Die Dorfmolkerei Steffeln

Wie ohne Strom eine Nebeneinnahme entstand

Maria-Agnes Pinn, Steffeln

1894 gründete man in Steffeln schon eine Dorfmolkerei. Die Bauern oder Ackerer, wie ihre Berufsbezeichnung damals hieß, schlossen sich zusammen und bildeten die Molkerei-Genossenschaft Steffeln. So bekamen alle die Möglichkeit, Milch welche nicht zum eigenen Verzehr benötigt wurde, für etwas Geld zu verkaufen. Man erwarb eine große Zentrifuge, ein ebenso großes Butterfass, die beide mit der Handkurbel gedreht wurden. Es gab ja noch keinen Strom im Dorf. Als Gebäude diente die alte Burg oben am Pfarrhaus, die jetzige Akademie für Bildende Kunst Vulkaneifel.

Der Junggeselle „Trinze Wel-lem“(Wilhelm Blameuser) wurde als Milchsammelfahrer mit seinem Ochsengespann eingestellt. Morgens früh sobald gemolken war, fuhr er durch das Dorf und lud bei den Bauern die Milchkannen auf. Damals meistens 10 bis 15 Liter Kannen. Der „größte“ Bauer hatte ja höchstens bis zu acht Kühe. Die „kleinen Bauern“ ein bis vier Kühe, die auch gleichzeitig als Gespann genutzt wurden. Dazu kamen große Familien mit vielen Kindern, und es blieb nicht viel Milch zum Liefern. Schätzungsweise cir-ka 70 bis 80 Höfe musste „Wellem“ anfahren. Zwischendurch fuhr er die steile Auffahrt zum Burgkeller und lud ab, dort wurde die Milch anschließend noch warm mit der Zentrifuge durchgedreht. „Wellem“ war meisterlich geschickt im Umgang mit seinem Ochsengespann. Er lernte jedes Jahr eine neue „Kop-pel“ (= zwei Stück) an. So verdiente er sich zusätzlich etwas Geld, indem er die gut dressierten größeren Ochsen verkaufte. Damals trug sich folgendes zu. Schwerbeladen fuhr „Wellem“ mit seinem ungelernten jungen Gespann zur Burg hoch. Plötzlich am Berg machten die Ochsen Schwierigkeiten und blieben stehen. „Mertes Pitter“ (Peter Blongen) lag mit gestützten Armen auf seiner Stalltüre und beobachtete spannend das Kräftespiel. Er, der besser gestellte Bauer, leistete sich ja gut gelernte starke Ochsen. Er lauerte mit dem Hintergedanken auf: „Nou bleivt Wellem halen.“ (Nun bleibt der Wilhelm auf der Strecke mit seinen jungen Ochsen.) Doch, nach kurzer Pause sagte „Wellem:“ „ Nuh jöh Fuss, dat packe mir!“ Genau mit dem Satz und dem guten Willen der Ochsen gaben beide alle Kraft und erreichten mit Schwung das Portal des Burgkellers. So war die Ehre des Fuhrmanns und des Gespann gerettet. Danach erzählte „Wellem“ allen Leuten, wie seine Ochsen die Situation am Steilhang meisterten. Damals prägte er den Ausspruch, welcher heute noch immer bei passender Gelegenheit in Steffeln zitiert wird: „Junge,— wie menge Fuss sich on et Jeschier schmess, du schnitt de Mertes Knööf!“ (Als mein roter Ochse sich ins Joch warf, da machte Peter große Augen.)

Zur Milchverarbeitung wurde „Scholze Marie“ (Anna-Maria Juchems) eingestellt. Sie war Junggesellin, derzeit hieß es „Juffer“, und ohne Familie, daher hatte sie Zeit, die Arbeit zu verrichten. Den ganzen Vormittag stand sie an der Zentrifuge und drehte Milch durch. Dabei half „Wellem“ auch meistens noch. Den „Schmand“ (Rahm) setzte „Marie“ in großen Steintöpfen auf ein Regal. Zum Ansäuern benötigte man in dem Raum etwas Temperatur. Den zwei Tage alten Rahm, schon angesäuert, verbutterte sie anschließend. Das Drehen des Butterfasses war schwer, weil es über Stunden ging. „Wellem“ half auch hier oft. „Marie“ gab der Butter, wenn sie aus dem Fass kam, den letzten Schliff, indem sie mehrmals mit kaltem Wasser gewaschen und gut ausgeknetet wurde. Die Butterform ergab genau ein Pfund. Sie war eigens vom Schreiner aus Holz angefertigt worden. Der Deckel war gleichzeitig Stempel. Jedes Pfund trug die Aufschrift: „Molkerei Steffeln“! Gut in Pergamentpapier verpackt kam sie in Holzkisten. Im Hochsommer legte sie noch Eis aus dem Felsenkeller des Gasthauses Juchems rund um die Butter. War das Eis später alle, so legte sie Rhabarberblätter ringsum. Um diese dann noch mal Zeitungen damit die kalte Butter in den Rhabarberblättern möglichst lange kühl blieb. Gebrauchte Zeitungen waren zu der Zeit ideal als Isolierung, egal ob zum Kühlen oder zum Wärmen.

Am Nachmittag lud „Trinze Wellem“ die Butterkisten einer Tagesration auf seinen Wagen. Die Ochsen hatte er zwischenzeitlich gefüttert, getränkt und ruhen lassen. Er spannte sie an den Wagen und fuhr zum sechs Kilometer entfernten Bahnhof Lissen-dorf. Dort wurde die Butter vom Wagen in den Zug nach Köln verladen. Die Stammkundschaft befand sich vorwiegend in Köln und Düsseldorf. So ist es aus einem ab September 1909 erstellten Butterlieferbuch, das von „Marie“ handgeschrieben geführt wurde, zu ersehen. Die Herrschaften aus den Städten ließen die Butter am Bahnhof abholen. Das Geld dafür überwiesen sie an die Molkerei nach Steffeln. Dort bekamen die Bauern es monatlich ausgezahlt, jeder seiner Lieferung entsprechend. Vorher machte „Emerije Me-chel“(Michel Juchems) die monatliche Geldauszahlung noch mit der Dorfschelle bekannt, indem er rief: „De Nowend öm Halewer Acht jit et Molkereijeld, de Lök solle klein Jeld motbrenge!“ (Heute Abend um 19.30 Uhr wird Molkereigeld ausgezahlt, jeder soll Kleingeld (Wechselgeld mitbringen!) So verdienten die Steffelner Bauern sich damals ein paar Taler, um ihr karges Leben besser zu meistern. Beim Entrahmen entstand als Nebenprodukt Magermilch, beim Buttern ebenso Buttermilch. Diese nahmen die Bauern zurück, um im Haushalt und Stall zu verbrauchen. Die Hausfrauen machten daraus „Klatschkäs“ (Quark) und verschiedene fein gewürzte Weichkäse für den eigenen Bedarf. Die Restmagermilch wurde an das Vieh verfüttert. Die Dorfmolkerei existierte bis 1916. Später konnte dann jeder Bauernbetrieb sich die eigene Zentrifuge mit Butterfass kaufen. Etwa von 1912 bis 1913 wurden die ersten Stromleitungen zur Eifel hin verlegt und danach änderte sich vieles gewaltig. Es brach eine neue große Zeit an!

 

Helmut Stuck als Leiter der Milchverwaltung Eifelperle-Hochwald pflegte zur 1200 Jahrfeier in Wiesbaum gerne die Tradition, „Buttern wie früher!“