Landwirtschaft ohne Strom

Muskelkraft trieb Maschinen an

Tamara Retterath, Lirstal

Ein Zeitzeuge berichtete mir: Als Sohn einer kleinbäuerlichen Familie denke ich zurück an die Kriegs- und Nachkriegszeit, in der Strom meist nicht zur Verfügung stand. Alles was heute wie selbstverständlich elektrisch angetrieben wird, wurde früher vielfach von Hand bedient. Ein gutes Beispiel für handbetriebene Geräte in der damaligen Landwirtschaft ist die Häckselmaschine, mit der man Stroh und Heu zerkleinerte, um dem Vieh zu verfüttern. Diese Maschine wurde in der Weise bedient, dass eine Person das Heu und Stroh hinten einlegte während vorne ein bis zwei Personen an einem circa 80 Zentimeter langen Holzgriff drehten, der eine Eisenachse umschloss, das ein Schwungrad in Bewegung setzte, an dem zwei Messer befestigt waren. Während mein Vater hinten einlegte, musste ich oft vorne mithelfen, um das Schwungrad zu drehen. Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, da der Holzgriff an unserer Maschine stark ausgeleiert war, so dass ich mir als Kind hieran oft die Hände eingequetscht habe. Manche bäuerlichen Anwesen betrieben die Häckselmaschine aber nicht mit menschlicher Arbeitskraft, sondern arbeiteten mit einem sogenannten „Göbel“. Das war ein Gerät, welches außerhalb der Scheune fest montiert war: eine runde Eisenkonstruktion mit einem Durchmesser von circa drei Metern. An dieser Eisenkonstruktion wurde ein Tier - Pferd, Kuh oder Ochse - eingespannt, das im Kreis ging und das Gerät drehte. Dadurch wurde ein Zahnkranz über ein Kreuzgelenk bewegt, was wiederum eine Welle antrieb, die in die Scheune führte und somit die Maschine in Betrieb setzte. Das war schon eine große Erleichterung für die Kleinbauern, doch leider war dies in unserem Betrieb aufgrund der spezifischen Lage der Scheune nicht möglich.

Ob mit oder ohne Göbel: Das Häckselgut wurde zur Verfütterung an die Tiere vermischt mit klein gehackten Rüben. Für das Zerkleinern der Rüben gab es wiederum die Krötzelmüll´, wie sie im Eife-ler Platt genannt wurde. Heute nennt man sie Rübenschneidemaschine. Auch dieses Gerät musste früher von Hand bedient werden. Es handelte sich dabei um ein Holzgestell, bei dem oben ein trichterförmiger Kasten aufsaß. In der Mitte lief eine ca. 25 Zentimeter kräftige Holzwelle, mit fingerdicken Eisennägeln bestückt, die halb gebogen waren, so dass die Rüben, die oben in den trichterförmigen Kasten eingelegt wurden, beim Drehen unten zerstückelt herauskamen. Hierbei kam es vor, dass sich Rüben im Kasten festsetzten. Dann musste man sie wieder von Hand auseinander ziehen, doch das war sehr gefährlich, weil man mit den Fingern in die spitzen Haken geraten und sich verletzten konnte. Nachdem auch die Rüben auf diese Art zerkleinert waren, konnte das Futter vermischt und dem Vieh gegeben werden. Aus heutiger Sicht undenkbar, da es sehr kräftezehrend und zeitaufwändig war. Die später aufkommenden strombetriebenen Rüben-schneidegeräte waren hingegen wesentlich bequemer; das Betreiben solcher elektrischer Geräte war aber erst dann möglich, als Kraftstrom in die Haushalte gelegt wurde, da normaler Strom nur für Licht, nicht aber für diese Maschinen ausreichte. Viele Tätigkeiten mussten bereits die Kinder in Haus und Hof übernehmen. Nachmittags, nachdem ich meine Schulaufgaben gemacht hatte, musste ich jeden Tag, bevor ich nach draußen zum Spielen gehen durfte, zwei große Körbe Rüben schnitzen und zusätzlich Heu rupfen. Diese Kinderarbeit war bei allen Familien gleich und damals so üblich, doch war ich der einzige Sohn der Familie und musste daher diese Tätigkeiten alleine erledigen. Wie schön stellte ich mir das Leben in einer Familie mit mehreren Kindern vor, bei denen sich die Arbeit aufteilte, und wünschte mir viele Geschwister.

