„Muckefuck“ und Malzkaffee

Alois Mayer, Daun-Pützborn

Vor und nach 1900 war es in Eifeler Bauernhöfen und in ärmeren Familien üblich, neben Brunnenwasser auch Kaffee zu trinken. Eine große Kaffeekanne gefüllt mit Kaffee stand auf dem Herd für jeden Bewohner bereit, seinen Durst zu löschen. In solch eine Kaffeekanne passten circa 1,5 - zwei Liter dieser braunen Flüssigkeit.

Der Gerstenkaffee

Dieses Getränk wurde zwar Kaffee genannt, in Wirklichkeit aber handelte es sich nicht um Bohnenkaffee, sondern um Gerstenkaffee. Als Hauptbestandteil dieses täglichen „Gebräus” wurde (selbst angebaute) Gerste verwendet, seltener auch Roggen, umgangssprachlich „Korn” genannt. Damit dieser besondere Kaffee auch nach Bohnenkaffee aussah, verwendete die Hausfrau lange Zeit eine weitere Frucht, die „Zichorie“. Dieses „Bohnenkaffee-Ersatz-getränk“ wurde im Volksmund auch „Blümchenkaf-fee“, „Muckefuck“ (abgeleitet vom französischem Mocca faux [= falscher Mokka]) oder „Malzkaffee“ genannt. Es waren finanzielle Gründe, die im 18. Jahrhundert zu einem Aufkommen des falschen Kaffees geführt haben. Friedrich der Große war es, der zunächst den Kaffee mit hohen Einfuhrzöllen belegte und ihn in Preußen schließlich ganz verbot. Als Folge dieser Prohibition kam der “Preußische Kaffee”, der „Gerstenkaffee oder Zichorienkaffee“ auf.

Rösten oder Brennen der Gerste

Um aus den Gerstenkörnern Kaffee-Ersatz zu gewinnen, mussten sie zuerst geröstet oder gebrannt werden. Hierzu verwendete man früher einen besonderen Apparat, den Röster. Auf dem Herd entfernte die Magd oder die Bäuerin eine entsprechende Anzahl von Ringen, so dass dieses Gerät genau hineinpasste und ein Teil des Rösters dann direkt dem Feuer ausgesetzt war. Oben konnte man eine Klappe öffnen und die Gerste hineinschütten. Mittels einer Kurbel wurde im Innern ein Rührwerk in Bewegung gesetzt, so dass die Körner nie am selben Fleck ruhten und gleichmäßig bräunen konnten. Sehr wichtig dabei war, dass nur ein kleines Feuer im Herd brannte. Damit die Gerste schön glänzte, gab man noch etwas Fett (Butter oder Schweinechmalz) in den Röster. Die Klappe musste geschlossen werden, denn die noch feuchten Gerstenkörner hüpfen am Anfang gegen die Wandung des Rösters, ähnlich wie bei der Herstellung von Popcorn. Des Öfteren wurde nachgesehen, ob die Gerste schon eine goldgelbe oder braune Farbe bekommen hatte. Dieses Nachschauen war wichtig, denn wurden die Körner zu dunkel oder verbrannten gar, schmeckte der Kaffee später entsprechend bitter. Charakteristische, manchmal auch beißende Röstgerüche durchzogen Haus und Dorf. Nach ungefähr 45 Minuten war der Röstvorgang beendet. Die gerösteten Körner wurden dann in Dosen oder Büchsen aufbewahrt, sollten aber relativ schnell aufgebraucht werden, damit sie nicht verdarben oder Schimmelpilze ansetzten.

Die Kaffeemühle

Nach dem Rösten ließ man die heißen Körner erst kalt werden, um sie dann mit Hilfe einer Kaffeemühle zu mahlen. Oft Aufgabe für Kinder, die sich die Mühle zwischen die Beine klemmten und die Kurbel drehten. Manches Liedlein wurde dabei gepfiffen. Das Kaffeepulver fiel in ein herausziehbares Schubfach im unteren Teil der Kaffeemühle, das meist nur so groß war, dass es gleichzeitig als Maß diente, um ein bis zwei Kannen Kaffee aufzubrühen. Die gerösteten Körner wurden nicht alle auf einmal gemahlen, sondern täglich frisch.

Zichorie

Damit der Gerstenkaffee so aussah wie echter Kaffee, wurden der gerösteten Gerste lange Zeit geröstete Futterrüben beigemengt, was der heißen Flüssigkeit die dunkle Farbe und einen etwas bitteren Geschmack verlieh. Im Herbst nach der Rübenernte wurden diese geschält, gewürfelt und anschließend auf dem Herd gedörrt. Danach wurden die Stücke mit einem Holzhammer weich geklopft und in einer Schachtel im Kü-chenschrank aufbewahrt. Durch Zufall wurde um 1770 der Zichorienkaffee erfunden, gebietsweise auch „preußischer Kaffee” genannt. Er sah dem echten Kaffee täuschend ähnlich, glich ihm in Geschmack und Farbe. In der Ei-fel wurde es zu Beginn des 20. Jahrhunderts Brauch, statt der Zuckerrüben die Edelzi-chorie (Zichorie: Wegwarte) zu kaufen. (Die auch bei uns wild wachsende Zichorie konnte für diesen Zweck nicht verwendet werden, da deren Wurzel zu schmächtig ist und beim Rösten zu wenig Fruchtzucker ergibt.) Die gezüchtete Zichorie (Ci-chorium intybus) besitzt bis zu zwei Pfund schwere Pfahlwurzeln. Im Oktober und November ist die Erntezeit. Diese Edelwurzeln werden fabrikmäßig gedörrt, gemahlen und zu Tabletten gepresst. Das Produkt färbt nicht nur den Kaffee dunkel, sondern ist auch noch gesund. Die in ihm enthaltenen Bitterstoffe fördern die Verdauung, hemmen gärungs- und fäulniserregende Bakterien und enthalten kein „Nerven“-Gift Koffein.

