte Land, um über die Runden zu kommen. Konnten die Männer im Winter Waldarbeiten verrichten und im Frühjahr Lohe schälen, war es ein Segen für die ganze Familie. Einen anderen Nebenverdienst gab es nicht. Gegessen wurde was man selbst hatte, zugekauft nur das Nötigste. Hauptnahrungsmittel waren Kartoffeln, Brot, Milch, Butter, Quark, Eier, und Marmelade. Fleisch gab es nur an Sonn- und Festtagen und bei schwerer Feldarbeit. Im Winter stand oft Eintopf mit Pfannkuchen, Hefeküchelchen, Waffeln, Kartoffelreibekuchen oder Buchweizenpfannkuchen, Mehl und Buchweizenknödel, mit brauner Butter, ebenso Pökelfleisch mit Sauerkraut auf dem Speiseplan. Im Jahr wurden zwei Schweine geschlachtet, eins vor der Kirmes im Herbst, das andere zur Fastnacht. Das Fleisch musste ein ganzes Jahr für die große Familie reichen, mehr war nicht drin. Flomen (Schmalzfeder) und ein Teil Speck in Würfel geschnitten, in einem Eisentopf auf dem Herd ausgebraten. Das Fett (Schmalz) in Steinguttöpfen aufbewahrt und nach Bedarf zum Fetten entnommen. Aus Innereien, Kopf und Fleischstücken entstand Leber und unter Zugabe des beim Schlachten aufgefangenen Blutes Blutwurst. Das Wurstbrät in den gereinigten Dünndarm gefüllt, die Würste mussten nun mindestens eine halbe Stunde in der Fleischbrühe ziehen, auf keinen Fall kochen. Platzte eine Wurst, verbesserte es die Brühe. Die fertigen Wurstringe auf lange Stöcke gereiht und nach dem Antrocknen zwei bis drei Tage leicht angeräuchert. Aus der Brühe unter Zugabe von Buchweizenmehl wurde Panhas hergestellt, das in Scheiben geschnitten und gebraten sehr gut schmeckte. Kühl- und Gefrierschränke gab es nicht. Das Fleisch musste schnell und zügig verarbeitet werden. Ein Teil wurde angebraten und in Weckgläsern eingekocht, ebenso Blut- und Leberwurst und ein Teil geräucherten Bauchspeck. Damit man in arbeitsreichen Zeiten das Essen schnell zubereiten konnte. Speck, Bauchfleisch, Schulter, Nacken, Ohren und Füße wurden 4, Schinkenstücke 6 Wochen eingepökelt. Von Nacken, Ohren und Füßen Zidda (Sülze ) hergestellt. Die anderen Teile abgespült, im offenen Schornstein mit Buchenholz und Wachhol-dersträuchern geräuchert. Schinken blieben bis zum Frühjahr im Rauch. Anschließend gründlich abgewaschen und noch mal kräftig mit Pfeffer und Salz eingerieben, verpackt in Leinensäck-chen und aufbewahrt in einer mit Hafer gefüllten Truhe. Bohnenkaffee gab es selten, mal an Sonn- und Feiertagen und wenn Besuch erwartet wurde. Getrunken, Milch oder ein Aufguss aus selbst gerösteter Gerste oder Roggen, mit Milch vermischt, und natürlich Wasser.

Alle 10 bis 12 Tage wurde Brot gebacken. 12 bis 13 Laibe gingen in einen Hausbackofen. Der Aufwand war groß und die Arbeit schwer. Schon 2 bis 3 Tage vorher erhielt das Mehl den wärmsten Platz am Ofen, es durfte nicht kalt verarbeitet werden. Am Abend vorher die Backmohl (Backtrog), die mit einer Platte versehen in der Küche als Tisch benutzt wurde, in die Nähe des Ofens gerückt und den Vorteig mit Sauer, warmem Wasser und Mehl angesetzt. Der nächste Tag begann in aller Frühe um 1/2 4 Uhr. Der Vorteig mit einer bestimmten Menge Salz und warmem Wasser angefüllt. Das Mehlgemisch, meist 2/3 Roggen und ein 1/3 Weizenmehl oder nur Roggen, unter Rühren und Kneten zu einem Teig verarbeitet. War der Brotteig fertig und runde Laiber geformt, musste er in den mit Mehl bestäubten Kurbeln (Weiden-Strohkörbchen) noch gut 2 Stunden in großer Wärme gehen.