Die Heurupfarbeiten, die zu meinen täglichen Aufgaben gehörten und mit dem so genannten „Heurupfer“ erledigt wurden, dienten dazu, dem Vieh aufgelockertes Heu zu verfüttern, um das Futter besser verwerten zu können, damit der verbleibende Heubestand länger halten sollte. Ob bei der Heuernte, für die heute Heugreifer in den Scheunen vorhanden sind, um Ladegut in die Höhe zu befördern, oder bei anderen Arbeiten, musste früher alles von Hand getätigt werden. Mindestens drei Personen benötigte man zum Beispiel, um einen Wagen abzuladen. Einer stand beim Abladen des Heus auf dem Wagen, reichte Heu, Stroh oder Garben nach oben. In halber Höhe musste der nächste diese annehmen und mit einer Gabel noch weiter nach oben reichen zur dritten oder eventuell zur vierten Person je nach Höhe des Scheunengebäudes. Zur Winterszeit musste das Vieh im Stall mit Eimern getränkt werden. Hierzu wurde zunächst Wasser am Brunnen im Hof geschöpft und mühselig mit dem Zinkeimer in den Stall geschleppt. Damit die Tiere nicht krank wurden, musste auf dem Herd in der Küche noch weiteres Wasser erhitzt werden, dass dann dem kalten beigemischt wurde, um eine angenehme Wassertemperatur für das Vieh zu erhalten. Das Viehtränken im Winter war als Kind ebenfalls meine Aufgabe, da der Vater im Holzeinschlag zusätzlich Geld verdienen musste und sowohl Mutter als auch Großmutter in der kalten Jahreszeit Spinnarbeiten durchführten neben dem Nähen, Stricken und Häkeln. Im Haus selbst hing eine Petroleumlampe an der Wand, die bei Dunkelheit für Licht sorgte, wenn es zum Stromausfall kam. Ursache für die damals relativ häufigen Stromausfälle waren wahrscheinlich schlechte Spannungen. Doch die Bevölkerung wusste sich zu helfen und hatte die Petroleumlampe noch nicht entsorgt, sondern für den Fall der Fälle stets griffbereit zur Hand. In den Kriegsjahren war das Petroleum knapp, da wurde die Lampe von manch einem kurzerhand mit Diesel bestückt, das erstens noch mehr stank als Petroleum und zweitens fürchterlich qualmte, aber die armen Leute waren froh, überhaupt ein wenig Licht zu haben.

Fast in jedem bäuerlichen Haushalt wurde aus Milch Butter hergestellt. Da jeder Kleinbetrieb in unserem Ort Milchkühe hielt, war genügend Milch zur Butterherstellung vorhanden. Ich denke noch heute mit Schrecken zurück an die Zeit, in der ich als Kind die Zentrifuge drehen musste. Es war ein Gerät, bei dem die Milch oben eingegossen und der Rahm durch die Schwerkraft der Milch entzogen, die Milch also in die Bestandteile Molke und Rahm getrennt wurde. Das war meist eine Arbeit für Kinder. Mir wäre es natürlich lieber gewesen, ich hätte mit anderen Kindern draußen spielen können als an der Zentrifuge zu drehen. Bei der weiteren Verarbeitung zu Butter wurde der aufgefangene Rahm in ein so genanntes Butterfass gefüllt. Hier begann die Prozedur auf ein Neues. Das Butterfass bestand aus Holz; es wurde mit einer Kurbel an der Seite bedient. Im Inneren des Fasses bewegte sich dann eine in Kreuzform angebrachte durchlöcherte Verlattung, die den Rahm so lange bewegte bis sich daraus Butter bildete. Als Kind war das natürlich eine langweilige Angelegenheit, aber es gehörte zu meinen Pflichten. Für mich war diese Tätigkeit sehr strapaziös, daher legte ich als Kind keinen Wert auf´s Butter essen und schmierte mir lieber die Stullen mit Marmelade oder Gelee. So glaubte ich die Butterherstellung hinausschieben zu können.

