„Wie war es früher, Großvater?“

Ausflug ins Freilichtmuseum

Alois Krämer, Bodenbach

Der Großvater war im Begriff, in die Scheune zu gehen, um Hühnerfutter zu holen. Da rief ihm sein ältester Enkelsohn hinterher: „Opa, Opa, warte, ich will mit!“ Natürlich wartete der Opa geduldig, bis Jan Luca auf seinem Fahrrad über den Hof hinweg zu ihm ge-düst war. „Opa, was machst du?“ - „Ich will die Hühner füttern und muss Körner holen!“ - „Wo sind die?“ - „In der Scheune.“ Einträchtig betraten sie die große, staubige, immer nach Heu duftende Scheune. Viel gab es da zu sehen, der Junge war jedes Mal begeistert, wenn er herumstöbern durfte. Ein Traktor stand da, ein Anhänger, ein Heuwender, andere Maschinen für die Feldarbeit, Säcke mit Körnern, Rechen, Hacken, Schaufeln und noch vieles andere. Während der Großvater die Hühner fütterte, benutzte Jan Luca die Gelegenheit, noch ein wenig mehr in den Ecken zu stöbern. „Opa, Opa, komm mal schnell, hier ist einer begraben.“ Der Großvater lief rasch herzu, denn das war ihm dann doch zu seltsam. Jan Luca stand vor einem schwarzen Grabstein, der in der hintersten Ecke der Scheune, halb verborgen hinter irgendwelchen Gerätschaften stand. „Opa, wer ist hier begraben?“ Etwas ängstlich schaute der Achtjährige zu seinem Großvater hoch. Der lächelte ein wenig: „Ach, der alte Grabstein … aber hier liegt niemand begraben, Jan Luca, Verstorbene werden doch auf dem Friedhof beerdigt. Dies hier ist ein ganz alter Grabstein, den ich vom Friedhof geholt habe, als das Grab deiner Uroma, nein, deiner Ururoma dort weggemacht wurde.“ - „Meine Ururoma, wer war das denn und wie hat die geheißen?“ - „Sie hat Katharina geheißen und ist schon vor vielen Jahren gestorben. Da war ich selbst noch ein Kind.“ - „Wie sah sie aus, hast du ein Foto von ihr?“ - „Ich habe noch eine Menge alter Fotos“, erwiderte der Großvater und schaufelte neues Hühnerfutter in den Eimer, „da kannst du sehen, wie sie aussah.“ - „Und warum hast du den Grabstein in deine Scheune gestellt? Willst du ihn jetzt für die toten Schafe gebrauchen?“ Der Opa musste sich nun doch das Lachen verbeißen. „Ich weiß nicht, warum ich ihn dahin gestellt habe, vielleicht wollte ich ihn nicht wegwerfen“, antwortete er und wurde dann etwas nachdenklich. „Ich glaube, so etwas kann man auch nicht einfach wegwerfen“, meinte er dann.

Und schon waren sie wieder bei der „alten Zeit“ und „früher“ angelangt, und den immer wieder gestellten alten und neuen Fragen, die der Großvater auch immer wieder gern und geduldig beantwortete. Schon ging es los: „Opa, erzähl mir von damals, wie sah es hier im Dorf aus? Ist dein Haus auch schon da gewesen, als die Urur … uroma lebte?“ - „Oh, Jan Luca, damals sah es noch ganz anders aus hier im Dorf, und unser Haus stand noch lange nicht hier am Büchel, da gab es nur Wiesen und Felder. Und die Häuser waren kleiner, jedes hatte einen Stall und vor der Tür einen Misthaufen. Je größer der Misthaufen war, umso mehr Vieh hatte der Bauer.“ - „Hatte die Ururoma auch Kühe?“ - „Ja, und Schweine hatten sie, ein paar Schafe, Hühner und Bienen und einen Hund.“ - „Das waren aber viele Tiere. Die machten auch viel Arbeit, oder, Opa?“ - „Ja, die Menschen damals mussten sehr viel arbeiten, und sie hatten keinen Traktor und keine Maschinen, so wie man sie heute kennt. Willst du einmal so ein altes Dorf besuchen und schauen, wie es damals ausgesehen hat?“ - „Klar, Opa, wo ist das denn?“ - „Weißt du was“, der Großvater hatte eine Idee, „wir fahren nächstens, wenn der Frühling kommt, einmal nach Kommern ins Freilichtmuseum, da zeige ich dir ein Haus, das ganz, ganz früher hier im Dorf gestanden hat, genau gegenüber eurem Haus in der Schulstraße.“ - „Prima, Opa, darf mein Freund mit?“ Schließlich waren es sogar vier Freunde, die mit nach Kommern fahren durften.

