Michaelstag . . .

Ein Loblied auf die zwei alten „Schrüschs“

Florian Schulten, Gerolstein-Lissingen

Um die Fastnachtszeit des Jahres 2005 stand in der Zeitung, dass in Berndorf „Schrüsch Hermann” (Hermann Hermes) gestorben ist. Da ich als alter Berndorfer mit Schrüsch ein gutes Verhältnis hatte, habe ich an den Tagen viel an Hermann gedacht. Wir waren zu Haus fünf Kinder in der schlechten Zeit und hatten keinen landwirtschaftlichen Betrieb, wir waren „Selbstversorger”, wie das damals amtlich genannt wurde. Da waren meine Eltern froh, dass wir Kinder schon bei den Bauern die Kühe hüten gingen und zu Hause aus der Kost waren. Unsere Ingrid, die war in Hillesheim bei „Etten” am Bach, aber die hatte immer verlangert (= Heimseh) und dann kam sie nach Berndorf bei „Blomerech”, aber das hielt auch nur einige Tage. Unser Paul, der war beim „Schreiber” (Johann Adrian), das hat auch nicht lange angehalten. Ich kam 1948 bei „Hei”. Der alte „Duppes” (Peter Müller), wie die Leute ihn nannten, war nicht froh mit mir, er fuhr lieber selber mit seinen Kühen, und sein Hund folgte mir auch nicht. Obwohl es unsere Verwandtschaft war, wollte ich im nächsten Jahr nicht mehr dahin. Deshalb kam ich dann zu „Krade” (Josef Hermes). Das waren auch alte Verwandte von uns, aber die hatten nur zwei Kühe und kaum eine ordentliche Wiese, bei denen musste ich in die Feldwege fahren. Das war ein langweiliger Kram und überhaupt keine Gesellschaft. Als das Jahr vorbei war, habe ich auch da meinen Knüppel abgegeben. Nun kam meine Glanzzeit als Hütebub. Ich kam zu Schrüsch. Das war 1950; und damit hatte ich das große Los gezogen. Die Schrüschoma und der Schrüschopa waren gute Menschen; die wollten unbedingt, dass ich etwas auf die Rippen bekommen sollte. Bei denen brauchte ich nur mit den Kühen zu fahren und sonst nichts. Sonntags hatte ich frei, dann kamen die Kühe in die eingezäunten Wiesen hinter dem Haus. Jeden Sonntag musste ich aber zum Essen kommen, punkt zwölf Uhr. Es gab dann immer geräucherten Speck mit Kartoffeln und Salat. Auch musste ich immer eine Tasse Milch trinken, obwohl ich keine Milch mochte wegen dem Schmant, der bei mir regelmäßig einen Brechreiz verursachte.

Das war dann auch die Zeit, wo der Schrüsch Hermann (heute würde man sagen der Juniorchef) freien ging und daran dachte, zu heiraten. Bei „Owen Hahne”, da war die „Maria Eich” aus Hillesheim in Stellung, so nannte man das damals. Die war ein lustiges Mädchen, schnell bei der Sache, fleißig und hatte ein flottes Mundwerk. Sie war eine Schwester von den Hilles-heimer Pastoren (Klaus und Heinz). Das waren auch prächtige Kerle. Zu der Maria sagten alle Leute „Molli” wegen ihrer lockigen Haare. Ich weiß noch gut, wie damals ein Stoffhändler mit vier oder fünf Rollen Stoff zu Schrüsch ins Haus kam. Der hatte sicher im Dorf gehört, dass der Hermann heiraten wollte, und bot seine Stoffe für den Brautanzug an. Schrüschoma, Molli, Hermann und ich gingen in die gute Stube und dann wurde gehandelt und gleich war auch der Stoff gekauft. (Es wurde ein stolzer Anzug und jedes Jahr bei der Fronleichnamsprozession hat Hermann ihn getragen). Bei der großen Hochzeit war ich auch dabei, als Messdiener im Brautamt, und habe sogar ein langes Gedicht aufgesagt. Hierbei lautete der letzte Satz: „...und sei als Frau mir auch noch gut”. Das hat der Molli gut gefallen und immer wenn ich in späteren Jahren noch mal bei Schrüsch reinschaute, dann sagte die Molli: „Weißt du noch, Flör-che (= Florian), …und sei als Frau mir auch noch gut”. Ja, das weiß ich heute noch. Ein herzensguter Mensch war die Maria, und leider ist sie schon lange tot. Überhaupt war der Schrüsch ein feiner Kerl. Ich sehe ihn heute noch durch das Dorf gehen, wenn er am Sonntagnachmittag zu „Helli-jer” (Gasthaus Hoffmann-Schulten) zum Skatspielen ging. Er war ein sehr talentierter Skatspieler. Einen schönen Anzug mit gut gebügelter Hose, in der rechten Hand eine „Eckstein” und die andere Hand in der Hosentasche. Einen Gang hatte der, das hatte der beim Barras gelernt. Ich habe oft gedacht, wenn ich groß bin, dann gehe ich durch das Dorf wie der Schrüsch.