Für die Frauen war eine Haushaltsführung ohne stromgetriebene Geräte ebenfalls nicht einfach. An eine elektrische Küchenmaschine war nicht zu denken; der Teig für Brot oder Kuchen wurde per Hand geknetet. Auch der Staubsauger war ein Fremdwort für die einfache Bevölkerung, abgesehen davon, dass die Landbevölkerung sowieso nicht über einen Teppich verfügte, wurde alles im Haus feucht herausgeputzt. Täglich wurde der Herd blitzblank gesäubert. Auf dem Kohleherd in der Küche wurde alles mögliche erhitzt. So kann ich mich gut erinnern, dass meine Großmutter, die in häuslicher Gemeinschaft mit uns lebte, sich neben der Landwirtschaft etwas dazu verdiente und daher viel für andere Leute genäht hat - mit der Nähmaschine im Fußbetrieb. Die fertig gestellten Kleidungsstücke glättete sie mit Bügeleisen, die auf dem Herd mühselig erhitzt wurden. Es waren dabei stets mehrere Gusseisen in Gebrauch. Zeitweise standen fünf bis sechs Eisen zur gleichen Zeit auf dem Herd, damit immer wenigstens ein Bügeleisen ausreichend erhitzt war, wenn das jeweils benutzte abkühlte, damit die Bügelarbeit zügig ohne größere Unterbrechung voran ging. Auch Wäschewaschen war eine langwierige, arbeitsauf-wändige Angelegenheit, die je nach Größe der Familie mindestens einen ganzen Arbeitstag in Anspruch nahm. Die schmutzige Wäsche wurde zunächst über Nacht in einem Bottich eingeweicht, dann am nächsten Tag - dem eigentlichen „Waschtag“ - in einem Waschkessel auf dem Kohleherd gekocht und anschließend auf einem Waschbrett manchmal unter zur Hilfe-nahme einer Bürste mühlselig geschrubbt.

Nach den mageren Kriegsjahren wurde in unserem kleinen Ort bekannt gegeben, dass an einem bestimmten Wochentag in der Wohnung des Bürgermeisters ein Gerät vorgeführt werden sollte, welches die Hausfrauenarbeit beim Wäschewaschen erleichtern sollte. Auf dem Plakat wurde es als „kleine Waschmaschi-ne“ angepriesen. Wie sich dann herausstellte, handelte es sich hierbei tatsächlich um eine Erleichterung, genauer gesagt um einen sogenannten „Wäschestampfer“. Soweit mir bekannt ist, hat sich jede der anwesenden Frauen dieses Arbeitsmittel zugelegt, so auch meine Mutter, die bei der späteren Wäsche ganz begeistert davon war, da der Stampfer das Schrubben auf dem Waschbrett ersparte. Der Wäschestampfer war so konstruiert, dass der untere Teil beim Druck von oben beim Widerstand gegen die Wäsche im Bottich nachgab. Dadurch entstand ein Vakuum, das Waschwasser wurde in Bewegung gehalten und die Wäsche somit gesäubert. Zu guter Letzt legte man die Weißwäsche (weiße Leinenbettwäsche) zum Bleichen auf die Wiese und musste darauf achten, diese mindestens einen Tag lang mit der Gießkanne nass zu halten. Die Sonneneinstrahlung führte dann zu der gewünschten Aufhellung des Leinenstoffes, der mit jeder Wäsche und jedem anschließenden Bleichvorgang immer weißer wurde. Von der Erfindung der ersten Waschmaschine vor über 100 Jahren profitierten freilich damals nur die wohlhabenden Leute. Aus dem Holzbottich (in der Optik von außen ähnlich einer Buttermaschine) entwickelte sich im Laufe der Jahre jedoch ein hochtechnisches Gerät mit elektronisch gesteuerten Arbeitsprogrammen, welches heute eine Selbstverständlichkeit in (fast) jedem Haushalt darstellt. So könnte man noch viele Geräte aufzählen, die früher von Hand und Muskelkraft betrieben wurden; und trotz der schweren körperlichen Arbeit hört man heutzutage immer wieder von der „guten alten Zeit“.