Dann standen sie vor dem alten Haus, das bis Ende der 60er Jahre gegenüber dem Lenze Haus gestanden hatte, und das dann nach Kommern ins Freilichtmuseum gebracht worden war. „Hier steht das alte Haus“, sagte der Großvater, „da bin ich als Kind oft drin gewesen, und habe mit den Kindern gespielt, die dort wohnten.“ „Das ist aber eine komische Küche, Opa“, bemerkte Jan Luca, „so dunkel und schwarz, und die haben ja gar keinen richtigen Herd.“ - „Auf solchen offenen Küchenherden hat man ge-kocht“, sagte der Großvater, „in der Mitte kam der Kochtopf auf solch einen Dreifuß, das gab immer viel Rauch in der Küche und alles wurde schwarz. Daneben seht ihr einen Behälter, da war immer heißes Wasser drin, das war schon praktisch. Später, Anfang des 19. Jahrhunderts, hat man die geschlossenen Küchenherde erfunden. In einem anderen Haus könnt ihr auch solch einen Herd sehen. Da konnte man das Feuer nicht mehr sehen, weil eine gusseiserne Platte darauf war. Zwischen Feuerrost und Backofen wurden Schamottsteine gelegt, um die Hitze von dieser Seite etwas abzuschirmen, dafür wurde mit Warmluftkanälen ein Teil der Hitze zur anderen Seite des Backofens gelenkt. Der geschlossene Herd war sauberer und die Hitze konnte nicht mehr so schnell entweichen.“ - „Da war es aber immer schön warm“, meinte einer der Knaben. „Ja schon“, entgegnete der Großvater, „im Winter war das bestimmt angenehm, aber stellt euch einmal eine Frau im Hochsommer an solch einem Herd vor. Wie heiß es ihr manches Mal geworden sein muss! Und die Frauen standen stundenlang am Herd, das will ich euch sagen. Und sie trugen Kleider bis zum Boden, lange Ärmel und Kopftücher. Das war die normale Kleidung für Frauen. Außerdem war da nix mit Fertiggerichten oder McDonalds, was ihr so gerne habt. Da wurde stundenlang gerührt, geknetet, eingekocht, gebacken und gebraten.“

Die Kinder hatten etwas anderes entdeckt. „Was ist das denn für ein komisches Rad?“ fragte der eine Junge. Ein hölzernes Rad ähnlich eines Hamsterrades, nur ungleich größer, war an einem kleinen Fässchen befestigt. „Da kam der Hund rein“, lachte der Großvater, „und der musste in dem Rad immer rundlaufen. In dem Fässchen waren Holzflügel, die wurden durch das große Rad angetrieben, und aus der Sahne wurde dann Butter, aber so ein Gerät hat unsere Ururoma aber nicht gehabt. Da musste man schon selbst den Schwengel am Butterfass drehen.“ So betrachteten sie gemeinschaftlich das Handwerkszeug der Hausfrauen, die Messer, Stampfer und Schneidgeräte, Reibeisen, Mörser und verschiedene Behältnisse aus Holz und Steingut. Das wurde den Jungen aber schnell langweilig, bis sie ein anderes, ihnen unbekanntes Gerät sehen. „Was ist das, Opa?“ - „Ein Spinnrad, Jan Luca.“ - „Was macht man damit?“ Der Großvater erklärt: „Damit wurde Wolle gesponnen. Stell dir einmal vor, unsere Schafe werden geschoren. Die Wolle wird dann gewaschen und getrocknet. Dann hat man ein Ende der Wolle an der Spindel befestigt und mit der Hand die Wolle gezogen und gedreht, bis sie sich als Faden auf die drehende Spindel aufwickelte. Die Spindel hat man mit einem Fußantrieb in Gang gehalten. Sogar deine Uroma hat noch vor fünfzig Jahren gesponnen und aus der Wolle dann Pullover und Socken gestrickt. Das war schon ziemlich mühsam bis endlich so ein einziges Teil fertig war, aber damals konnte man nicht einfach in ein Kaufhaus fahren, um etwas zum Anziehen zu kaufen. Außerdem fehlte das Geld, um fertige Sachen zu kaufen.“ - „Opa, hatten die denn kein Auto?“ Der Opa musste lachen. „Damals, als der Ururgroßvater geboren wurde, das war 1824, da gab es ja noch nicht einmal eine Eisenbahn. Der erste Dampfzug fuhr erst 1835 von Nürnberg nach Fürth. Was ein Dampfzug ist, weißt du doch von den Fahrten, die wir schon ein paar Mal mit solch einer Eisenbahn gemacht haben. Man ist nicht einfach von Ort zu Ort gereist, wie man das heute kann, und wenn man fuhr, vielleicht zum Markt nach Hillesheim, wurde das Pferd angespannt, es taten sich vielleicht mehrere Leute zusammen, damit es sich lohnt. Ansonsten kam man kaum aus dem Dorf.“