Zubereitung des Gerstenkaffees

Auf dem Herd wurden je nach Größe der Kaffeekanne bis zu zwei Liter Wasser in einem Einhängetopf zum Kochen gebracht. Dort hinein kam dann eine Hand voll Zichorie und ein volles Schubkästchen der Kaffeemühle Gerstenkaffeepulver. Im Gegensatz zu heutigen Kaffeemaschinen musste dereinst auf den kochenden Kaffee mehr aufgepasst werden, da der Muckefuck beim Kochen gerne auf-und überschäumte. Es galt daher, den Einhängtopf mehrmals vom Feuer wegzustellen und eine Zeitlang ruhen zu lassen. Dann wurde der Gerstenkaffee durch ein Sieb in die Kaffeekanne aus Blech oder Porzellan geschüttet, um den unansehnlichen und bitter schmeckenden Kaffeesatz und die Zichorienkrümel herauszufiltern. Je nach Belieben mischte man diesem heißen Getränk dann noch Milch oder Zucker - meist den preiswerteren chemischen Süßstoff (Saccharin) bei.

Bohnenkaffee auf dem Land

Nur zu ganz besonderen Anlässen gab es auf dem Lande Bohnenkaffee, so zum Beispiel zur Kirmes, Hochzeit, „Kindstaufe” oder bei Besuch. Der Genuss von Bohnenkaffee galt als etwas ganz Besonderes, und diesen umgab ein Hauch von Luxus. Mit zu dem Luxus und natürlich zu der „bewusst feineren Lebensart“ gehörte es dann auch, den Kaffee aus Porzellantassen zu trinken, im Gegensatz zu dem werktäglichen Gebrauch von Aluminiumoder Blechtassen. Das beste „Porzellein“ stellte die dann die stolze Hausfrau auf den Tisch mit der weißen Leinentischdecke. Sie deckte „schneeweiߔ. Und als wertvolle Geschenke galten bis vor wenigen Jahren noch Porzellantassen, „Sammeltas-sen“, mit den unterschiedlichsten Bemalungen, Motiven, Größen und Formen.

Rückblick und Ausblick

Das Rösten und Herstellen von Getreidekaffee in der Ei-fel hielt sich zum Teil noch bis Ende des Zweiten Weltkrieges. Danach wurde verstärkt fertig gerösteter Malz-1 oder Gerstenkaffee gekauft. Das Image als Arme-LeuteKaffee hängt dem Getreidekaffee bis heute nach. Heute sind das Angebot und der Preis von „echtem“ Bohnenkaffee so groß und günstig, dass nahezu jeder sich Bohnenkaffee leistet, was dereinst (ab 1650) nur Privileg von adligen oder sehr reichen Familien war. Kaffee, dereinst sehnsüchtig begehrter und nahezu unerschwinglicher Luxusartikel wurde im grenznahen Eifelraum durch Jahrzehnte geschmuggelt. Noch heute kursieren eine Vielzahl von Erzählungen über Kaffeeschmuggler, oft verschlagenverschmitzt, oft tragisch und tödlich. Im Zuge einer Rückbesinnung auf gesündere und alternative Lebensformen gewinnen Bioangebote und damit auch der Gerstenkaffee in letzter Zeit eine Art „Renaissance”. Vor allem in Naturkostläden wird dieser Kaffeeersatz (Mischungen aus: Gerste, Roggen, Zichorie, die gemälzt wurden) angeboten. Er enthält kein Aufputschmittel Koffein, und seine beruhigende Wirkung wird von vielen geschätzt, ist er doch für den Magen bekömmlicher. Bekannte Markennamen waren und sind: “Linde’s”, “Kathreiner Kneipp Malzkaffee” und “Caro”.

1 Malzkaffee ist in seiner Herstellung etwas anders. Im Gegensatz zu Pulver aus gerösteten Gerstenkörnern wird in Wasser eingeweichte Gerste zum Keimen gebracht. Dabei verwandelt sich Stärke unter anderem zu Malzzucker. Der Keimprozess wird durch Hitzeeinwirkung gestoppt. Beim anschließenden Rösten karamellisiert der Malzzucker, Farbe und Aroma entwickeln sich. Malzkaffee enthält wenig Gerb- und Bitterstoffe und schmeckt im Vergleich zu Getreidekaffee milder und süßer.