Die Ferkelstraße

Bertes von Steiningen - Viehhändler mit Leidenschaft

Hubert Häb, Steiningen

Es war der 8. 11. 1818, als in Steiningen Hubert als Sohn der Eheleute Paul Weber und Katharina geb. Weiler geboren wurde. Das war sicherlich nichts Besonderes, wenn nicht bereits am 21.8.1831 der Vater des 13-jährigen Jungen gestorben wäre. Er war es nun, der neben seinen fünf noch lebenden Geschwistern zum Ernährer der Familie wurde. Über den Schulbesuch dieses 13-jährigen ist nichts bekannt. Doch bekannt ist, dass es schon sehr früh sein sehnlichster Wunsch war, Viehhändler zu werden. Der Winter 1831/1832 ging dem Ende zu, und für unseren Bertes, wie die Bauern den Hubert nannten, hieß es nun, im Auftrag der Mutter in Kelberg auf dem Markt ein paar Ochsen zu kaufen, die wegen des Geldmangels nicht zu teuer, aber dennoch stark genug sein sollten, um den Pflug zu ziehen.

Beides ließ sich jedoch mit dem allerbesten Willen nicht miteinander vereinbaren. So schwer es auch für unseren jungen Kaufmann gewesen sein mag, er musste unver-richteter Dinge wieder in Richtung Heimat ziehen. In Uess aber kam ihm der Zufall zu Hilfe. Dort hatte ein Bauer zwei Ochsen, die wie unser junger Käufer meinte, brauchbar waren. Diese versuchte der junge Käufer zu erwerben, erst recht, als er herausfand, dass der Bauer sie wegen großen Futtermangels zu Hause verkaufen musste. Auf dieser Basis wurde man dann schnell einig, bis auf den einen Punkt, dass dem Bertes ein Taler an der Kaufsumme fehlte. Dies bekam der Wirt, ein Freund des Hauses Weber in Steiningen, der nebenan wohnte, mit. Er griff in seine Tasche und lieh den Taler bereitwillig aus. So konnte dann Bertes ganz stolz als 14-jähriger mit den selbst gekauften Ochsen nach Hause ziehen und seiner Mutter zeigen, was er geschafft hatte. Für Bertes war sein erster Viehhandel zufriedenstellend verlaufen, und er blickte nun mit Selbstvertrauen und Zuversicht in die Zukunft. Dieses Selbstvertrauen brauchte er auch, denn er war trotz seines jungen Alters zum Mittelpunkt und auch zum Ernährer geworden. Bei allen Überlegungen aber, wie es mit ihm beruflich weitergehen könnte, kam er immer wieder auf den Viehhandel zurück. Ochsen, beziehungsweise Rinder, waren ihm dann doch als Handelsobjekte „eine Nummer zu groß“. Nach einigem Hin und Her überlegte er, ob man es nicht doch mit kleineren Tieren, mit Ferkeln, probieren sollte. Da bot sich der Markt in Kelberg geradezu an. Ein weiterer Gedanke machte ihn hellhörig. Es gab in der Eifel wohl kaum einen landwirtschaftlichen Betrieb, in dem nicht auch Ferkel aufgezogen wurden, mehr als letztendlich im Betrieb verbleiben konnten, einerseits wegen des zu hohen Futterbedarfs, andererseits aber auch der Haushaltskasse wegen, die ja mit dem Verkauf von Ferkeln aufgebessert werden musste.

Hier bot sich für unseren jungen Mann geradezu eine Marktlücke an. In dem einen Zuchtbetrieb einkaufen und dem nächsten mit Gewinn weiterverkaufen. Dann aber kam ihm der Gedanke, was geschieht mit den Ferkeln, die nicht verkauft würden, wie bekomme ich die zum nächsten Kunden oder Markt? Nach dem Motto: Not macht erfinderisch, kam ihm der Gedanke, die Ferkel mit einem Lockmittel hinter sich herlaufen zu lassen. Brotkrümel erwiesen sich dabei als das beste Lockmittel. Wie aber konnte man diese gleichmäßig und auch noch sparsam verteilen, ohne eine zweite Person mitnehmen zu müssen, die den kleinen Profit schlucken würde? Auch hier fand Bertes eine simple Lösung. Er band sich ein kleines Säckchen, gefüllt mit Brotkrümeln, auf den Rücken. In gleichmäßigen Abständen fielen Krümel durch ein kleines Loch auf den Weg oder die Straße und lockten die Ferkel immer wieder an.

