Vom einfachen Leben

Streiflichter aus drei Generationen

Marianne Schönberg, Jünkerath

Wie lebten Großeltern und Eltern, als es weder Auto, Kühlschrank, Fernseher, Waschmaschine und Elektroherd gab? Radio - was ist das, fragte meine Großmutter - bis in ihren bescheidenen Alltag kam das „Neue“ nicht. Unsere Kinder können sich das nicht mehr vorstellen, die Enkel meinen, wir erzählen Märchen, denn.... das kann ja gar nicht wahr sein, die Menschheit ohne Computer, Satelliten die das Fernsehen bedienen, technische Hilfen im und ums Haus - undenkbar. Trotzdem haben die Alten gelebt, nicht nur überlebt, sie hatten karge, aber ab und an gute Tage, nahmen das Leben an wie es war - es gab kein anderes.

Meiner Großmutter einfaches Leben spielte sich in einem Häuschen unweit des Dorfes ab. Zwischen Wiesen und Wald war’s eingebettet - für mich als Kind ein Märchenhaus. Später lebte ich mit meinen Eltern dort, erfuhr Großmutters Alltag hautnah, konnte nachempfinden was es bedeutet, ohne Strom und Wasserleitung zu leben. Großvater hatte das kleine Anwesen für seine Familie gekauft, zwei Zimmer im Un-tergeschoss, zwei kleine Räume oben, und das genügte für Eltern und fünf Kinder. Der Hausvater war Maschinist, ging zu Fuß zur Arbeitsstelle in der Stadt, täglich etwa zehn Kilometer hin und zurück. Sein Lohn musste für alle reichen. Es gab da ein Gärtchen am Häuschen, Pflaumenbäume, Brombeerhecken am Waldrand; mit den Früchten, die das Jahr brachte, konnte man den Speiseplan bereichern. Großmutters Hausarbeit - unvorstellbar. Das Wasser kam aus einem Brünnchen vorm Haus, Eimer für Eimer musste es geholt werden, zum Kochen, Waschen, Putzen. Wäsche bleichte man auf dem Rasen -Hühner und Rabenvögel fanden diese Laken einladend, gingen drauf spazieren, hinterließen Spuren ... alles musste wieder ins Spülwasser. Im Sommer gab’s die Trockenleinen im Garten. Im Winter? Genau dort froren die Textilien steif, und wer sie nicht geschickt abnahm, dem zerbrachen sie unter der Hand. Was blieb? Ein Nachtrocknen über dem Küchenherd, nachmittags, wenn nicht mehr gekocht wurde. Nein, da roch nichts aprilfrisch, war weder weichgespült noch griffig. Wintervorräte - Weißkohl wurde zu Sauerkraut im großen Topf eingemacht, Birnen, Äpfel und Pflaumen zu Trockenobst verarbeitet... klein geschnitten, aufgefädelt und in der Herbstsonne getrocknet - eine feine Beigabe zu Hefeklößen. Dies Gericht wagte ich meinen Kindern nicht anzubieten, zumal Trockenobst, so gewonnen, nicht einladend auf dem Teller aussieht. Doch darum machte sich Großmutter keine Gedanken, sie war froh, etwas auf dem Tisch zu haben, das satt macht.

