Adventserinnerungen anno 1950

Adolf Strnisko, Birgel

Im Jahr 1944 geboren, also zu jung um direkte Kriegserlebnisse erfahren zu haben, gehen meine Gedanken in die Jahre danach, also zu den frühesten Kindheitserinnerungen zurück. Im ehemaligen „Mähren“, einem Teil der heutigen Tschechei geboren, verließen wir - eine sechsköpfige Familie, im September 1946 unsere Heimat. Im nördlichen Teil von Bayern, in Oberfranken, kamen wir bei Bauernfamilien unter. Als Hauptauffanggebiet sudetendeutscher Flüchtlinge waren die Einwohner nicht gerade begeistert, uns aufzunehmen, doch irgendwie öffneten sich Herzen und Türen. Unserem Vater, mit Leib und Seele Bauer, mit der heimatlichen Scholle verwachsen, waren die Existenz und damit der Broterwerb für die Familie entzogen. Als Knecht oder Tagelöhner brachte er zusammen mit der Mutter uns vier Kinder durch die harten, entbehrungsreichen Nachkriegsjahre. Die Aussichten auf baldige bessere Zeiten waren nicht gegeben, so wagten unsere Eltern einen Umzug ins „Rheinland“, wo angeblich eher Arbeit zu bekommen war.

Am Abend des 7. Dezember 1950 erreichten wir Daun; die Fahrt durch die tief verschneite dunkle Eifel ist in mir haften geblieben. Nach Übernachtung in einem Hotelsaal wurden die einzelnen Familien in die vorgesehenen Dörfer und Wohnungen verteilt. Da mein ältester Bruder bereits in Bayern die Handelsschule besuchte, wurde unserem Drängen und Wunsch zugestimmt, in ein Dorf mit Bahnanschluss ziehen zu können. So kamen wir in ein hochgelegenes Dorf im Herzen der Vulkaneifel. Unsere Unterkunft war zunächst im Gasthaussälchen. Das so genannte „Flüchtlingshaus“, von der Gemeinde erbaut, war noch nicht bezugsfertig. Zur Freude und Überraschung, besuchte uns der Nikolaus; das hatte jemand für uns zwei Jüngsten mit acht und sechs Jahren in die Wege geleitet. In der kurzen Zeit bis Weihnachten wurde an unserer Wohnung im Flüchtlingshaus gearbeitet; der Einzug erfolgte auf Heiligabend. Ich sehe noch vor mir den Schreinermeister aus dem Dorf mit seinem Gesellen, als sie das letzte Stück der Treppe zusammenbauten im nahenden Dunkel des Heiligabends. Starke Männerarme aus dem Dorf schleppten den schweren Ofen die Treppe hinauf in den ersten Stock, der von einem Ofenbauer aus Bayern stammte.

Die wenige Habe war schnell in der Wohnung verteilt. Den Christbaumschmuck schenkte uns die Familie aus dem Eisenwarengeschäft. Wer in diesen Tagen alles an fleißigen uneigennützigen Händen, Spenden und Hilfen unserer Familie erst ermöglicht hat, so Weihnachten zu erleben, ist im Nachhinein nicht mehr zu ergründen, und nicht das Entscheidende. Ausgehend von der Tatsache, dass eine fremde Familie ins Dorf gekommen ist, steht an erster Stelle die sofortige Hilfsbereitschaft, die nicht lange fragte, sondern im christlichen Sinn Nächstenliebe praktizierte. Den Dank dafür auszusprechen ist der Sinn dieser Erinnerungen, auch wenn er die meisten Betroffenen nicht mehr erreichen kann. Die anonyme Spendenbereitschaft in jüngster Zeit ist eine andere Sache. Der heranwachsenden Generation sollte zur Nachahmung empfohlen werden, fremden Menschen die Eingliederung zu erleichtern, so wie wir das damals erfahren durften. Gerne komme ich hin und wieder dorthin zurück, von den umgebenen Bergen in dankbarer Erinnerung einen Gruß zu senden und Schulfreunde oder Bekannte aufzusuchen. Ein Zeitgenosse erkannte: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“