Madonna zwischen Flieder und Maiglöckchen

Früher gehörte ein Maialtar in jedes fromme katholische Haus

Gertrud Knobloch, Berg

Alle Maientage waren sonnig in meinen Kindheitserinnerungen. Obwohl es in den Tagen meiner Jugend sicher geregnet hat oder trüb war wie heutzutage auch, kann ich mich einfach nur an schönes Maienwetter erinnern, wenn erst mal die „Eisheiligen“ durchs Land gezogen waren. Das war bei uns Mitte Mai schon so weit, wenn die einzige weibliche Eisheilige, die „Kalte Sophie“, am 15. ihren Namenstag gefeiert hatte, welchen Pankratius, Servati-us und Bonifatius, die männlichen Eisheiligen, gerade hinter sich gebracht hatten. Danach erst durften Bohnen gelegt werden, für die allerdings die Stangen schon standen und die kreisrunden Saatbeete um diese längst schon hergerichtet waren. Auch zum Säen von Gurken und Kürbis und dem Pflanzen von Tomaten war Mitte Mai die Zeit gekommen. Um den allerletzten Eisheiligen, der erst zehn Tage nach der Kalten Sophie seinen Namenstag feierte, kümmerten wir uns nicht weiter. Er war der „Weinheilige“ und konnte unseren gerade gelegten frostempfindlichen Gartengewächsen nichts mehr anhaben, weil sie noch nicht mal ihre frostempfindlichen Nasen aus dem Boden gesteckt hatten am fünfundzwanzigsten Mai. Da fingen sie erst an, sich durch die Erde zu arbeiten.

Was aber jedes Jahr zum Maienanfang wie ein Ritual gehandhabt wurde, war das Aufstellen und Schmücken eines Maialtares. Unsere Madonna fristete sonst ihre segnende Gegenwart auf einem Eckbrett über dem Zimmermobiliar, geschmückt mit Wollgrassträußchen, die, trocken wie sie waren, das ganze Jahr nicht erneuert werden brauchten, oder Zittergras, das ebenfalls schon seine kleinen an Rispen hängenden Herzchen entfaltet hatte, wenn Ende Mai die Madonna wieder an ihren angestammten Platz wanderte, von zwei weißen Porzellanengelchen mit Golddekor flankiert. Im Mai aber lebte sie sozusagen mitten unter uns. Abgewaschen und auf Hochglanz poliert, bekam sie auf einem Minitisch oder einer niedrigen Kommode ihren Ehrenplatz auf einer weißen handgearbeiteten Altardecke, die für unvorhergesehene Zwischenfälle immer bereitlag. Es hätte einer krank werden können und geistlichen Beistand brauchen können, es hätte jemand verunglücken können - man war sozusagen auf alles gefasst, auch auf Krankheit und Tod, wobei man sich nicht nur ärztlichen, sondern auch göttlichen Beistand erhoffte und die Fürbitte der leidgeprüften Jungfrau Maria.

An so was dachte keiner im Mai, obwohl dann die Muttergottes den ganzen Monat über „einsatzbereit“ gewesen wäre. Oft hatten wir noch Schwierigkeiten, zunächst an den gewohnten Blumenschmuck zu kommen. War der April kalt und regnerisch -und das war er meistens, wenn er nicht sogar noch mit verspäteten „Märzenbiestern“, ordentlichen Schneeschauern, aufwartete, dann waren unsere Altarblumen Anfang Mai noch nicht zu haben. Einstweilen blühten aber sicher die Maßliebchen schon, das Wiesenschaumkraut und der Goldlack, von dem Mutter immer einige Stauden im Garten hatte. Mit diesen Blumen, dicken Sträußen rechts und links der Madonna, schmückten wir dann einstweilen unseren Maialtar. Vor ihm verrichteten wir unter Mutters Mithilfe täglich eine Art privater Maiandacht, indem wir einige Gebete zu ihren Ehren oder ein Gesetz des Rosenkranzes und ein Vaterunser zusammen beteten. Mutter war eine große Marienverehrerin und recht unglücklich, dass sie nicht schon ihre erste Tochter mit dem Hauptnamen Maria unter den besonderen Schutz der Gottesmutter stellen konnte. Die Schwiegermutter als Patin besaß nicht diesen Namen, und es war damals Ehrensache, dass ein Mädchen auch den Namen der Patin erhielt. Selbst als Beinamen konnte sie ihn nicht verwenden, weil man keinem Kind in unserer Gegend zweimal den gleichen Namen gab, wie es in Bayern üblich war, wo selbst Jungen auf den Zunamen „Maria“ getauft wurden. Doch Mutters Wunsch wurde erfüllt, auch das zweite Kind war eine Tochter und gegen den ersehnten Namen gab es nun keine Widersprüche mehr. Wie wir, so hatten auch andere Kinder ihren Maialtar, doch meistens war er bei ihnen weniger aufwändig. Und wenn die Sonne endlich schien, was meist nicht lange dauerte, dann gingen wir in den Wald mit Mutter, der voll der begehrten Maiglöckchen stand, die nun auch ihre Blütenrispen entfaltet hatten. Selbst wenn noch kaum ein Glöckchen offen war, pflückten wir dicke Sträuße, denn wir wussten: im warmen Zimmer würden sich die Maiglöckchen schon über Nacht zu voller Pracht entfalten. Ähnlich war es mit den Fliederdolden in Weiß, Dunkel- oder Blasslila. Leider war es um den bei uns auch spärlich bestellt, doch Mutter gelang es jedes Jahr, aus der Nachbarschaft mit prächtigen Dolden versorgt zu werden. Das duftete unvergleichlich im Zimmer, und so brauchte uns Mutter nie an den Maialtar zu beordern - wir waren immer in seiner Nähe, wenn uns das unsere Zeit erlaubte. Wenn es dann Ende des Monats so richtig warm wurde, ließ Mutter die Fenster gern offen, um die laue Mailuft einzulassen. Eines Abends hatten sie auch lange offen gestanden und es war bereits dunkel geworden, als man sie schloss. Plötzlich saß auf dem Kopf der Mutter Gottes eine Schwalbe, so meinte ich. Trotz meines Protestes öffnete Mutter sofort die Fenster wieder sperrangelweit, um sie herauszulassen; ich aber ging sofort auf „Schwalbenfang“, der mir auch gelang. Doch wie entsetzte ich mich, als ich näher hinschaute! Die „Schwalbe“ war eine kleine Maus mit Flügeln, wie ich meinte, und sie riss weit und drohend ihr kleines Maul auf und klammerte sich mit ihren Flederkrallen an mir fest. Entsetzt rannte ich laut schreiend zu meiner Mutter, denn so ein Tier kannte ich noch nicht. Sie machte die verängstigte kleine Fledermaus von mir los und warf sie durchs Fenster nach draußen, wo sie erlöst davon schwirrte. Nie wieder hat sich eine zu uns ins Zimmer verirrt und wir haben kaum mal wieder welche sehen können in freier Natur - leider.