Jan Luca war in ein anderes Zimmer gelaufen, in dem eine Lampe auf dem Tisch stand. „Opa, wo ist denn hier der Lichtschalter? Ich habe keinen gefunden.“ - „Es gab noch keinen Strom“, antwortete der Großvater, „In den Zimmern brannten Öllampen, Petroleum oder Kerzen. Aber Kerzen waren teuer. Wachsfäden wurden in Schweinefett gesteckt, das brachte auch Licht, wenn’s dann in der Nacht einmal hell sein musste. Ansonsten richtete man sich nach der Sonne, man stand auf, wenn die Sonne aufging und ging mit ihr schlafen. Die alten Leute konnten vom Stand der Sonne her genau sagen, wie viel Uhr es war.“ Jan Luca hatte verschiedene Türen im Haus geöffnet und hineingeschaut. Schließlich kam er zu den anderen zurückgelaufen. „Ich suche das Klo und das Badezimmer, die Leute müssen doch ein Klo gehabt haben, und wo haben die sich denn gewa-schen“, rief er. „Das gab es in den alten Häusern nicht“, erklärte der Großvater. „Entweder hatten die Leute einen eigenen Brunnen im Haus oder vor dem Haus, oder sie mussten sich das Wasser vom Dorfbrunnen holen. Ihr habt in eurem Haus doch auch noch so einen alten Brunnen, auch wenn ihr das Wasser nicht mehr zum Waschen und Kochen braucht, sondern nur für die Waschmaschine oder die Klospülung. Die Leute mussten das Wasser, das sie zum Kochen, Waschen, und für das Vieh brauchten, mit Eimern aus den Brunnen schöpfen und ins Haus oder in die Ställe tragen. Zum Waschen hatten sie in ihren Schlafzimmern Wasserkrüge und Waschschüsseln. Das Klo war draußen, ein kleines Häuschen mit einer Holztür, meistens war ein Herz in die Tür gesägt, damit etwas Licht hineinkam. Drinnen war ein Brett mit einem Loch drin, da setzte man sich drauf. ‚Herz-hütte’ oder ‚Donnerbalken’ sagte man scherzhaft zu diesen ‚sanitären Einrichtun-gen’.“ Die Kinder lachten. „Aber nachts, da war es doch dunkel und kalt“, meinte einer der Jungen, „da hätte ich aber Angst bekommen, nach draußen aufs Klo zu gehen.“ Der Opa grinste: „Ja nachts, was taten die Leute dann wohl? Da hatten sie kleine Henkeltöpfe aus Blech oder Steingut, die standen unter dem Bett und wurden im Notfall benutzt.“ - „Iih, das hat aber bestimmt gestunken“, Jan Luca hielt sich die Nase zu. „Na ja“, meinte der Opa abschließend, „es waren eben andere Zeiten, und man war das gewohnt. Die Leute haben sich nichts dabei gedacht.“