Nun war ich ja da als Kuhhir-te, drei Jahre. Schrüsch besaß fünf Kühe, über die ich das Kommando hatte. Die Beste war die „Fuss“, das war ein altes Tier, aber die „Schwitt“, das war ein Luder. Wenn die Sonne hoch stand und dann noch eine Bremse (= Stechmücke) in der Gegend war, dann war das Luder ab, und die anderen Kühe rannten ihr hinterher. Am liebsten fuhr ich „Op Lankert” und „Op der Baach” (Flurnamen). Da waren wenig oder keine Felder, fast nur Wiesen und gute Gesellschaft. Op Lankert kam „Hermesse Helmut” (Helmut Schmitz) und „Meine Kö-bessje” (Jakob Meinen) auch öfter, aber „Op der Baach“ hatten die keine Wiesen. „Warnesch Manfred” (Manfred Hermes †), „Thele Paul-che” (Paul Schmitz †) und ich, wir drei waren fast jeden Tag zusammen. Paulchen hatte eine Geiß, aber selbst keine Wiese dafür, und niemand ließ Paul mit seiner Geiß mitfahren. Die Leute sagten, wo eine Geiß frisst, frisst keine Kuh. Ich habe mit Hermann gesprochen, und dann durfte Paul immer mit mir fahren, dieses Jahr und die kommenden auch. Paul war der Kleinste in unserem Jahrgang und der Frechste. Er konnte sich gut wehren und war nicht auf den Mund gefallen. Paul wurde oft veräppelt, weil er so klein war und dann sagte er immer: „Die Klene sen net do, für die Jruße am Asch ze lecke”!