Sein Wahlspruch während seiner Wanderungen mit den Ferkeln lautete: „Allah Buschon! Der Bauer soll die Ferkel nicht umsonst bekommen, und wenn sie mich arm an Brot fressen.“ Brachte dieser Haus-zu-Hausverkauf auch einige Schwierigkeiten mit sich, so gelang es dem Bertes doch, die Familie über Wasser zu halten und ihr ein halbwegs gesichertes Dasein zu gewährleisten. Woher der Name Ferkelstraße kommt? Sie war früher eine Römerstraße, die für die ländliche Gegend immer eine Verbindung zu dem Markt in Kelberg hatte, fest ausgebaut und dadurch auch zu jeder Zeit passierbar. Kein Wunder, dass gerade diese Straße von den Bauern zum Viehauftrieb benutzt wurde. War anfangs der Transport von Ferkeln und Schweinen zum Kelber-ger Markt noch freilaufend mit Lockmitteln gewesen, so wurde er bald durch Pferdeoder Viehwagen ersetzt. Wegen des großen Ferkelauftriebs erhielt der Handelsweg bald den Namen „Ferkel-straße“, der bis heute geblieben ist.

Was aber war aus unserem Bertes geworden? Mit zunehmendem Alter wandte er sich vom Ferkelhandel ab und dem Handel von größeren Jungochsen zu. Damit hatte es eine besondere Bewandtnis. Es war in der Ei-fel in allen landwirtschaftlichen Betrieben Brauch, vor Beginn der Feldarbeit möglichst billig ein paar Jungochsen zu kaufen, die noch nicht angelernt waren, die aber dennoch die im Laufe des Jahres anfallenden Fuhrarbeiten erledigen konnten. Ganz nebenbei bemerkt hieß es, im Sommer die Ochsen gut füttern, denn die sollten im Herbst als Mastochsen gewinnbringend verkauft werden. Und genau in diesem Handel sah Bertes eine neue Einkaufsquelle. Es war sein Onkel, der als einer der Ersten von ihm ein paar Ochsen brauchte. Fest zugefahren und mit allen guten Tugenden versehen, bekam der Onkel was er wünschte und zog freudestrahlend von dannen, in dem Glauben, billig eingekauft zu haben. Doch die Mutter von Bertes war mit diesem Handel ganz und gar nicht einverstanden. Sie schimpfte: „Bertes, wie kannst Du so etwas machen?

Die Ochsen sind viel zu teuer und angelernt sind sie auch nicht.“ „Ich weiß“, sagte da Bertes. „Der Onkel wird zu Hause die Ochsen sofort ausprobieren und auch feststellen, dass sie nicht angelernt sind. Dann wird er schimpfend zurückkommen. Wenn er genug geschimpft hat, bekommt er von mir einen Taler zurück, und dann glaubt er, wirklich billig eingekauft zu haben, und ich bin auch mit dem Handel zufrieden.“ Bleibt noch zu berichten, dass Bertes zwischendurch auch den Schafhandel betrieb, worüber bereits im Jahrbuch 1996 berichtet wurde. Im hohen Alter wollte er seine Vettern, die in Bad Kreuznach als Kurarzt tätig waren, besuchen. Seine Mitreisenden im Zug, alles Schüler, die nach Mayen zur Schule fuhren, waren dann neugierig, wo der alte Mann noch hin wollte. Prompt kam seine schlitzohrige Antwort: Er habe vor kurzem eine Anzeige gelesen, dass in Bad Kreuznach eine schon etwas ältere, aber noch sehr rüstige Dame, eine Millionärin, für die restlichen Jahre ihres Lebens einen lieben netten Partner suche. Nun fahre er dorthin, um diese Dame zu heiraten.

Diese Reise war die letzte Reise von Bertes. In Bad Kreuz-nach wurde er gebührend gefeiert und ob seines hohen Alters entsprechend geehrt. Hubert Weber starb am 7.1.1913 in Steiningen, 94jährig, bis auf die letzten Tage geistig und körperlich rüstig.