Die Jungen hatten sich leise unterhalten und kamen dann zum Großvater gelaufen. „Hatten die Leute damals auch einen Fernseher und Computerspiele, so wie wir? Wie war das dann mit Spielsachen? Womit haben die Kinder gespielt?“ Der Opa seufzte ein bisschen. Irgendwie hatten sie es noch nicht klar gekriegt, dass für all diese elektronischen Sachen auch Strom benötigt wurde. „Passt einmal auf, wir gehen jetzt nach draußen und setzen uns auf eine Bank. Dann erzähle ich euch, wie das mit dem Strom war.“ Sie verließen das alte Haus und setzten sich draußen auf die Bank unter einen hohen Laubbaum, der seine Äste über sie breitete. Der Großvater versuchte nun, den Kindern die Sache vereinfacht dazustellen: „Ein Gewitter, das kennt ihr alle gut. Bei einem Gewitter entlädt sich auch elektrischer Strom. Da hat man lange darüber nachgedacht, wie man diese Elektrizität künstlich herstellen kann, damit man sie benutzen kann. Im Jahre 1775, das war vor 230 Jahren, ist einem Mann namens Al-lessandro Volta die Herstellung von elektrischem Strom auch gelungen, aber nutzen konnte man sie noch lange nicht. Erst als Werner Siemens im Jahre 1866 die Dynamomaschine erfunden hatte, war dies möglich. Von da an ging es aber rasch vorwärts. Thomas Alva Edison hat 1879 die erste moderne Glühlampe mit Schraubfassung und Kohlefaden hergestellt, und er baute 1881 in New York das erste elektrische Kraftwerk der Welt. Hier in Deutschland wurden ab 1885 Kraftwerke gebaut, natürlich nur in den Großstädten. Und dann hat es noch viele Jahre gedauert, bis auch das letzte Dorf und das letzte Haus elektrischen Strom bekommen haben.“ - „Wann gab es denn in unserem Dorf den elektrischen Strom, Opa?“ Jan Luca schob sich an den Großvater heran, „ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was die Leute ohne Licht getan haben? Wenn ich im Winter morgens aufstehen muss, dann mache ich das Licht an. Komisch muss es gewesen sein, wenn alles dunkel war, oder, Opa?“ Man merkte ihm an, dass ihn das sehr beschäftigte.

„Lasst mich mal überlegen. Da gab es doch 1996 eine Ausstellung in Jünkerath mit dem Thema ‚Der Strom kommt’, das war schon sehr interessant. Zuerst haben die Müller in unserer Gegend Strom erzeugt, denn ihr müsst wissen, dass man auch mit Wasser elektrischen Strom machen kann. Die Nerother und die Pelmer Mühle zum Beispiel haben Strom gemacht, für sich selbst, aber auch für benachbarte Häuser und Dörfer. Im Jahr 1919, also vor 86 Jahren, begann der Kreis Daun mit den Vorarbeiten zur Elektrizitätsversorgung. Aber das war sehr teuer und brachte Schwierigkeiten mit sich, aber 1925, vor genau 80 Jahren war der Kreis mit Strom versorgt, ich denke, auch unser Dorf hatte dann auch elektrisches Licht.“ - „Und wie war das mit dem Fernsehen und den Computern, wann kamen die denn?“ - „Ja,“ sagte der Großvater, „als es denn den Strom gab, ging es rasch vorwärts, das Radio war bald erfunden, dann elektrische Haushaltsgeräte wie Kühlschränke, Gefriertruhen, Waschmaschinen, Elektroherde und so weiter. Die ersten Fernsehgeräte kamen vor 55 Jahren in Amerika auf den Markt. Aber in Deutschland konnten die meisten Menschen sich erst vor 40 Jahren einen Fernsehapparat leisten. Und die Computer? Ein Mann namens Konrad Zuse baute 1936 den ersten Computer, der mit den heutigen Geräten aber noch sehr wenig zu tun hatte. Sein Computer war so groß wie ein Zimmer und man konnte damit nur rechnen. Aber er hatte damit eine geniale Erfindung gemacht. Mit der Zeit ging die Entwicklung der Computer immer schneller voran. Seit ungefähr 20 Jahren sind Computer in Deutschland überall zu finden.“

Gespannt hatten die Kinder zugehört, auch wenn sie nicht alles verstanden hatten. Die letzte Frage war aber noch nicht beantwortet. „Womit haben die Kinder gespielt?“ - „Spielsachen, wie ihr sie heute kennt, gab es natürlich damals auch noch nicht. Die Jungen freuten sich, wenn ihr Opa ihnen ein Pferd schnitzte oder sogar eine ganze Viehherde. Den Mädchen machte die Mutter vielleicht eine Puppe aus Stoffresten. Später gab es Holzeisenbahnen oder Spielzeug aus Blech. Blechspielzeug war sehr begehrt, aber auch teuer, und die Kinder liebten es über alles. So, wie ihr eure Computerspiele liebt, so müsst ihr euch das vorstellen“, schloss der Großvater.„So ihr Bande“, jetzt wird es aber Zeit, nach Hause zu fahren. Eure Eltern werden schon warten. Aber vorher“, er machte eine bedeutungsvolle Pause, „wie wäre es vorher mit einem kleinen Abstecher zu McDonalds.“ - „Prima“, riefen alle wie aus einem Mund“.

Bodenbacher Haus