Mit Paul habe ich mal gepulvert. Das war damals streng verboten, und Paul hat sich dabei sehr verbrannt. Jedenfalls bin ich vom Lehrer am anderen Tag über die Bank gelegt worden, das einzige Mal in meinem Leben. Was mich zu Hause erwartet hat, darüber darf spekuliert werden. Jetzt muss ich aber anfangen, mit den Kühen zu fahren. Warum man mit den Kühen fährt, und nicht mit diesen geht, braucht man nicht zu erklären, das weiß jeder Eifeler. Zuerst wurde das Räucherfass parat gemacht, sonst hatten wir ja kein Feuer dabei. Ich lief noch schnell hinter „Zöm-mels Jennes” (Johann Schmitz) seine Scheune, da lag ein altes Jauchefass voll mit Pulverstangen. Hiervon mussten wir immer etwas dabei haben, falls das Feuer ausgehen sollte. Dann ging es los. Manfred wohnte gleich neben Schrüsch (später hatten Manfreds Eltern das Mannebachs Haus geerbt, ab da hieß Manfred nur noch der „Man-nebach“). Dann fuhren wir zwei, und Paul kam unterwegs mit seiner Geiß dazu. Am Bubbberg sammelten wir noch etwas Holz für das Feuer. Dann ging es aber endgültig „Op de Baach“. „Schmette Annelies” (Anneliese Becker) war schon da. Das war ein liebes Mädchen, ein paar Jahre älter als wir. Sie war immer am Stricken, Häkeln und am Sticken, das war eine perfekte Näherin. Anneliese konnte alles; die konnte auch prima Zigaretten drehen aus Zeitungspapier mit Spucke und trockenem Laub oder Gras. Sie war stets gut gelaunt und fröhlich (später ist die Anneliese ins Kloster gegangen, das konnten wir alle nicht verstehen, denn so ein lustiges Menschenkind war doch zu schade für das Kloster). Hatten wir vier dann ein gutes Feuer am brennen, dann wurde erzählt von der Schule, es wurde gesungen und viel gelacht. Es gab Suppe mit Wasser aus dem Bach und Pudding mit Milch (frisch von der Kuh) gekocht, alles in einer alten Blechdose. Später im Jahr wurden Kartoffeln im Feuer gebacken und Kohlrüben geschält. Manchmal durfte ich auch der Molli ihren Quetschböggel (= Akkordeon) mitnehmen. Das war immer sehr schön, und die Kühe blieben in der Nähe der Musik. So gingen die Stunden schnell vorbei. Wenn der Zug kam, zwischen Walsdorf und Kerpen, so gegen sechs und halb sieben, dann wurde es Zeit heimzufahren. Mannebach und ich, wir waren immer die Letzten, unsere Kühe waren noch nicht satt. Wir fuhren dann noch an einem Klee- oder Rübenfeld vorbei, denn „Op der Baach“ war ja kaum Weide, weil wir fast täglich dort waren. Zu Hause angekommen, waren unsere Kühe satt. Der Schrüsch meinte oft, er könnte das nicht verstehen, dass bei den hungrigen Wiesen unsere Kühe jeden Abend satt seien. Wenn dann die großen Ferien kamen, hatten wir viel Spaß. Dann hatten „Meinen” Besuch. Das war ein feines Mädchen aus dem Kohlenpott. Die war so alt wie wir, aber die konnte so schön hochdeutsch reden und sie wusste sehr viel über Jungen und Mädchen. Die hat uns soviel erklärt und erzählt, dass wir kaum Zeit hatten, auf unser Vieh zu achten. Aufklärung würde man heute dazu sagen. Wir waren immer froh, wenn die Renate da war und mit uns fuhr, denn zu Hause erfuhren wir diesbezüglich nichts. Deshalb waren wir Burschen schon recht früh aufgeklärt. Als wir im achten Schuljahr entlassen werden sollten, da hielt der Pastor Entlassungsunterricht. Da saß er mit rotem Kopf und hat aus einem Heft vorgelesen, was kein Mensch verstand. Ich war immer der Meinung, wir wüssten mehr als der Pastor. Das hatten wir alles der Renate zu verdanken. Der schönste Tag, das war der Michaelstag am 29. September. Ab jetzt konnten wir fahren wohin wir wollten, ich meine natürlich beim Kühefahren. Dann hatten die Bauern die Felder leer, wir durften auf alle Wiesen fahren, überall hin. So waren wir um Michaelstag auf dem „Helleshemer Sched”. Zusammen waren es sicher 15 bis 20 Kühe und niemand schaute danach, sie konnten ja weiden wo sie wollten. Als dann der Zug kam zwischen Hilles-heim und Walsdorf, trieb jeder seine Kühe zum Heimfahren zusammen. Alle hatten ihr Vieh, nur meine waren nicht mehr da. Ich bin noch durch den Wald „Eichholz” gelaufen, aber meine Kühe waren wie vom Erdboden verschwunden. Nanu, habe ich gedacht, wenn sie nicht da sind, brauchst du sie auch nicht nach Hause zu holen. Als die Schrüschoma dann fragte, wo die Kühe wären, da konnte ich nur sagen, sie sind fort. Die Oma sagte: „Geh ins Haus und esse schnell und dann lauf heim, das klärt sich auf.“ Als ich am anderen Tag kam, da dachte ich, jetzt droht dir eine saftige Abreibung. Aber Hermann sagte nur: „Nun mach, dass du heute Abend die Kühe mit nach Hause bringst! Die Oma erzählte mir, dass Hermann mit „Schleichs Hans” (Hans Leyendecker) mit dem Motorrad die Kühe suchen waren. Diese waren vom Berndorfer Bann vorbei an Walsdorf bis nach Zilsdorf gelaufen, und der arme Hermann musste sie zu Fuß heimtreiben.

Die drei Jahre bei Schrüsch waren die schönsten Jahre meiner Kindheit. Inzwischen bin auch ich in die Jahre gekommen und schon über 40 Jahre von Berndorf fort. Aber manchmal und immeröfter wollte ich, ich wäre noch mal ein „richtiger Berndorfer Jung”!