Zwiebeln aus dem Hausgarten wurden im Herbst zum Trocknen in kleinen Bündeln aufgehängt, Möhren hatten im Keller eine Ecke mit Sand, darin hielten sie sich eine Weile frisch, keimten nicht so schnell - Kartoffeln lagen nebenan, wenn es arg fror, wurden sie mit einem Sack abgedeckt. Fleisch haltbar machen? Für die einfachen Leute war das kein Thema. Das Wenige wurde sofort verzehrt, vom Huhn, vom Kaninchen, und Salzheringe kaufte Großmutter im kleinen Laden im Dorf, dazu Zucker und Salz in der Papiertüte; für den Fisch brachte jeder Kunde ein Gefäß mit. Abfallprobleme? Was ist das, hätte man damals gefragt, denn alles wurde wiederverwertet. Wo erfuhr Großmutter letzte Neuigkeiten? Beim Einkauf oder anschließenden Schwatz an der Straße, Ersatz fürs Radio oder Tageszeitung; solch moderne Sachen hatten Doktoren und Lehrer, vielleicht der Herr Pastor - für den Alltag der kleinen Leute war das unnützer Kram, hielt nur von der Arbeit ab - so sagte man es ihnen und....oft glaubten sie’s. Mutters Alltag in der Großstadt war schon von einem Hauch technischen Fortschritts umgeben. Das Mehrfamilienhaus hatte kein Herzhäuschen, sondern Innen-WC auf halber Treppe zwischen den Etagen für zwei Familien. Wie das funktionierte? Ich weiß es nicht mehr, kann mich aber an Komplikationen nicht erinnern. Umso mehr ans wöchentliche Bad im Zinkzuber in der Küche. In großen Töpfen wurde das Wasser auf dem Herd heiß gemacht, dann wuschen sich mehrere Familienmitglieder hintereinander mit Kernseife und Bürste - für Kinder gab’s einen Schwamm. Dann der Waschtag - einmal im Monat hatte jeder Mieter den Waschkessel im Keller zur Verfügung, danach den Trockenraum auf dem Speicher für zwei Tage. Wenn Mutter „Wäsche machte“, war sie von früh bis spät tätig und im Dunst des kochenden Seifensuds kaum zu erkennen. Mit hölzernen Schlegeln hob sie Stück um Stück aus dem Bottich, rieb auf dem Waschbrett jedes Teil mit Kernseife, gab es in den Spülgang, in einen zweiten, dann durch eine Kaltmangel, die das Wasser auspresste - das Wringen entfiel und alle Frauen lobten diesen (halb) technischen Fortschritt. Sähen sie unsere Maschinen, die mit einigen Knopfdrehungen alles problemlos aufbereiten - sie fühlten sich gewiss im Märchenland. Modernstes Informationsgerät für „Neues aus aller Welt“ war das Radio. Es lieferte fast rund um die Uhr Nachrichten, brachte Musik ins Haus... ein Wunderding. Den Volksempfänger konnte sich beinahe jede Familie leisten. Vater bastelte mit Begeisterung an dem Ding, fügte Lautsprecher und Kopfhöranlage ein, empfing (das war nicht erlaubt) ausländische Sender...; die Technikwelle begann. Bald konnte man elektrische Christbaumkerzen kaufen - ich mochte die echten Kerzen lieber, doch Vater meinte, in solch einem Haus mit vielen Menschen und kleinen Zimmern könnte schnell ein Brand entstehen, wenn der Baum trocken ist, die Kinder herum tollen.... ich ließ mich überreden, freute mich an den Wunderkerzen. Der Alltag in den Wintermonaten, auch dafür wurden in der Stadt Vorräte angelegt. Wenn die Kleingärtner ihre Früchte zum Wochenmarkt brachten, kauften wir ein, für Marmelade und Gelees, für Apfelmus oder Kompott. Die ersten Weckgläser kamen auf den Markt, und auf dem Küchenherd stand dann ein wuchtiges Ungetüm mit Thermometer obenauf, drinnen die Gläser, nichts durfte zu heiß oder zu kalt werden.... Mutter war arg aufgeregt. Konfitüre kam in kleine Gläschen, darüber ein Blättchen mit Salizylsäure, die konservierte, und obenauf Pergamentpapier, mit Gummibändchen verschlossen. Weil man solch wertvollen Besitz ständig kontrollieren musste - es konnte ja ein Glas aufgehen und der Inhalt vergären -wurden alle Herrlichkeiten auf dem Schlafzimmerschrank deponiert. Wer kann sich das heute vorstellen? Es war kein schöner Anblick, doch in Ermanglung anderer Möglichkeiten notwendig. Ach Mutter, so eine Gefriertruhe wie meine, die hätte Dir viel Mühe erspart; sie wäre im Sommer DIE Hilfe gewesen, denn es gab keinen Kühlschrank, nur den Wagen, der samstags Eisstücke von Blöcken verkaufte. Damit konnte man Bottiche füllen, für kurze Zeit Lebensmittel kühlen... das war’s. Uns Kindern ging es ums Speiseeis, diese Leckerei kam ins Gerede, es gab Rezepte zum Selbermachen, aber keine Kühlmöglichkeit außer den Stücken vom EISMANN -heute verbindet man mit diesem Namen etwas ganz anderes und… es ist gut so.

Des einfachen Lebens dritter Teil - unserer. Es begann in einer kleinen Wohnung unterm Dach im Dorf, aber... wir hatten Zentralheizung! Der Hausvater besaß ein Moped für die Fahrt zum Arbeitsort, in der Küche stand wenig später ein Elektroherd. Noch immer keine Waschmaschine, kein Kühlschrank, weder Staubsauger noch anderen technischen Schnickschnack... alles wurde mit Mühe angespart, aber nach und nach wuchs die Lebensqualität.

Vorher blieb die Fußbodenpflege eine mühselige Sache, die Holzdielen brauchten wöchentlich den Abrieb mit harter Bürste und Lauge, dann kam Bohnerwachs übers Holz, das musste poliert werden, alles in Handarbeit, auf den Knien hockend. Teppiche oder Staubsauger? Ein Wunschtraum; er verwirklichte sich später. Das erste Kind kam, das zweite - Windeln und Wickeltücher, kleine Hemdchen und Strampelhosen, alles musste täglich gewaschen werden, auch an Sonn- und Feiertagen. In einem großen Topf auf dem Kohleherd dampfte die Lauge, es gab keine Badewanne zum Auswaschen, nur Eimer und Spülbecken und im Winter trockneten diese Kleinteile, weil sie schnell wieder gebraucht wurden, über dem Kohleherd. nachmittags oder nachts. Von da an ging’s bergauf, technische Helfer machten den Alltag leichter, waren bezahlbar, schafften Freiraum für die Familie und das tat wohl.

Was blieb - außer der Erinnerung - vom einfachen Leben? Das gute Gefühl, wenn’s Not tut auch mit bescheidenen Mitteln den Alltag meistern zu können, zu überleben. Billigangebote gibt es rund ums Jahr auf der Wiese, in Hecken und Büschen, im Wald ...... Brennnesseln für Spinat, Holunderblüten und -früchte, Himbeeren, Heidelbeeren, Pilze. Die Aufbereitung macht heute kaum Mühe, das Ergebnis vermittelt Kreativität; ein gutes Gefühl.

Es lenkt ab von der Gier nach all den technischen Neuheiten, die den Markt überschwemmen und sie sind - Hand aufs Herz - oft mehr Last als Lust. Rückbesinnung aufs einfache Leben, scheibchenweise.. versuchen Sie`s, es tut gut!