Für die richtige Hitze im Backofen war der Mann oder Großvater zuständig. Eingeheizt mit trockenen, gespaltenen Buchenscheithölzern, oder Buschen (auf ein bestimmtes Maß zugeschnittenes Reisig), es brauchte eine Zeit, bis die richtige Temperatur erreicht war. Getestet, wenn nur noch Glut und Asche im Ofen waren, und zwar mit einem kleinen Ährenbündel, wurden die Ähren nach kurzer Zeit hellbraun, war die richtige Wärme erreicht. Glut und Asche entfernt und in die Aschekaul unter den Backofen befördert. Die Restasche mit einem großen nassen Lappen, der an einer langen Stange befestigt war, entfernt. Nun war auch das Brot so weit und konnte in den Ofen geschoben werden. Es wurde auf den Schießer gekippt und mit warmem Wasser bestrichen und im Ofen verteilt. Die Backofentür geschlossen, die Zuglöcher mit den dazu passenden Steinen ebenso. Das Brot blieb nun 2 Stunden im Ofen und war dann fertig, dunkelbraun, glänzend und herrlich duftend zum Verzehr bereit. Zum Auskühlen musste die Treppe, die ins obere Stockwerk führte, herhalten; auf jeder Stufe stand ein Brot, das nach dem Erkalten in der Brotkiste, die mit kleinen Löchern versehen war, aufbewahrt wurde.

