Man nehme…

Ein altes Tintenrezept

Alois Mayer, Daun-Pützborn

„Kann mir mal einer einen Kuli geben!?“ Millionen Mal erfolgt diese Aufforderung genau so gut wie der Kauf von Tintenpatronen. Doch wie war das zu Zeiten, als es noch keine Kugelschreiber oder gebrauchsfertige Tintenpatronen in allen Farben zu kaufen gab? Die Lösung: Man stellte Tinte1 eben selbst her. Einfach gesagt, doch wie? Im Kirchenbuch Daun (Kb Daun IIA) findet sich auf Seite 115 ein vom damaligen Pastor sorgfältig eingetragenes Rezept aus dem Jahre 1798, vielleicht für sich als Gedankenstütze, vielleicht für seine Nachfolger als Gewähr für ein gutes Rezept. Dass die von ihm nach dieser Gebrauchsanweisung erstellte Tinte gut und haltbar war, beweisen Urkunden und Eintragungen in Kirchenbüchern sehr deutlich: klare, kräftige Buchstaben, selbst nach zweihundert Jahren noch lesbar, nicht verlaufen und nicht verblasst
.
„Nimm 8 Loth2 gute
Gallnüsse3
6 Loth grünen Englischen Vitriol4

4 Loth weiße arabische Gummi5

1 oder -12 Loth weißen Alaun6
All dieses gröblich gestoßen in einen steinernen Krug gethan.

1 oder -12 Schopfen7 eßig drauf
geschüttet und so 24 Stunden stehen lassen, zuweilen um-gerühret.
Dan gieße man eine Maaß ko-chent heißer Schnee- oder Regenwasser drauf, rühre es öfters durcheinander, und lasse es etliche Tage an einem warmen Orte stehen.“

Was der Dauner Pastor nicht geschrieben hatte, war, dass die „etliche Tage“ als Reifezeit doch circa sechs bis acht Wochen dauern sollten. Die fertige Tinte wurde auf Flaschen gezogen und konnte dann, gut verschlossen, auch für eine längere Zeit aufbewahrt werden. Zum Schreiben füllte man dann immer nur einen kleinen Teil in ein Tintenfass ab. Dauernder Luftzutritt hätte ansonsten zur Zerstörung der Tinte geführt. Die Herstellung von solcher „Eisengallustinte“ ist bereits seit dem 3. Jahrhundert vor Christus bekannt. Sie gilt bis heute als besonders doku-mentenecht. Andere Tintenarten, meist schwarze Tinte aus Ruß und Gummiwasser, lassen sich schon in Ägypten und China um 2600 vor Christus nachweisen.

Der Kugelschreiber, meist nur Kuli genannt, überträgt Tinte mittels einer Kugel auf Papier. Das erste Patent auf ein kugelschreiberähnliches Gerät erhielt 1888 der Amerikaner John J. Loud.Aber erst 1938 erfand der Ungar László József Biró, unterstützt von seinem Bruder Georg, die Grundform des heutigen Kugelschreibers. Aber erst nach dem 2. Weltkrieg begann der Siegeszug des Kugelschreibers, der heute bereits Füller und Tinte in den Hintergrund gedrängt hat. Kosteten die ersten Kugelschreibermodelle in Deutschland um 1950 noch etwa 20 DM, so sind sie heute mehr als preiswert und beliebte Werbegeschenke.

Galläpfel auf Eichenblatt

1 Der Begriff Tinte stammt aus dem lateinischen tincta [aqua] und bedeutet „gefärbtes Wasser“).  Lot (Maßeinheit) = ehem. Handelsgewicht, meist 16 2/3 g.
3 Gallnüsse oder -äpfel = Auswüchse an Blättern und Sprossen von Pflanzen, hervorgerufen durch den Stich von Gallwespen; besonders die Galläpfel an den Blättern der Eiche sind wegen ihres hohen Gerbsäuregehaltes geschätzt; bevorzugt wurden türkische oder chinesische Galläpfel mit einem Säuregehalt von über 60 Prozent.
4 Vitriol = alte Bezeichnung für die kristallwasserhaltigen Sulfate der Metalle Kupfer, Eisen u. Zink, hier EisenIISulfat; FeSO4.
5 Gummiarabicum, gewonnen aus dem Pflanzensaft verschiedener arabischer Akazienarten, wird nicht nur als natürlicher Klebstoff, sondern in der Malerei auch als Bindemittel für Farbstoffe und Pigmente verwendet.
6 Alaun = natürlich vorkommendes Kalium-Aluminium-Sulfat; als Beizmittel in der Gerberei und Färberei, zur Leimung von Papier und als blutstillendes Mittel (Alaunstift) verwendet.
7 1 Maß = altes Hohlmaß (Flüssigkeit), rd. 1-2 Liter = 4 Schoppen Schoppen = altes Flüssigkeitsmaß; = etwa 1/2 Liter; heute im Gastgewerbe = 1/4 Liter.