Badezimmer waren damals in Bauernhäusern eine Seltenheit. Man wusch sich die Woche über unter dem Wasserhahn oder in der Waschschüssel. Nur samstags war Generalreinigung in einer großen Zinkbütte, die zu diesem Zweck in der warmen Küche ihren Platz fand. Das Klohäuschen, angebaut an einen Gebäudeteil oder freistehend, zu erkennen an dem ausgeschnittenen Herz in der Tür. Ob Sommer oder Winter, ob kalt oder warm, ob Tag oder Nacht, man musste immer nach draußen. Geschlafen haben wir bei mehreren Geschwistern, immer zu zweit. Ein eigenes Bett oder Zimmer, daran war nicht zu denken. In jedem Schlafraum stand für Kinder und dringende Fälle ein Nachttopf. Als Unterlage in den Betten, die mit Brettern ausgelegt waren, wurden Strohsäcke aus grobem Leinen, die mit Roggenstroh gefüllt und jedes Jahr 1-mal gewaschen und öfters neu aufgefüllt wurden. Das Kaafunterbett (Spreubett), gefüllt mit Haferspreu, die vor dem Einfüllen mit einem großen Rüttler gesiebt wurde. Weizenspreu wurde nur in Notfällen verwendet, Roggen und Gerste waren wegen der Grannen untauglich. Die Spreu wurde in einen mittelfeinen Leinensack gefüllt, der den ganzen Strohsack bedeckte, so dass man mit dem harten Roggenstroh nicht in Berührung kam. Es war warm und angenehm darin zu schlafen. Das Ganze mit einem Leinentuch bespannt. Die Zudecke in den meisten Fällen ein Federbett oder dicke Steppdecke. Die frischgefüllten Betten waren so hoch, dass die Kinder einen Stuhl zu Hilfe nehmen mussten, um einzusteigen. Damit sie nicht rausfielen, wurde die gefährdete Seite mit einer Bettschere (Holzgitter) abgesichert. Im Winter kamen vorm Schlafengehen warme Ziegelsteine ins Bett, an denen man sich nachts die Füße wund stieß, wenn man zu bequem war, sie rechtzeitig zu entfernen. Die Schlafzimmer waren nicht beheizt, so dass sich bei großer Kälte an den Wänden, besonders am Fenster, eine Eisschicht bildete. Die Nachrichtenübermittlung funktionierte problemlos. Weltereignisse erfuhren wir durch die Zeitung, Neuigkeiten aus dem Dorf und den umliegenden Ortschaften in kürzester Zeit von Mensch zu Mensch. Im Ort gab es nur ein Telefon; dieses befand sich in der Poststelle und wurde nur in dringenden Notfällen benutzt. Das einzige Radio gehörte unserm Lehrer. Politik wurde auf der Straße diskutiert. Als Hitler an die Macht kam, war ich 10 Jahre alt und konnte einem Gespräch zwischen meinem Vater und einem Nachbarn zuhören. Vater sagte, er hätte nie gedacht, dass Prälat Kaas umfallen würde. Später fragte ich ihn, warum der Mann umgefallen sei und ob er sich sehr wehgetan hätte. Er gab mir zur Antwort, dem Mann fehle nichts, das hätte etwas mit der Zentrumspartei zu tun. Damit wusste ich nichts anzufangen. Die Kleidung war der damaligen Zeit angepasst. Die Mädchen trugen werktags im Winter warme, einfache Kleider, Schürzen, dicke Strickjacken, Mütze, Handschuhe und Schal, schwarze, handgestrickte Strümpfe und vom Schuster angefertigte hohe Lederschuhe, die dicht mit Pinnen (Eisennägel) und Stoßeisen versehen und für Kinderfüße viel zu schwer waren. Die Unterwäsche, angefertigt aus flauschigem Biber oder Flanell, einem warmen Baumwollstoff. Die Näherin war für die Sonntagssachen und das „beste Kleid“ zuständig, das stets an die nachfolgende Schwester weitergegeben und geschont wurde, also ein Generationenkleid war. Dieses, und falls ein Mantel vorhanden, durften nur zur Messe getragen werden. Mäntel oder dicke Jacken für den Schulweg kannten wir nicht. Die Kleidung der Jungen, Jacken und Hosen, letztere reichten bis übers Knie, aus Manchestercord hergestellt, Schuhe und Strümpfe wie bei den Mädchen, Hemden aus Baumwolle, Pullover aus Wolle, handgestrickt.

Damals waren auch die Schulzeiten anders geregelt. Vormittags, auch samstags von 8 - 12 Uhr, montags, dienstags und donnerstags nachmittags von 2 - 4 Uhr. Die Möglichkeit, viel zu lernen, war gegeben, die meisten Kinder gingen gerne zur Schule. Faulheit oder andere Vergehen wurden mit dem Rohrstock bestraft. Prügelstrafe war an der Tagesordnung. Nach der Schule gab esfür Mädchen nur die Möglichkeiten, entweder Kinder oder Kühe hüten, auf Kinder aufpassen war solange sie nicht gut laufen konnten, schwieriger, es gab keinen Sport- oder Kinderwagen, und mussten auf dem Arm rumgeschleppt werden. Pampers und fertige Kindernahrung gab es nicht. Windeln wurden jeden Tag gewaschen. Haferbrei gekocht, durch ein Haarsieb gerührt und mit Kuhmilch und etwas Zucker angereichert. Die Babys waren zufrieden, gediehen prächtig und durften überall dabei sein. Hatte die Mutter Zeit, konnten wir nach Herzenslust draußen, ohne die Kleinen, mit den andern Kindern, die in jeder Altersgruppe vorhanden waren, spielen, in jeder Jahreszeit etwas anderes. Langeweile kannten wir nicht. Schlug mal jemand über die Stränge, wurde keine Staatsaffäre daraus gemacht. Jeder Platz im und um den Ort stand für alle offen; die Alten ließen die Jungen in Ruhe, und die Kinder kannten ihre Grenzen.

Heute geht es den Menschen gut, auch wir Alten haben uns an die Annehmlichkeiten der heutigen Zeit gewöhnt und sind dankbar dafür.